Für die Deutschen war er das Gesicht der Börse, lange bevor es den DAX gab. André Kostolany war erfolgreich als Spekulant, noch erfolgreicher als Bestellerautor. Wie Sie laut der Börsenlegende am Aktienmarkt erfolgreich sind. Von Peter Balsiger

André Kostolany wurde 1906 als Sohn eines wohlhabenden jüdischen Magenbitterfabrikanten in Budapest geboren. Bereits als 13-Jähriger musste er mit seiner Familie im Durcheinander des zusammenbrechenden Habsburger-Regimes vor den Kommunisten, die für kurze Zeit die Macht übernommen hatten, nach Wien fliehen. Er begeisterte sich anfänglich für die schönen Künste, wollte Musik studieren, später Philosophie und Kunstgeschichte. Kunstkritiker war sein erklärtes Berufsziel.

Mitte der 20er-Jahre brach André Kostolany das Studium ab, um auf Wunsch seines Vaters beim Pariser Börsenmakler Adrien Perquel in die Lehre zu gehen. Der 18-jährige Emigrant war fasziniert vom eleganten Leben in der Metropole, er erlag schnell der Faszination des Geldes und begeisterte sich für das seiner Meinung nach irrationale Geschehen an der Börse. Er wurde Zeuge skrupelloser Kursmanipulationen und sah rücksichtslose Hasardeure am Werk. Kostolany war zunächst Makler, wechselte dann in die Beratungsabteilung, um schließlich wenig später als selbstständiger Spekulant zu arbeiten.

Ein Wirtschaftsstudium fand er unnötig. „Das wenige, was ich über Wirtschaft und Finanzen weiß, habe ich nicht an den Universitäten oder aus Fachbüchern, sondern im Dschungel gelernt.“ An der Pariser Börse gehörte er zu den Baissiers — jenen Händlern, die auf fallende Kurse setzten und darauf warteten, „am Schmerz der anderen zu verdienen“. Geld ging damals vor Moral, gab er später zu. Sein Credo: „Ich will unabhängig sein. Und das beste Mittel für Unabhängigkeit ist Geld.“

Bereits als junger Spekulant erlebte er von der Superhausse bis zum großen Crash alle Facetten mit, welche die Börse zu bieten hat. Kostolany begriff schnell, dass die Psychologie der Aktienmärkte ein entscheidender Faktor für Erfolg oder Misserfolg war. Sein Lehrmeister hatte ihn schon früh in die Geheimnisse der Kursentwicklung eingeweiht: „Sie hängt allein davon ab, ob mehr Dummköpfe als Aktien da sind oder mehr Aktien als Dummköpfe.“ Er entzog sich dem Herdentrieb — und als 1929 nach dem Schwarzen Freitag an der Wall Street die meisten Makler in Paris noch an eine Fortsetzung der Rally glaubten, setzte er auf einen Kurssturz. Im Herbst 1930 kam es zum Crash an der Pariser Börse. Kostolany war auf einen Schlag reich.

Das Geld sollte er im gleichen Jahr wieder verlieren. Er hatte weiter auf fallende Kurse gesetzt. Aber als der amerikanische Präsident Herbert Hoover dem Deutschen Reich einen großen Teil der im Versailler Vertrag festgelegten Reparationszahlungen stundete, schossen die Aktienkurse nach oben. Kostolany hatte jetzt Schulden und musste zeitweise einen Job als einfacher Makler annehmen.

André Kostolanys Börsen-Tipp: „Entscheidend für den Erfolg ist, dass…“

Niemand liegt immer richtig, sah er ein: „Entscheidend für den Erfolg ist, dass der Spekulant etwas häufiger richtig liegt als falsch.“ In dieser Zeit entwickelte er auch eine seiner wichtigsten Maximen: „Ein wirklicher Börsianer, der zur meisten Zeit auch Spekulant und nicht nur Anleger ist, ist immer auch ein Stehaufmännchen. Er fällt, verliert alles, hat eine neue Idee, und mit dieser Idee gelingt es ihm dann. Mit diesen neuen Ideen konnte ich dann wieder aufstehen und mein Geld machen.“

Als die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg kurz vor Paris stand, floh Kostolany nach Amerika. Er war gut vorbereitet. Rund 200 000 Dollar hatte er bereits in den USA in Sicherheit gebracht — nach heutigem Maßstab ein Vermögen von vier Millionen Dollar. In seinem Gepäck versteckte er Goldbarren, 1000-Dollar-Goldmünzen sowie dicke Bündel von Dollar- und Franc-Noten, mit denen er die Fluchthelfer bezahlte.

An der Wall Street versuchte er sein Glück mit amerikanischen Aktien, arbeitete als Generaldirektor und Hauptaktionär für die G. Ballai and Cie Financing Company. „Die USA, das waren meine schönsten Jahre“, meinte er einmal — eine Heimat fand er dort dennoch nicht.

Guru aus Langeweile – Erfolg mit Schlafmittel-Credo

1950 kehrte er als amerikanischer Staatsbürger nach Paris zurück. Kostolany spekulierte wieder, etwa mit deutschen Vorkriegsanleihen, die er für 250 Franc das Stück kaufte und ein paar Jahre später für 35 000 Franc verkaufte. In den 60er-Jahren lebte er von seinem Vermögen — und langweilte sich. Er schrieb ein Buch über die Börse, das sich gut verkaufte, und begann für Zeitungen zu arbeiten. Der knapp 1,60 Meter große Kosto, wie ihn seine Freunde nannten, suchte jetzt das Rampenlicht: Er hielt Vorträge, organisierte Seminare, trat auf dem World Economic Forum auf und wurde schon zu Lebzeiten zur Legende.

Der weltgewandte Spekulant mit Guru-Status, nie um ein Bonmot oder eine Anekdote verlegen, machte damals die Börse zu einem breiten gesellschaftlichen Thema. Seine Weisheiten kleidete er oft in eingängige Metaphern. Die Anleger teilte er in „Hartgesottene“ und „Zittrige“ ein, bekannt sind Sprüche wie: „Einer Straßenbahn und einer Aktie darf man nie nachlaufen. Nur Geduld: Die nächste kommt mit Sicherheit.“ Berühmt ist sein Schlafmittel-Credo: Anleger sollten solide internationale Aktien kaufen, Schlaftabletten schlucken, sich zur Ruhe betten und nach fünf oder sechs Jahren aufwachen und sich über tolle Gewinne freuen. Börsenprofis streiten allerdings darüber, ob diese Strategie des „Buy and hold“ heute nicht ausgedient hat.

„André Kostolany hat die deutsche Börse mehr geprägt als Deutsche, Dresdner und Commerzbank zusammen“, schrieb die „Welt“. „Besser als jeder Lottogewinner verkörpert er den Traum vom mühelosen Reichtum.“

1969 gründete er zusammen mit Gottfried Heller die Vermögensverwaltung Fiduka. Heller über seinen Freund: „Er besaß einen wunderbaren jüdischen Humor, und er war Optimist. Aber Kosto konnte auch anders. Wie so mancher reiche Mensch war er, nun ja, ein ziemlicher Geizkragen. Wenn er mal eine Rechnung selber zahlte, dann hat er 20 Pfennig Trinkgeld gegeben, das war mir dann schon ein bisschen peinlich.“

Kostolany hatte inzwischen Wohnsitze in Paris, an der Côte d’Azur, in München und Budapest. Er reiste noch mit über 90 Jahren rastlos durch die Welt, obwohl ihn seine Frau drängte, sich endgültig in die Villa in Südfrankreich zurückzuziehen. „Dann wäre ich bald tot“, meinte Kostolany zu Heller. Wenn er in eine Buchhandlung kam, kontrollierte er sogleich, ob seine Werke über die Börse auch alle vorrätig und gut präsentiert waren.

Der Grandseigneur der Börse starb mit 93 Jahren. Die Baisse nach der Jahrtausendwende war ihm erspart geblieben. Noch bis kurz vor seinem Tod hatte er gegen das Hochjubeln von Internetaktien gewettert: „Der Neue Markt ist ein Betrug. Und es wird irgendwann ein Blutbad geben.“ Wie sehr er damit recht behielt, hat er nicht mehr erlebt.

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