Im US-Einzelhandel herrscht trotzdem nicht überall eitel Sonnenschein. Während die Stimmung im Onlinehandel meist gut ist, sieht es im stationären Handel häufig trüb aus. Vereinfacht gesprochen läuft es für Onlineanbieter rund, während traditionelle Einzelhändler mit Ladengeschäft Marktanteile verlieren.
Eine Entwicklung, die Spuren hinterlässt - etwa am Arbeitsmarkt. So ist der Anteil der im Einzelhandel beschäftigten Amerikaner mit elf Prozent auf den tiefsten Stand seit 1975 gesunken. Sicherlich liegt das auch daran, dass die Umsätze pro Mitarbeiter im Onlineverkauf sechsmal höher sind als im stationären Handel. Auf dem Gehaltszettel schlägt sich das in Löhnen nieder, die für Angestellte von Onlineunternehmen mit gut 27 Dollar je Stunde klar über dem Branchenschnitt von knapp 18 Dollar liegen.
Auch an der Börse sind die Folgen des Onlinebooms sichtbar, dort ist ebenfalls eine Zweiklassengesellschaft zu beobachten. Der sogenannte Death-by-Amazon-Index, den das Analysehaus -Bespoke Investment Group (BIG) kreiert hat, zeigt das sehr deutlich. Das Barometer enthält 54 Aktien von US-Einzelhändlern aus den Indizes S&P 1500 und S&P Retail Select. Der Schwerpunkt der Indexmitglieder liegt auf dem stationären Einzelhandel. Zudem verkaufen sie Produkte von Fremdmarken. Das Ergebnis: Das Todesbarometer hinkt der Wertentwicklung des S&P 1500 Index seit Februar 2012 hinterher. Richtig trüb fällt die Bilanz beim Vergleich mit Amazon aus: Der Kurs des Online-Versandhändlers hat sich in diesem Zeitraum vervielfacht.
Internetshopping steht hoch im Kurs
Die Diskrepanz ist als Sinnbild für den Aufstieg von Amazon zulasten der traditionellen Branchenvertreter zu werten. Die unterschiedliche Performance lässt sich mit zahlreichen harten Fakten untermauern. So stiegen in den USA laut Commerce Department die Umsätze im Onlinehandel im zweiten Quartal um 15,8 Prozent. Zum Vergleich: Die gesamten Einzelhandelsumsätze exklusive Nahrung legten lediglich um 2,1 Prozent zu. Weltweit beziffert der Marktforscher eMarketer die Verkäufe über das Internet auf 1,548 Billionen Dollar. Das ist ganz locker eine Verdopplung in den vergangenen fünf Jahren. Bis 2020 sieht eMarketer die Umsätze weiter auf 4,058 Billionen Dollar explodieren.
Dank des starken Wachstums erreicht der Marktanteil des Onlinehandels in den USA und in China inzwischen mehr als zehn Prozent. Das sind zwar Höchstwerte, zeigt aber dennoch, wie viele Wachstumsmöglichkeiten es selbst beim Marktanteil noch gibt. Zumal eMarketer den weltweiten Marktanteil von E-Commerce erst auf 7,4 Prozent beziffert. Dieser Wert soll den Prognosen zufolge bis 2020 auf 14,6 Prozent steigen. Amazon ist bei alledem das Zugpferd. Von 2009 bis 2015 stiegen die Umsätze von 24,51 Milliarden auf 107,01 Milliarden Dollar. Dass diese Dynamik nachlässt, zeichnet sich nicht ab.
Was Amazon unter anderem stark macht, ist die Plattformstrategie, die der in Seattle ansässige Konzern verfolgt. Denn ist diese erst einmal erfolgreich implementiert, lassen sich problemlos immer mehr Kunden, Geschäftspartner und Produkte einbinden. Zudem funktioniert diese Vorgehensweise auch geografisch gesehen praktisch ohne große Einschränkungen.
Amazon-Chef Jeff Bezos dürfte sich den Einzelhandel übrigens nicht rein zufällig als Betätigungsfeld ausgesucht haben - schließlich bietet sich die Branche für den Onlinevertrieb an. Das passt zur Einschätzung von Cisco Systems, wonach der Einzelhandel im Vergleich mit anderen Branchen zwischen 2015 und 2020 den drittstärksten digitalen Wandel erleben dürfte.
Gut ins Bild fügt sich auch die neue Welle, die sich momentan in dem Segment breitmacht: Das Shopping per Smartphone gewinnt an Beliebtheit. Der Anteil der Kunden in Deutschland, die mindestens einmal monatlich einen Kauf über ihr Smartphone tätigen, ist laut PwC in den vergangenen vier Jahren von elf auf 35 Prozent gestiegen. Für die Beratungsgesellschaft steht damit fest: Die Zukunft des Handels ist mobil, und das Smartphone mutiert zum wichtigsten Einkaufsinstrument. Der PwC-Prognose zufolge wird Mobile Shopping bis 2020 voraussichtlich für 75 Prozent der Käufer ganz selbstverständlich zum Alltag gehören, zumindest in einigen ausgewählten Produktkategorien.
Lebensmittel aus dem Netz
Doch damit nicht genug der Veränderungen: Viel Bewegung ist auch in Segmenten zu beobachten, die sich bisher noch als relativ immun gegenüber dem Aufstieg des Onlinehandels zeigten. Die Analysten der Landesbank Baden-Württemberg verweisen auf wachsende Onlineanteile in Deutschland bei Warengruppen, die bislang kaum im Internet bestellt wurden, wie Uhren und Schmuck, Baumarktprodukte, Möbel und Einrichtungsgegenstände sowie Freizeitartikel. Selbst Lebensmittel dürften zunehmend über das Internet verkauft werden. Deutlich mache dies das Beispiel Schweiz, wo 2014 Lebensmittel bereits für 13 Prozent des Onlinehandels standen - in Deutschland war es lediglich ein Prozent. Fazit: Wer Onlinetrends verschläft, ist schnell weg vom Fenster.
Aus Anlegersicht stellt sich angesichts dieser vielschichtigen und dynamischen Trends die Frage, was das für die Investmentstrategie bedeutet. Einen wichtigen Fingerzeig dazu gibt der Death-by-Amazon-Index: Einiges spricht dafür, dass es traditionellen Einzelhandelsaktien in den nächsten Jahren schwerfallen dürfte, den Gesamtmarkt zu schlagen. Deshalb bietet sich hier eine Untergewichtung an.
Einzelne positive Überraschungen sind trotzdem nicht ausgeschlossen. Gut schlagen sich im aktuellen Umfeld etwa in den USA Anbieter wie TJX Companies oder Ross Stores. Beide verkaufen Markenprodukte zu vergünstigten Preisen. Immer eine Außenseiterchance haben auch Unternehmen, die sich erfolgreich restrukturieren. Wie in Ausgabe 35/16 beschrieben, traut BÖRSE ONLINE ein derartiges Comeback J. C. Penney (WKN: 851 991) zu.
Wer interessante Titel im Einzelhandel sucht, sollte aber Aktien von Unternehmen bevorzugen, die im Onlinebereich stark sind. So schneidet nicht nur Amazon besser ab als der Death-by-Amazon-Index, auch der deutsche Online-Versandhändler Zalando entwickelt sich seit dem Börsengang besser als der Stoxx Europe Retail 600 Index. In Sachen Performance tanzt Alibaba derzeit noch etwas aus der Reihe. Der chinesische E-Commerce-Gigant hat seit dem Börsengang im September 2014 noch nicht mit einer auffällig guten Wertentwicklung gepunktet. Doch wie der nach guten Quartalszahlen jüngst angesprungene Aktienkurs signalisiert, könnte sich das ändern. Zumindest dann, wenn die Strategie aufgeht. Denn auch hier hilft eine Plattformstrategie dabei, neben dem Onlineshopping-Bereich auch noch andere lukrative Segmente wie Cloud-Service, Bezahldienste oder Videostreaming aufzubauen.
Bei aller aktuellen Zuversicht für die genannten Vertreter aus dem Onlinesegment gibt es aber keine Erfolgsgarantie. Möglicherweise gilt diese Warnung sogar noch mehr als sonst ohnehin üblich an der Börse. Warum das so ist, macht LBBW-Chefvolkswirt Uwe Burkert deutlich: "Durch das digitale Angebot und die digitale Wertschöpfungskette können neue Konkurrenten leichter als früher entstehen." Das gilt nicht nur für traditionelle Anbieter, sondern auch für Onlineaufsteiger und schließt selbst Amazon nicht aus. Anleger müssen daher die Nachrichten aus diesem Sektor im Blick haben und darauf achten, ob die Charts durch eine Trendwende nach unten einen Stimmungswechsel ankündigen.
Eine weitere Überlegung bringt uns übrigens zum Death-by-Amazon-Index zurück: Der Gedanke liegt nahe, dass sich dessen Performance künftig in anderen Bereichen wiederholen könnte. Als artverwandte Indexkonzepte sind etwa "Death by Uber" für Autovermietungen und Taxibetriebe oder "Death by AirBnB" für das Hotel- und Übernachtungsgewerbe durchaus denkbar.