Auch die Zahl der Finanzierungsrunden stieg kräftig um 62 Prozent auf 588, wie die Beratungsgesellschaft EY errechnete. Demnach bekamen im ersten Halbjahr so viele Start-ups frisches Geld wie nie zuvor.
Erneut floss das meiste Geld von Investoren in die Start-up-Hochburg Berlin. Gründer aus der Hauptstadt sammelten laut der EY-Analyse allein 4,1 Milliarden Euro ein - dreimal so viel wie im Vorjahreszeitraum. Die Zahl der Finanzierungsrunden in Berlin kletterte um 74 Prozent auf 263. Auf Rang zwei folgt Bayern mit 2,5 Milliarden Euro an frischen Investments und 120 Finanzierungsrunden.
Die größten Summen flossen an die Münchner Software-Firma Celonis (830 Millionen Euro) und den Berliner Online-Broker Trade Republic (747 Mio). Es folgten das Versicherungs-Start-up Wefox und Flixbus (je 539 Mio) sowie der Lieferdienst Gorillas (241 Mio).
Im vergangenen Jahr hatte die Pandemie den Aufschwung vieler Start-ups kräftig gebremst: Geldgeber hielten sich zurück, Finanzierungen platzten, die Geschäfte junger Firmen wurden mühsamer. Das große befürchtete Gründersterben blieb jedoch bisher aus. "In diesem Jahr sehen wir ebenfalls einen Corona-Effekt, allerdings in die umgekehrte Richtung: Finanzierungsaktivitäten und -summen explodieren", erklärte EY-Partner Thomas Prüver zu der am Mittwoch veröffentlichten Studie. "Vor allem aber fließen Summen in einzelne Jungunternehmen, die vor einigen Jahren undenkbar gewesen wären."
So kletterte die Zahl der Transaktionen mit einem Volumen von über 100 Millionen Euro von 2 auf 15. Die Zahl der mittelgroßen Finanzierungsrunden von 50 bis 100 Millionen Euro verdoppelte sich auf 16. Es sei viel Liquidität im Markt, die im Niedrigzinsumfeld angelegt werden müsse, sagte Prüver. Zudem gebe es ein Umdenken. "Die Digitalisierung hat im Pandemiejahr einen riesigen Schritt nach vorn gemacht hat." Neue Geschäftsmodelle würden mit anderen Augen gesehen.
Auch der Bundesverband Deutsche Start-ups sieht einen deutlichen Aufwärtstrend. Es gebe Nachholeffekte aus dem vergangenen Jahr und viele digitale Geschäftsmodelle hätten angesichts der Krise stark an Bedeutung gewonnen, sagte Geschäftsführer Christoph Stresing. Bei sehr großen Finanzierungsrunden hinke Deutschland aber immer noch hinterher. Der gesamte Finanzierungszyklus auch vor Börsengängen müsse gestärkt werden. Start-ups und schnell wachsende junge Firmen beschäftigten in Deutschland bereits mehr als 415 000 Menschen.
Start-ups sind auf Geld von Investoren angewiesen, da sie in aller Regel anfangs keine Gewinne schreiben. Fonds und große Unternehmen stecken Kapital in verheißungsvolle Firmen in der Hoffnung, dass sich deren Geschäftsideen durchsetzen und ihnen üppige Profite bescheren. Start-ups gelten als wichtiger Innovationstreiber für die Wirtschaft.
Die Corona-Krise hatte jedoch die Pläne vieler Existenzgründer zunichte gemacht. 2020 wagten nach Daten der staatlichen Förderbank KfW etwa 537 000 Menschen den Sprung in die Selbstständigkeit, gut 11 Prozent weniger als im Vorjahr. Dieses Jahr dürfte es mit der Konjunkturerholung wieder aufwärts gehen, erwartet das Institut.
Doch auch wenn die Geldspritzen für Start-ups zuletzt wieder üppig ausfielen: Sie konzentrieren sich auf wenige Standorte. Berlin und Bayern stehen laut EY zusammen für 65 Prozent aller Finanzierungsrunden und 87 Prozent des investierten Kapitals. "Gerade die ganz großen Deals finden in erster Linie in Berlin und Bayern statt". Sie seien auch international am meisten sichtbar.
Andere Bundesländer verzeichneten zwar ebenfalls kräftige Zuwächse beim eingeworbenen Geld, konnten aber nicht mithalten. So folgten auf Berlin und Bayern mit riesigem Abstand Baden-Württemberg (307 Millionen), Nordrhein-Westfalen (171 Mio) und Sachsen (134 Mio).
Und noch ein Problem bleibt am Start-up-Standort Deutschland: Es mangelt trotz einiger Fortschritte an Wagniskapital großer Investoren. Der Löwenanteil von 54 Prozent des weltweit investierten Wagniskapitals sei 2020 auf die USA entfallen, zeigt eine aktuelle Studie des Deutschben Aktieninstituts (DAI). Auf Europa komme ein Anteil von 13 Prozent - hier liegt Deutschland je Einwohner deutlich hinter Schweden, Irland und Großbritannien.
"Vor allem Unternehmen mit spezialisiertem Geschäftsmodell und hohem Finanzierungsbedarf sind auf ausländische Investoren angewiesen", sagt DAI-Geschäftsführerin Christine Bortenlänger. Auch bei der Börsenfinanzierung liege Deutschland hinter den USA, wo es viele risikofreudige und kapitalstarke Investoren gibt. So gingen die deutschen Impfstoffhersteller Biontech (BioNTech (ADRs)) und CureVac in den Vereinigten Staaten an die Börse - "ein Armutszeugnis für den Finanzierungsstandort Deutschland", findet das Aktieninstitut.
dpa-AFX