So schnell kann es gehen. Mitte März noch hatte der Vorstand von Adidas mit breiter Brust die Konzernbilanz präsentiert samt Rekordgewinn, einer Netto-Cashposition von 873 Millionen Euro, dazu eine kräftige Dividendensteigerung sowie obendrein Aktienrückkäufe. Einen Monat später herrscht auch beim fränkischen Sportartikelkonzern der Ausnahmezustand: Durch die Corona-Krise sind die meisten Läden geschlossen, die Frühjahrskollektion bleibt in den Kartons. Die Aktienrückkäufe hat der Konzern gestoppt, das Management verhandelt über Kredite.

Das Coronavirus bringt selbst bis vor Kurzem kerngesunde Unternehmen in Bedrängnis. Um die Liquidität zu sichern, greifen die Entscheider in den Chefetagen zu drastischen Maßnahmen. Auch die Aktionäre werden nicht verschont. Die Kurse sind bereits stark gefallen. Und jetzt drohen auf breiter Front massive Dividendenkürzungen.

Nach Berechnung der DZ Bank sind die Bargeldzahlungen der DAX-Mitglieder in früheren Rezessionen durchschnittlich um ein Viertel gestutzt worden. "Dieses Mal könnten die Revisionen stärker ausfallen, weil die wirtschaftliche Rezession voraussichtlich stärker ausfallen wird als in vergangenen Zyklen", kalkulieren die Analysten.

Europaweit sind die Ausschüttungen eigentlich stabiler als im stark zyklisch geprägten deutschen DAX. In einer normalen Wirtschaftskrise schrumpften die Ausschüttungen auf dem Kontinent um zehn Prozent oder weniger. Nach Einschätzung der Investmentbank Morgan Stanley müssen sich Anleger jetzt auf Kürzungen in einem Ausmaß wie zuletzt in der Finanzkrise einstellen, als die europäischen Dividenden um 30 Prozent sanken.

Die Liste der Unternehmen, die in diesem Jahr kein Geld ausschütten, wird täglich länger. Selbst bislang zuverlässige Firmen kapitulieren. Fielmann etwa hat 14 Jahre in Serie die Dividende angehoben, auch während der großen Finanzkrise gab es mehr Geld. Damit ist jetzt Schluss. Obwohl die Optikerkette mit Sitz in Hamburg im vergangenen Jahr einen Gewinn von 177 Millionen Euro erwirtschaftete, soll es nach dem Willen von Vorstand und Aufsichtsrat für die Aktionäre dieses Mal eine Nullrunde geben. Die Sicherung der Liquidität habe Vorrang.

Zeit gewinnen


Im DAX haben Lufthansa und MTU die Reißleine gezogen. Andere Unternehmen spielen auf Zeit: Weil sie ihre Hauptversammlung verschieben, müssen sie vorerst keine Entscheidung zur Dividende fällen. Der Augenblick der Wahrheit rückt in jedem Fall näher: Nach deutschem Aktiengesetz muss die Hauptversammlung spätestens acht Monate nach Ende des Geschäftsjahres zusammenkommen. Für die meisten läuft die Frist damit im August aus.

Außergewöhnliche Umstände


Formal ist die Dividende eine Erfolgsbeteiligung für das vergangene Jahr. Wer dort gut verdient hat, sollte die Aktionäre als Miteigentümer beteiligen - egal wie das Jahr 2020 angelaufen ist. Die Corona-Krise aber verursacht verheerende Verwüstungen. Bei vielen Unternehmen ist das Geschäft schlagartig zum Erliegen gekommen, der Weg zurück zur Normalität lang.

"Die Welt hat sich innerhalb weniger Wochen dramatisch verändert. In einer so außergewöhnlichen Zeit muss man Verständnis haben, wenn Unternehmen umsteuern und ihren Dividendenvorschlag zurückziehen, um im Sinne des Aktionärs zu handeln und die Bilanz zu stärken", meint Fondsmanager Thomas Schüßler von der DWS.

Ausgesprochen hart trifft die Corona-Krise die Industrie, weil dort die Basiskosten besonders hoch sind. Volkswagen ist im Kerngeschäft mit einer komfortablen Liquiditätsreserve von 21 Milliarden Euro in die Krise gefahren, verbrennt aber nach Einschätzung von Konzernchef Herbert Diess jede Woche zwei Milliarden Euro. Neue Kredite und im Extremfall der Staat würden das Überleben sichern. Der finanzielle Spielraum aber, auch für die Dividende, wird mit jedem Tag Stillstand kleiner.

BMW und Daimler standen schon vor der Epidemie unter Druck. Weil der Gewinn dort, anders als bei Volkswagen, bereits im vergangenen Jahr deutlich gesunken ist, haben die beiden Premiumhersteller ihre Ausschüttung für 2019 bereits kräftig gekürzt. Für die Autobauer sei es wichtig, dass die Produktion im zweiten Quartal wieder hochgefahren werden könne, betonen die Analysten der Commerzbank.

Dividende für die Aktionäre oder lieber die Finanzreserven schonen - einigen Unternehmen wird diese Entscheidung abgenommen. Schon jetzt ist klar: Wer Staatshilfe beansprucht, darf kein Geld ausschütten. Ein Bann könnte auch komplette Wirtschaftszweige treffen. Die Europäische Zentralbank hat Finanzinstitute aufgefordert, bis Oktober keine Dividenden auszuschütten. Das ist für Deutschland kein allzu großes Problem, weil die beiden hiesigen Großbanken als verlässliche Bargeldlieferanten ohnehin ausfallen. Europaweit ist die Branche aber nach Berechnung von Morgan Stanley mit einem Anteil von 15 Prozent der größte Dividendenlieferant.

Die Auswirkungen der Corona-Krise werden die Wirtschaft langfristig verfolgen. Selbst wenn die Dividenden für das vergangene Jahr wie erhofft fließen, bleiben viele Fragezeichen. 2020 wird für viele Unternehmen ein brutales Jahr. Die DZ Bank kalkuliert, dass die Gewinne der DAX-Konzerne um 50 bis 80 Prozent einbrechen könnten.

Vor allem für die zyklischen Branchen wird es schwer. Das Bankhaus Lampe beispielsweise rechnet damit, dass der operative Gewinn von BASF um mehr als 90 Prozent abstürzt. Auf diesem Niveau würde es für den Chemiekonzern schwer, die Dividendenpolitik durchzuziehen. Eigentlich will BASF die Ausschüttung je Aktie jährlich steigern.

Selbst wenn sich die wirtschaftliche Lage entspannt, müssen die durch den staatlich verordneten Stillstand verursachten Löcher geschlossen werden. Volkswagen beispielsweise hatte bei der Bilanzpräsentation Mitte März das strategische Ziel bekräftigt, eine Nettoliquidität in Höhe von zehn Prozent des Jahresumsatzes zu halten.

Nicht nur für die Unternehmen steht viel auf dem Spiel. Pensionsfonds und Stiftungen, aber auch viele Privatpersonen haben Einkünfte aus Dividenden fest eingeplant. Drängender als in Boomzeiten ist darum die Frage, wo die Ausschüttungen wirklich sicher sind.

Einen Hinweis geben die turbulenten Monate der Finanzkrise: Unter den heutigen DAX-Mitgliedern hat immerhin knapp die Hälfte diese Zeit ohne Dividendenkürzung überstanden. Der Gesundheitskonzern Fresenius und dessen Tochter FMC haben die Ausschüttung damals sogar weiter angehoben, wenn auch auf einem eher homöopathischen Niveau. Beide Aktien kommen auch jetzt lediglich auf Dividendenrenditen von etwas mehr als zwei Prozent.

Wir haben im Folgenden unsere Top-Favoriten systematisch in Branchen gesucht, in denen die Dividende trotz der Corona-Krise sicher sein sollte.

Die Dividenden-Riesen


Besonders im Blickpunkt stehen aus deutscher Sicht die Versicherungskonzerne: Die Allianz ist mit einer für 2019 erwarteten Ausschüttung von vier Milliarden Euro der größte Zahler im DAX. Munich Re hat mit einem halben Jahrhundert ohne Kürzung eine sehr eindrucksvolle Serie vorzuweisen. Entsprechend schrill sind die Reaktionen auf den Vorstoß der europäischen Branchenaufsicht Eiopa, welche die Versicherer auffordert, die Zahlungen auszusetzen. Selbst die deutsche Finanzaufsicht Bafin lehnt ein solch pauschales Verbot ab. Sie hält die Lage der deutschen Assekuranzen für beherrschbar.

Ein wichtiger Maßstab für die Finanzkraft der Versicherer ist deren Eigenmittelausstattung. Diese sogenannte Solvabilität beschreibt die Abdeckung der Versicherungsrisiken durch Reserven in der Bilanz. Gesetzlich vorgeschrieben sind Quoten von mindestens 100 Prozent. Allianz und Munich Re wiesen für 2019 Quoten von mehr als 200 Prozent aus. Abschreibungen auf Investments an den Kapitalmärkten dürften die Gewinne und die Solvabilitätsquoten voraussichtlich signifikant schmälern. Dennoch sind die in Aussicht gestellten Dividenden nach Einschätzung der meisten Analysten abgesichert. Im günstigen Fall ist die Corona-Krise für die Versicherer wie eine Naturkatastrophe: ein einmaliger Schaden ohne nachhaltige Wirkung.

Vergleichsweise gut durch die Krise kommen die Nahrungsmittelhersteller. Gegessen wird bekanntlich immer, und Supermärkte gehören zu den wenigen Geschäften, die weiter geöffnet sind. Nestlé-Chef Mark Schneider berichtet von einer großen Nachfrage nach Grundnahrungsmitteln des Konzerns, zu dessen Portfolio auch Wagner-Pizza und Vittel-Mineralwasser gehören. Probleme gibt es trotzdem: Verschärfte Hygienevorschriften und Krankheitsfälle erschweren die Produktion. Eine längere Wirtschaftskrise würde dazu führen, dass Kunden stärker zu billigen und aus Sicht der Unternehmen margenschwachen Marken greifen. Gemessen an den Problemen der Industrie sind das harmlose Sorgen.

Der US-Softdrinkhersteller Pepsico könnte Umsatz verlieren, weil Kneipen geschlossen sind und kaum noch Menschen verreisen. Morgan Stanley kalkuliert aber auch, dass der Konzern mit seiner Snack-Sparte davon profitiert, dass viele Konsumenten zu Hause auf dem Sofa knabbern.

Der britisch-niederländische Konsumgüterhersteller Unilever hat neben Nahrungsmitteln unter anderem Reinigungsmittel im Sortiment. Es sei unwahrscheinlich, dass die Nachfrage nach diesen Produkten nachlasse, kalkuliert die britische Bank Barclays.

Die größten Gewinner der Krise könnten die Pharmakonzerne werden. Noch ist nicht klar, wer letztlich ein Heilmittel gegen das Coronavirus entwickeln kann. Unabhängig davon steigt die Nachfrage nach vielen pharmazeutischen Produkten: Bei bestimmten Nahrungsergänzungsmitteln sei sie drei- bis fünfmal so hoch wie üblich. Stark gefragt seien auch Antibiotika und Medikamente, bei denen Patienten einen Engpass fürchten, berichtete unlängst Bayer-Chef Werner Baumann. Die Rheinländer gehören zu der kleinen Gruppe deutscher Unternehmen, die ihre Hauptversammlung in das Internet verlegen - und damit wie geplant die Dividende für das vergangene Jahr jetzt ausschütten werden.

Auch bei den beiden großen Schweizer Pharmakonzernen Novartis und Roche laufen die Geschäfte ohne größere Störungen. Medikamente zur Behandlung schwerer Krankheiten werden weiter gebraucht. Problematisch wird es für die Pharmawelt erst dann, wenn die Produktion ins Stocken gerät oder die Entwicklung neuer Wirkstoffe durch die Corona-Krise verzögert wird. Die Dividende für 2019 haben Novartis und Roche bereits gezahlt, der nächste Termin steht erst im kommenden Jahr an. Beide gelten als sichere Dividendenwerte.

Kampf um die Mieten


Unangenehme Überraschungen gibt es in der eigentlich zuverlässigen Immobilienbranche. Vermieter von Gewerbeflächen haben das Problem, dass Läden auf Anweisung des Staates geschlossen sind und etliche Mieter damit ohne Einnahmen dastehen. Um nicht selbst in Bedrängnis zu geraten, haben viele Immobilienkonzerne aus dem Gewerbesektor die Dividende ausgesetzt.

Besser sollte die Zahlungsmoral bei Mietern von Wohnraum sein. Ganz ohne Sorgen kommt allerdings auch der DAX-Konzern Vonovia nicht durch die Krise: Man habe große Modernisierungen wie Aufstockungen oder Fassaden-Erneuerungen vorerst gestoppt. Mit dem Neubau von Wohnungen komme das Unternehmen aufgrund der Pandemie langsamer voran, berichtet Konzernchef Rolf Buch. Die Prognose für das laufende Jahr gelte aber weiterhin. Den Dividendenvorschlag für das vergangene Jahr hatte Vonovia Ende März bekräftigt.

Die Versorger Eon und RWE bewältigen die Corona-Krise mit neu sortierten Geschäftsmodellen. Eon hat die Geschäfte der RWE-Tochter Innogy übernommen und ist in Europa künftig der größte Betreiber von Energienetzen. Die Stromerzeugung aus regenerativen Quellen sowie den Handel mit Strom gab Eon im Gegenzug an RWE ab. Damit will Eons ehemaliger Konkurrent zu den größten Betreibern von Solar- und Windparks weltweit zügig aufschließen. Für den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2038 einigte sich der DAX-Konzern mit der Bundesregierung auf 2,6 Milliarden Euro Entschädigung sowie auf Vorruhestandsgelder für die Beschäftigten. RWE hat laut Analysten erfolgreich verhandelt und kann sein neu sortiertes Geschäft nun mit einer moderaten Verschuldung ausbauen.

Bei Eon schnellte die Nettoverschuldung durch den Kauf von Innogy 2019 dagegen auf das 5,7-Fache des operativen Gewinns in die Höhe. "Wenn nicht alles nach Plan läuft, hat Eon wenig Puffer", warnt Analyst Werner Eisenmann von der DZ Bank. Die Einnahmen des großen Netzbetreibers stammen überwiegend aus regulierten Märkten, damit sind sie relativ sicher. Anleger scheinen die hohe Verschuldung deshalb vorerst zu tolerieren. Dass Eon die Ausschüttung jährlich um fünf Prozent erhöhen und mindestens die Dividende des Vorjahres zahlen will, hat wohl auch dazu beigetragen.

Auch wenn Sicherheit für viele Dividendensammler wichtig ist, sollten Anleger bei der Zusammensetzung ihres Portfolios gerade jetzt auf einen ausgewogenen Mix achten. In den zyklischen Branchen wackeln zwar vielerorts die Dividenden, viele schlechte Nachrichten dürften aber bereits in den Kursen verarbeitet sein. Einmalige Dividendenkürzungen wiederum schmälern den Wert eines Unternehmens allenfalls kurzzeitig, bieten langfristig aber auch Chancen. Fondsmanager Schüßler sieht die Finanzmärkte in einer Übergangsphase: "Viele Firmen werden konservativer planen, das passiert in jeder Rezession. Die Dividenden werden vorerst niedriger ausfallen. Bei Aktienrückkäufen wird man ebenfalls vorsichtiger sein. Auf der anderen Seite sind viele Kurse stark gefallen und damit die Dividendenrenditen gestiegen. Für Anleger ergeben sich daher auch gute Kaufgelegenheiten."

Investor-Info

Dividende
Auf hohem Niveau


Die Dividenden der DAX-Konzerne haben sich seit der letzten großen Krise nahezu verdoppelt. Sollten die Konzerne ihre Versprechen für das Geschäftsjahr 2019 erfüllen, dürfte es zunächst nur einen kleinen Rückgang von weniger als zehn Prozent geben. Aktionäre würden mehr als 35 Milliarden Euro kassieren.

Kurse und gewinne
Börse läuft vor


Börsianer reagieren frühzeitig auf eine drohende Rezession. Die Aktienkurse gehen darum bereits vor den Unternehmensgewinnen in die Knie. Auf lange Sicht schwanken die Kurse stärker als die Gewinne. Nicht jedem Kurseinbruch folgte eine reale Krise.

DividendenKürzungen
Ein Viertel weniger


Dividenden sind stabiler als die Konzerngewinne: In den vier vergangenen Rezessionen sind die Ausschüttungen der DAX-Konzerne um 16 bis 34 Prozent gesunken. Die Konzerngewinne stürzten dagegen um 26 bis 72 Prozent ab.

Bayer
Dividende kommt


"Pünktlich in voller Höhe" will der Pharma- und Agrarkonzern seine Dividende für 2019 zahlen. Damit das Geld (2,80 Euro je Aktie) rausgehen kann, wird die Hauptversammlung am 28. April online abgehalten. Die Analysten von M.M. Warburg sehen bei Bayer ein geringes Pandemierisiko. Die Vergleichsverhandlungen um den Unkrautvernichter Glyphosat verzögern sich durch die Pandemie, eine Einigung ist aber in Sicht. Die Aktie von Bayer ist eine Turnaround-Chance.

Munich Re
Besonders abgesichert


Absagen und Verschiebungen von Großveranstaltungen haben beim Primus in der globalen Rückversicherung zu erheblichen Belastungen geführt. Das Gewinnziel für 2020 wurde kassiert, die Aktienrückkäufe ausgesetzt. Die Dividende für 2019 von 9,80 Euro pro Aktie wurde jedoch bestätigt. Eine zentrale Finanzkennziffer, die Solvabilitätsquote, lag Ende 2019 bei sehr hohen 239 Prozent − deutlich über den 212 Prozent der Allianz. Besonders sicherer Zahler.

Pepsico
Sprudelndes Geschäft


Der Softdrinkhersteller hebt seit 47 Jahren seine Dividende kontinuierlich an. Im Unterschied zum Rivalen Coca-Cola verkauft Pepsico auch Snacks. Das dürfte in der aktuellen Situation das Geschäft stabilisieren. Die meisten Produkte sind ungesund, dafür aber sehr populär. Die Aktie wirft auf aktuellem Niveau eine Dividendenrendite von etwas mehr als drei Prozent ab mit der Aussicht auf eine weiter leicht steigende Ausschüttung. Wie bei den meisten US-Konzernen fließt das Geld bei Pepsico quartalsweise.