"Kinder, wie die Zeit vergeht", wird beim Blick auf den Kalender dieser Tage nicht nur der ein oder andere Anleger denken. Drei Viertel des Jahres sind vorüber und die Börsen auf die Zielgerade zum Jahresendspurt eingebogen. Der Blick auf die verbleibenden Monate und in den Rückspiegel verrät, dass es nun Zeit wird, den Fuß von der Bremse zu nehmen. Während die Wall Street die ersten neun Monate mit einem Plus von sechs Prozent abschließen konnte, gab der DAX um 2,1 Prozent nach. Durchgeschüttelt von den Banken blieb der EuroStoxx50 gar 8,7 Prozent zurück. Am schlimmsten aber erwischte es unter den global wichtigsten Indizes den japanischen Aktienmarkt: Der Nikkei225 sauste trotz einer neuen geldpolitischen Lockerungsstrategie der Bank of Japan um 13,5 Prozent in die Tiefe.
Heimisches Duell
Im innerdeutschen Vergleich zeigt sich ein klares Gap zwischen Bluechips und Nebenwerten. Anders als der DAX konnten MDAX und SDAX sich trotz der Widrigkeiten an den Märkten behaupten. "Die hohe Anpassungsstärke international aufgestellter Small und Mid Caps ist ein starkes Schutzschild", sagt Björn Glück, Portfoliomanager bei Lupus Alpha. An der Spitze des Performance-Rankings steht der MDAX, der seit Silvester 3,9 Prozent stieg. "Der MDAX wird sich weiter besser entwickeln als der DAX", sagt Glück. Die strukturellen Vorteile von Nebenwerten gegenüber Large Caps - wie höhere Flexibilität und attraktivere Nischengeschäftsfelder - bleiben seiner Ansicht nach auch in den kommenden Jahren als Werttreiber erhalten (siehe Interview Seite 10).
Allerdings könnte nicht nur den Werten der zweiten und dritten Reihe ein goldener Herbst bevorstehen, auch die Bluechips ziehen im Schlussquartal gern nach oben - zumindest laut Statistik. Ein Blick in die Historie zeigt, dass der DAX im langjährigen Durchschnitt in den letzten drei Monaten eines Jahres eine positive Rendite abwirft. Um nun bereits eine Jahresendrally auszurufen, ist es zu früh. "Die Unsicherheit bezüglich der US-Wahlen, des Zeitpunkts für den nächsten Zinsschritt der Fed sowie das weitere Vorgehen der EZB hängt wie ein Damoklesschwert über den Märkten", fasst Portfoliomanager Andreas Humpe von Schleber Finanz-Consult zusammen. Hinzu kommt der sich hinziehende bevorstehende Brexit. Premierministerin Theresa May rechnet damit, erst bis Ende März einen EU-Austrittsantrag einzureichen.
Während Unsicherheit der Feind der Börsen ist, sind Fakten ihr Freund. Und von diesen gab es zuletzt einige positive: Allen Sorgen zum Trotz verbesserte sich die Stimmung in den Chefetagen im September stärker als erwartet. Der Ifo-Geschäftsklimaindex stieg mit 109,5 Punkten zuletzt auf den höchsten Stand seit Mai 2014. Im Vormonat hatte er noch bei 106,3 Punkten gestanden. "Die deutsche Wirtschaft erwartet einen goldenen Herbst", sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Dazu passt, dass die führenden Forschungsinstitute in ihrem Herbstgutachten die Prognose für das Plus beim Bruttoinlandsprodukt von bislang 1,6 auf 1,9 Prozent angehoben haben.
Bleibt noch das Sorgenkind China. Das Reich der Mitte steht für rund 15 Prozent des Welthandels und ist gleichzeitig der fünftwichtigste Exportpartner Deutschlands. Mit Argusaugen wird also gen Osten geblickt und jede Konjunkturzahl genauestens analysiert. Doch zahlreiche Experten gaben zuletzt bereits Entwarnung: Wachstumsabschwächung ja - harte Landung nein. "In der letzten Zeit haben sich viele Konjunkturdaten wieder erholt oder zumindest stabilisiert", bestätigt Fondsmanager Humpe.
Fest steht: Die wirtschaftliche und politische Gemengelage dürfte dazu führen, dass die Volatilität in den kommenden Monaten hoch bleibt. Doch besteht durchaus die Chance, dass der DAX dieses Jahr noch mit einem Plus abschließt. 11 027 Punkte lautet das durchschnittliche Kursziel der Analysten für 2016, knapp 300 Zähler über dem Schlusskurs des Vorjahres.
DAX: Daimler-Aktie
Wir haben uns auf die Suche nach den Toptiteln am deutschen Aktienmarkt gemacht und sind im DAX bei Daimler fündig geworden. Der Autokonzern hat im Rahmen des gerade laufenden Autosalons in Paris eine besondere Überraschung parat: ein hochmotorisierter Sportwagen mit mehr als 1000 PS, der in rund zweieinhalb Jahren auf den Markt kommen soll. Das passt perfekt in die Marschrichtung von Daimler-Chef Dieter Zetsche, der sich zum Ziel gesetzt hat, bis spätestens 2020 die Krone in der Oberklasse zu erobern.
In puncto Verkaufszahlen liegt die Marke mit dem Stern nach acht Monaten bereits vor den ärgsten Konkurrenten Audi und BMW. Allein im August verkaufte Daimler stolze 11,8 Prozent mehr Fahrzeuge. Die operative Stärke dürfte in den kommenden Monaten weiter anhalten und der Aktie zu einem nachhaltigen Richtungswechsel verhelfen. Zumal auch die Bewertung nicht teuer erscheint. Aktuell ist der DAX-Titel mit einem 2017er-KGV von moderaten 7,5 bewertet. Die Dividendenrendite beträgt überdurchschnittliche 5,1 Prozent.
Dax: Fresenius-Aktie
Während der Kurs der Daimler-Aktie dem diesjährigen wilden Hin und Her an der Börse bisher Tribut zollen musste, erwies sich der Gesundheitskonzern Fresenius erneut als starker Fels in der Brandung. Die Papiere des im hessischen Bad Homburg beheimateten Unternehmens verteuerte sich in den ersten drei Quartalen um 7,6 Prozent. Damit sollte der Aufstieg aber längst nicht am Ende sein. Mut macht vor allem die jüngste Übernahme der spanischen Klinikkette Quironsalud, die bei der Krankenhaustochter Helios in Zukunft einen deutlichen Gewinnbeitrag leisten dürfte.
Der Expansionshunger des erst seit Sommer amtierenden Vorstandschefs Stephan Sturm ist damit noch nicht gestillt. Für ihn sind Klinikübernahmen auch noch in anderen Ländern denkbar. Hinzu kommt möglicherweise eine Stärkung der auf Medizintechnik und Infusionen spezialisierten Tochter Kabi. Mit einer operativen Marge von knapp 21 Prozent ist Kabi derzeit die profitabelste Sparte im Konzern. Die organische wie auch nicht organische Wachstumsstrategie von Fresenius überzeugt und macht den Titel zu einem der Top-Kaufkandidaten im DAX.
Dax-Ziel: 11 027* Kurspotenzial: 4,3%
* Durchschnittliches Kursziel der Analysten bis zum Jahresende 2016 gemäß Erhebung von Factset
MDax: Symrise-Aktie
Im Jahr 2015 stieg der MDAX um 22,6 Prozent. Eine vergleichbare Performance werden die Mittelständler zwar in diesem Jahr nicht mehr schaffen, allerdings könnte der ein oder andere Einzelwert 2016 durchaus mit einem prozentual zweistelligen Kursgewinn ins Ziel kommen. Zuzutrauen ist dies Gerresheimer und Symrise. Beide Unternehmen befinden sich derzeit auf einem steilen Wachstumskurs und könnten vielleicht sogar noch für weitere positive Überraschung sorgen.
Bereits zum Halbjahr hatte der Duft- und Aromenhersteller Symrise seinen Ausblick leicht nach oben angepasst. Laut Firmenchef Heinz-Jürgen Bertram dürfte die Profitabilität gemessen an der Ebitda-Marge nun "über" 20 Prozent liegen - bisher hatte er "rund" 20 Prozent angestrebt. Im zweiten Quartal lag die Marge bereits bei 22,8 Prozent. Das Unternehmen, das Duftstoffe und Aromen für Lebensmittel, Getränke und Kosmetika herstellt, profitiert derzeit von der Übernahme des US-Chemiekonzerns Pinova. Marktspekulationen zufolge lief die Chemiebranche im dritten Quartal besser als erwartet, was auch den Niedersachsen florierende Geschäfte beschert haben dürfte.
MDax: Gerresheimer-Aktie
Eine Anpassung der Prognose nach oben könnte auch dem Spezialverpackungshersteller Gerresheimer bevorstehen. Dank starker Geschäfte mit der Pharmaindustrie legte das Ebitda zum Halbjahr um 22 Prozent auf 150 Millionen Euro zu. Für das Gesamtjahr peilt Firmenchef Uwe Röhrhoff ein Ebitda von rund 320 Millionen Euro an, was "lediglich" einem Anstieg von 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gleichkommt.
Gut möglich, dass Röhrhoff bei der Vorlage der Zahlen zum dritten Quartal am 6. Oktober eine Schippe drauflegt, zumal er im Sommer "optimistisch auf die zweite Jahreshälfte" blickte. Aber auch ohne Zielerhöhung stimmt der Wachstumskurs von Gerresheimer zuversichtlich. Bis zum Jahr 2018 peilt das Unternehmen ein Erlösplus von vier bis fünf Prozent sowie eine operative Marge von rund 22 Prozent an. Dies sollte der Aktie weiteren Schub geben.
MDax-Ziel: 22 575 Kurspotenzial: 4,1%
SDax: Washtec-Aktie
Im vergangenen Jahr hatte der SDAX um vier Prozentpunkte besser abgeschnitten als der MDAX. Im laufenden Jahr kehrten sich die Vorzeichen allerdings um, die Mid Caps gingen leicht in Führung, und die Small Caps haben nach drei Quartalen mittlerweile das Nachsehen. An Washtec, dem Spezialisten für Fahrzeugwäsche, liegt dieser Rückstand der kleinen Werte jedoch nicht. Der SDAX-Newcomer, dessen Papiere erst im März in den Auswahlindex aufgenommen wurden, verteuerte sich bisher um mehr als ein Drittel.
Die überdurchschnittliche Performance geht mit einem blitzsauberen Wachstumskurs einher. Obwohl die Augsburger derzeit kräftig in die Zukunft investieren, konnten sie ihre Marge zum Halbjahr weiter steigern. Die Rendite vor Zinsen und Steuern verbesserte sich von 8,6 auf beachtliche 9,2 Prozent. Und damit nicht genug: Bis zum Jahresende soll der Wert, wie schon 2015, in den zweistelligen Bereich vordringen. "Es gibt für den Entwickler von Autowaschanlagen noch jede Menge Wachstumsgelegenheiten in Europa, aber auch in den USA", sagt Analyst Aliaksandr Halitsa von Hauck & Aufhäuser. Die Möglichkeit für eine positive Überraschung hat Washtec in diesem Jahr möglicherweise noch beim Ergebnis je Aktie in petto.
Die Mehrzahl der Analysten rechnen bei dieser Kennziffer für das Gesamtjahr mit einem Plus von 15 Prozent. Zum Stichtag 30. Juni betrug der Zuwachs bereits 27 Prozent. Darüber hinaus gewinnt der Titel zusätzlich an Attraktivität durch eine beachtliche Dividendenrendite von 3,1 Prozent.
SDax: Sixt-Aktie
Die Dividende fällt bei der ebenfalls im SDAX notierten Aktie des Autovermieters Sixt mit 2,6 Prozent zwar etwas geringer aus, sie kann sich angesichts der Nullzinspolitik der EZB aber durchaus sehen lassen. Doch nicht nur wegen der Gewinnausschüttung sollten Anleger die Aktie von Deutschlands größtem Autovermieter im Auge haben, in dem Titel steckt auch jede Menge Kurspotenzial: Insbesondere das starke Auslandgeschäft sorgte zuletzt für einen überdurchschnittlichen Anstieg bei Umsatz und Gewinn. Als besondere Wachstumsregionen kristallisierten sich - auch dank der Reisefreude der Deutschen - unter anderem Frankreich und Spanien heraus. Auf Mallorca beispielsweise, der Lieblingsinsel der Deutschen, lassen einige Hotels wegen der ungewöhnlich hohen Auslastung in diesem Jahr die Türen statt bis Ende Oktober gar bis Mitte November geöffnet. Und auch in Übersee gewinnt Sixt immer mehr Fahrt. Laut Finanzvorstand Julian zu Putlitz wird die USA im Jahr 2017 erstmals im Gesamtjahr einen positiven operativen Ergebnisbeitrag erwirtschaften.
SDax-Ziel: 9997 Kurspotenzial: 6,9%
TecDAX: CompuGroup-Aktie
Deutsche Technologie ist zwar weltweit gefragt - die Aktien hinken ihren US-Pendants in diesem Jahr jedoch hinterher. Während der Nasdaq 100 um mehr als sechs Prozent zulegte, verzeichnen die heimischen Branchengrößen einen kleinen Verlust. Der Attraktivität des Sektors tut das aber keinen Abbruch: Steil nach oben zieht beispielsweise CompuGroup. Der auf Arztpraxen und Apotheken spezialisierte Softwareanbieter befindet sich organisch und anorganisch auf Wachstumskurs.
So verleibte sich das Koblenzer Unternehmen kürzlich den Apothekensoftware-Hersteller Vega Informaticae e Farmacia ein und baut so seine führende Stellung in Italien aus. Der absolute Trigger bei der Aktie ist aber die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte. Experten rechnen damit, dass dies bereits im ersten Quartal 2017 erfolgen könnte. Berenberg-Analyst Gunnar Cohrs hält das Ereignis für "die größte Chance in der Unternehmensgeschichte".
Langfristig rechnet er mit einem Umsatzbeitrag von 200 Millionen Euro und einer operativen Marge von 30 Prozent. Zum Vergleich: 2016 wird CompuGroup voraussichtlich 560 Millionen Euro erlösen und dabei eine Rendite von rund 23 Prozent erreichen. Die Aktie ist gerade auf ein neues Rekordhoch ausgebrochen.
TecDax: Nordex-Aktie
Hingegen wartet Nordex auf frischen Wind. Der Titel des Windkraftanlagenbauers gönnt sich nach drei Jahren mit immensen Kursgewinnen 2016 bislang eine Pause. Allerdings stehen die Chancen gut, dass die Flaute bald vorüber ist. So dürfte den Hamburgern im vierten Quartal wegen Förderkürzungen 2017 ein Auftragsboom in den USA ins Haus stehen. Außerdem beschert die spanische Tochter Acciona Windpower, mit deren Hilfe Nordex bis 2018 zum Weltmarktführer Vestas aufschließen will, dank großer Einzelaufträge Wachstum.
Operativ stehen die Zeichen für die Aktie also auf Grün, und auch charttechnisch schaltet die Ampel derzeit um. Die 100-Tage-Linie ist gerade dabei, den 200-Tage-Durchschnitt von unten nach oben zu durchschneiden und damit ein sogenanntes "Golden Cross", also ein starkes Kaufsignal, zu generieren.
TecDax-Ziel: 1855 Kurspotenzial: 2,2%
Interview: "Der MDAX bleibt besser als der DAX"
BÖRSE ONLINE: Brexit und US-Wahlen dominieren die Schlagzeilen. Steht Nebenwerten ein stürmischer Herbst bevor?
Björn Glück: Die hohe Anpassungsstärke international aufgestellter Small und Mid Caps ist ein starkes Schutzschild. Viele Unternehmen sind global präsent und haben in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass sie selbst das Wegbrechen partieller Märkte relativ schnell auffangen können. Der Absatzmarkt für viele Firmen des deutschen Mittelstands ist die ganze Welt.
Setzt sich also der Outperformance-Kurs der Nebenwerte im Rest des Jahres fort?
Ja, ich bin der festen Überzeugung, dass sich der MDAX weiter besser entwickeln wird als der DAX. Dafür gibt es mehrere Gründe. Unter anderem ist das Ergebniswachstum höher, und die Unternehmen sind häufig Marktführer in ihrer Nische. Zudem werden viele Mittelständler noch von ihren Gründern geführt, die großen Wert auf nachhaltiges Wachstum legen. Allerdings gehen wir bei den Nebenwerten von einer niedrigeren absoluten Rendite als im Vorjahr aus.
Welche Branchen finden Sie besonders interessant?
Aktuell gibt es interessante Unternehmen im Techbereich, beispielsweise aus dem Semiconductor- oder Telekomsegment.
Einmal losgelöst von den Nebenwerten: Dürfen sich Anleger auf eine Jahresendrally freuen?
Wir glauben weiter an einen ordentlichen Aktienmarkt, der die aktuellen Levels noch etwas ausbauen kann. Was die Märkte dieses Jahr verkraftet haben, kann kaum noch übertroffen werden. Trotz weiterer Störfaktoren wie der US-Wahl: Am Ende zählen Konjunktur und Gewinnerwartungen, und die sehen nicht so schlecht aus, als dass man fallende Kurse erwarten sollte.
Björn Glück ist als Portfoliomanager bei Lupus Alpha für den Fonds Smaller German Champions verantwortlich.