von Lutz Hering, Vermögensverwaltung Damm, Rumpf, Hering

Auf vielen Emerging Markets stößt das Wachstumsmodell, die verlängerte Werkbank der Weltwirtschaft zu sein, an seine Grenzen. Kommt eine konjunkturelle Wachstumsschwäche wie voriges Jahr dazu, so wird daraus schnell ein hochexplosiver Mix, der sich auf ganz unterschiedliche Weise entladen kann. Zuletzt hat der erdrutschartige Sieg der indischen Opposition bei den Wahlen die massive Unzufriedenheit mit der fast schon traditionell herrschenden Kongress-Partei gezeigt. Vom Wahlsieger kann man marktwirtschaftliche Reformen erwarten. In vielen anderen Schwellenländern ist der Ausgang ungewisser. In Thailand wurde das Kriegsrecht verhängt, in der Türkei protestieren die Menschen gegen Ministerpräsident Erdogan, und in Brasilien drückt sich die Unzufriedenheit in Demos gegen die Fußballweltmeisterschaft aus. Selbst Wladimir Putin sitzt längst nicht mehr so sicher im Sattel wie noch vor einigen Jahren.

Und die Anleger? Viele glaubten lange fest an die "Unbesiegbarkeit" der Emerging Markets. Nahezu jeder weltweit anlegende Investor hatte sie als scheinbar soliden Gegenpart zu den in Schwierigkeit geratenen Industriestaaten im Depot. Die Enttäuschung ist jetzt natürlich groß, das Vertrauen, das die Schwellenländer nach der Asien-Krise Ende der 90er-Jahre mühsam aufgebaut haben, wenigstens zu Teilen wieder verbraucht. Wachstumsdellen in diesen Ländern werden anscheinend nicht toleriert.

Besonders in China kostet die aktuelle Transformation hin zum größten Binnenmarkt der Welt Geschwindigkeit. Die chinesische Wirtschaft wird in nächster Zeit wohl eher mit sieben bis acht Prozent als zweistellig wachsen. Die Story der aufstrebenden Länder ist damit aber nicht vorbei. Der Fall China zeigt auch das Gute an der Entwicklung, denn aus der Binnennachfrage einer emanzipierten Mittelschicht getriebenes Wachstum ist nachhaltiger und unabhängiger von der weltweiten Konjunktur, als es bloße staatlich arrangierte Exporterfolge sein könnten. Nicht umsonst wachsen die Konsumausgaben in China weiter konstant um zehn bis 15 Prozent jährlich. Flexible Anleger sollten sich Aktien des (gehobenen) Konsums, aber auch Infrastrukturwerte der zweiten Generation, etwa saubere Energiebetreiber, Wasseraufbereiter oder IT-Infrastrukturunternehmen genauer anschauen.

Positiv könnte sich auch die starke Kapitalflucht aus vielen Schwellenländer- Währungen auswirken. Denn weil die Investoren insbesondere aus Ländern Gelder abzogen, die mit hohen Leistungsbilanzdefiziten zu kämpfen hatten, wie etwa die Türkei, Brasilien oder Indien, werteten genau deren Währungen erheblich ab. Das kann heute wiederum die Begründung für einen Kauf sein. Denn durch die Währungsabwertung sind Produkte aus diesen Ländern auf den Weltmärkten wieder wettbewerbsfähig geworden. Historisch wirkt sich dieser Faktor meist in einem bis eineinhalb Jahren direkt auf die Volkswirtschaft aus. Schaut man auf die Börse, könnte der Anstieg etwa des brasilianischen Bovespa seit Mitte März das Signal zur Umkehr gewesen sein.

Die Entwicklung fällt mit einem dritten Trend zusammen, der sich für die Emerging Markets bald positiv auswirken könnte: Der Renditehunger der Investoren und deren Bereitschaft, Risiken einzugehen, nehmen seit Monaten weltweit deutlich zu. Nur so lässt sich das aktuelle Renditeniveau - zum Beispiel von griechischen Anleihen - erklären. Ein Land, das 2011 vor dem Kollaps stand und weiterhin eine Verschuldung von über 170 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aufweist, kann sich heute zu unter fünf Prozent jährlich bei einer zehnjährigen Laufzeit refinanzieren. Schwellenländer mit weitaus geringeren Schuldenständen und guten Wachstumsaussichten müssen hingegen Zinsen von über sechs Prozent jährlich zahlen. Das erscheint wenig plausibel und unter Chance-Risiko-Gesichtspunkten auch nicht nachvollziehbar. Investoren sollten bei gleichem Risiko die höhere Rendite bevorzugen oder bei gleichen Renditen das geringere Risiko.

Lutz Hering

Hering ist Gesellschafter der ostdeutschen Vermögensverwaltung Damm|Rumpf|Hering in Dresden. In den 16 Jahren ihres Bestehens hat sich die Verwaltung zum wichtigen Ansprechpartner des sächsischen Mittelstandes entwickelt. Sie veranstaltet mehrmals jährlich das Sächsische Finanzsymposium sowie den Dresdner Salon, der unter anderem Richard von Weizsäcker und Wolfgang Schäuble zu seinen Gästen zählte.