Ist das die von vielen befürchtete Krise der Schwellenländer, oder steht diese zumindest unmittelbar bevor? Einige Emerging-Markets-Währungen haben jüngst immer schneller an Wert verloren, und die CDS-Spreads der entsprechenden Länder sind spürbar gestiegen. Dies sind eindeutig Krisenindikatoren. Das heißt freilich nicht, dass ein Absturz der betroffenen Währungen bevorstehen muss. Noch sehen wir die Erholung der Währungen als das wahrscheinlichere Szenario an. Allerdings ist das aktuelle Umfeld das ideale Biotop für "Sudden Stops", also plötzliche Unterbrechungen des Kapitalzuflusses in Schwellenländer und eine dadurch ausgelöste tiefe Krise.
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Was ist ein "Sudden Stop"?
In den vergangenen Wochen hat sich bei vielen Emerging Markets-Währungen die schon länger zu beobachtende Abwertung noch einmal deutlich beschleunigt. Diese Entwicklung weckt Ängste vor dem "Super-GAU" für die Emerging Markets: einem Sudden Stop. Bei diesem wird ein Land plötzlich von der Zufuhr ausländischen Kapitals abgeschnitten.
Besonders problematisch ist dies bei einem Leistungsbilanzdefizit. Denn dann überwiegen die Ausgaben für Importe die Einnahmen aus Exporten, und dieser Fehlbetrag muss durch Kapitalimporte - also durch neue Schulden im Ausland oder den Abbau von Forderungen gegenüber dem Ausland - finanziert werden. Bleibt dieser Kapitalzufluss plötzlich aus, kann das Land - bzw. die in ihm beheimateten privaten Haushalte und Unternehmen - nur noch so viel importieren, wie es mit den Exporterlösen bezahlen kann. Das Leistungsbilanzdefizit muss also sofort abgebaut werden. Da die heimischen Produktionsprozesse nicht hinreichend schnell angepasst werden können, werden diese unter anderem wegen fehlender Vorprodukte unterbrochen, das Land stürzt in eine zumeist tiefe Rezession.
Ein Beispiel hierfür ist die "Tequila-Krise" in Mexiko 1994/95. Im 4. Quartal 1994 verzeichnete Mexiko noch ein Leistungsbilanzdefizit von 5,8% des Bruttoinlandsproduktes. Die Freigabe des vormals fixierten Peso-Wechselkurses und die darauf folgende massive Abwertung der mexikanischen Währung machten Finanzanlagen in Mexiko und damit die Finanzierung des Leistungsbilanzdefizits deutlich riskanter. Es kam zum Sudden Stop. Das klamme Mexiko musste seine Importe massiv zusammenstreichen, bereits im ersten Quartal 1995 entsprach das Defizit in der Leistungsbilanz nur noch 1,8% des Bruttoinlandsproduktes, im Frühjahr war der Leistungsbilanzsaldo sogar leicht positiv. Als Folge dieser raschen Anpassung schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt 1995 um 5,7%. Ähnliches passierte einige Jahre später in Asien.
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Wie entsteht aus einer Abwertung ein Sudden Stop?
Im Grunde entsteht ein Sudden-Stop aus einem Timing-Problem. Denn die Handelsströme reagieren verzögert auf die Abwertung der heimischen Währung. Deshalb belastet eine schwächere Währung insbesondere über teurere Importe zunächst sogar die Leistungsbilanz und lässt die Netto-Auslandsverschuldung steigen.
Wenn ausländische Anleger in dieser Situation befürchten, dass die Güter- und Dienstleistungsimporte mittelfristig nicht ausreichend abnehmen, um einen schnelleren Anstieg der Netto-Auslandsverschuldung zu verhindern, werden sie höhere Risikoaufschläge verlangen. Dies erhöht die durch die Abwertung gestiegene Schuldenlast weiter. Dann droht eine Spirale aus steigenden Risikoaufschlägen und wachsendem Schuldendienst.
Ein Sudden-Stop hat also Parallelen zur Staatsschuldenkrise im Euroraum. Auch dort gab es einen Anlass zur Besorgnis (die Aufwärtsrevision der griechischen Defizite), der sich wegen der Furcht der Anleger und deren Kapitalflucht zu einer Krise auswuchs.
Verkompliziert wird die Lage dadurch, dass in einer solchen Situation für einen Anleger nicht entscheidend ist, ob er selbst glaubt, dass die Volkswirtschaft zu einer Anpassung der Leistungsbilanz fähig ist. Vielmehr muss er antizipieren, was andere erwarten, da er sonst der Letzte sein könnte, der sich aus einem Krisenland verabschiedet (und damit zu spät verkauft). So entstehen plötzliche Paniken, Überschießen der Wechselkurse und Ansteckungseffekte.
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Welche Volkswirtschaften sind gefährdet?
Das Risiko einer solchen Entwicklung hängt in erster Linie von der Höhe der Nettoverschuldung des Landes im Ausland ab. Denn diese bestimmt, wie groß die Last des Schuldendienstes ist und ob das Land diesen langfristig tragen kann. Ein hohes Leistungsbilanzdefizit signalisiert zwar einen spürbaren Anstieg der Nettoverschuldung und lässt auf Dauer die Risiken deutlich zunehmen.
Kurzfristig ist es bei einer zuvor geringen Nettoverschuldung aber tragbar. Auch dies ist eine Parallele zu der Staatsschuldenkrise. Hier gerieten in erster Linie die Länder mit einer hohen Verschuldung unter Druck, während sich Länder mit einer geringen Schuldenlast vorübergehend durchaus ein hohes Defizit leisten konnten.
Dabei ist die Zusammensetzung der Verbindlichkeiten zweitrangig, wenn das Land ein Leistungsbilanzdefizit aufweist und deshalb auf Kapitalimporte angewiesen ist. Zwar können ausländische Investoren bei einem hohen Anteil illiquider Mittel wie Direktinvestitionen ihr Kapital nicht so schnell abziehen. Bleiben die Kapitalimporte aber aus, weil die Investoren das Land für überschuldet halten, rutscht das Land trotzdem in einen Sudden Stop. Freilich ist die notwendige Anpassung der Leistungsbilanz geringer, wenn nur wenig Kapital abgezogen werden kann. Im Idealfall ist lediglich eine ausgeglichene Leistungsbilanz notwendig und nicht ein großer Überschuss.
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Wie kann ein drohender Sudden Stop verhindert werden?
Der langfristige Königsweg zur Vermeidung eines Sudden Stop ist natürlich eine Politik, die eine zu hohe Auslandsverschuldung eines Landes verhindert. So können Zentralbanken mit einer hinreichend restriktiven Geldpolitik exzessive Leistungsbilanzdefizite verhindern. Allerdings muss eine solche Politik über einen längeren Zeitraum verfolgt werden.
Wirkungslos sind hingegen Maßnahmen (wie z.B. Zinserhöhungen), die vom Markt nur als (kurzfristige) Reaktionen gegen unerwünschte Marktbewegungen interpretiert werden. Daher können Zentralbanken einen bereits stattfindenden Absturz der eigenen Währung mit Zinserhöhungen kaum bremsen. So hat 1992 in der EWS-Krise selbst ein Zins von 500% den Absturz der schwedischen Krone nicht verhindern können, weil jeder wusste, dass sie dieses Zinsniveau nicht lange aufrechterhalten würde.
Ein Politikwechsel kann einen Absturz nur dann schnell stoppen, wenn er glaubhaft angekündigt wird. Hierbei haben in der Vergangenheit häufig Programme des Internationalen Währungsfonds geholfen. Denn dessen Programme wirken in Krisen nicht primär über das vom Fonds verliehene Geld, sondern über eine glaubhafte Kommunikation eines nachhaltigen Politikwechsels.
Alternativen sind Kapitalverkehrskontrollen oder ein großer Abwertungsschritt, der eine "das-war's-Stimmung" auslösen kann. Allerdings zerstören solche Strategien mittel- bis langfristig Vertrauen und erschweren damit dauerhafte Kapitalimporte.
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Sudden Stop möglich, aber nicht das wahrscheinlichste Szenario
Droht einigen Emerging Markets ein Sudden Stop? Dieser entsteht, wenn die Mehrheit der Marktteilnehmer ihn erwartet. Das Timing solch einer sich selbst verstärkenden Entwicklung ist kaum zu prognostizieren. Es gibt zwar viele Indikator- und Frühwarnsysteme, die Krisen frühzeitig prognostizieren sollen. Allerdings gaukeln diese eine Sicherheit vor, die es angesichts der solche Krisen auslösenden Marktdynamik nicht geben kann. Zumindest sind die bei den Währungen einiger Schwellenländer in den letzten Wochen zu beobachtende erhöhte Abwertungsgeschwindigkeit und die steigenden CDS-Spreads ein Warnsignal. Die gegenwärtige Marktlage ist ohne Frage ein gutes Biotop für Sudden Stops.
Allerdings ist eine solche Entwicklung nicht das wahrscheinlichste Szenario. Denn in den letzten Wochen gab es immer wieder Phasen einer Erholung. Offensichtlich sieht ein hoher Anteil der Marktteilnehmer die aktuellen Wechselkurse eher als attraktives Einstiegsniveau und nicht primär als Indikator für ein Sudden-Stop-Risiko. Und hierfür gibt es auch durchaus Argumente:
Reuters