Die Küche im Apartment von Hanna Kasper in Manhattan ist klein. Statt zu kochen stöbert die Immobilienexpertin abends nach der Arbeit deshalb lieber im Onlinemenü des Essenslieferanten Seamless. Der in New York dominierende Dienstleister für Speisen auf Rädern gehört seit 2013 zu Grubhub, Amerikas Essenslieferant Nummer 1. Rund 500 Dollar hat Stammkundin Kasper während der vergangenen drei Monate für ihr angeliefertes Essen ausgegeben. Die 27-Jährige kennt viele der Boten von Seamless mit Vornamen. Vor allem Kaspers Altersgruppe, die Generation Z, also jene, die nach 1990 geboren wurden, beschert Essenslieferdiensten in Amerika hohe Zuwachsraten. Fast alle der 552 Millionen Onlinebestellungen in den USA im vorigen Jahr gingen auf das Konto der Generation Z, fanden die Marktforscher der NPD Group heraus.

In Europa glänzen international aufgestellte Anbieter wie Just Eat aus Großbritannien, Takeaway.com aus den Niederlanden und Delivery Hero aus Berlin mit hohen zweistelligen Zuwächsen beim Umsatz. Essenskuriere mit bunten Boxen auf Motorrollern und Fahrrädern sind in Städten allgegenwärtig. Das Geschäft mit Lieferungen aus Restaurants und Fast-Food-Ketten boomt weltweit, angetrieben vor allem vom Lebensstil der Generation Z.

300 Milliarden Dollar Potenzial


In Amerika wird der Markt bisher von Schwergewichten wie Grubhub aus Chicago und Uber Eats, einer Tochter des seit Mai börsennotierten Mobilitätsdienstleisters Uber, geprägt. Mit digi­talen Plattformen im Web und Bestellungen via App, die, so der Marktforscher Euromonitor, in den wichtigsten Märkten weltweit die Hälfte der Bestellungen ausmachen, könnte der Gesamtumsatz im Jahr 2022 weltweit auf über 300 Milliarden Dollar wachsen, schätzt Euromonitor. Global erwarten die Experten jährliche Steigerungsraten von durchschnittlich 13 Prozent.

Das gewaltige Potenzial lockt in den USA Schwergewichte wie Amazon und Uber aus der Reserve. Uber Eats ist bereits seit Längerem aktiv. Angeheizt wird das hektische Treiben auch durch Scharen von Start-ups, die von Risiko­kapitalfirmen großzügig mit den nötigen Mitteln ausgestattet werden. Fünf Milliarden Dollar wurden 2018 in US-­Firmen wie Doordash oder Postmates investiert, viermal so viel wie im Vorjahr. Die Geldgeber setzen darauf, dass einer der Aufsteiger mit seiner Technologie den Markt dereinst ähnlich dominieren wird wie Amazon, Facebook oder Google. Bisher hat es jedoch keine Firma geschafft, sich derart zu entwickeln wie die großen Vorbilder.

Stattdessen wird in den USA viel Geld verbrannt, etwa bei den Versendern sogenannter Kochboxen, in denen Gemüse und andere Zutaten für die rasche Zubereitung stecken. Beispiel Blue Apron: Nach dem Börsengang kam das Unternehmen 2017 auf über zwei Milliarden Dollar Börsenwert und war damit ein IPO-Schwergewicht, ein sogenanntes Einhorn. Doch dann schrumpften negative Quartalsberichte den Wert des Ex-Einhorns auf aktuell unter 60 Millionen Dollar. Im operativen Geschäft hat Blue Apron seit 2014 über eine halbe Milliarde Dollar verbrannt. Und viele andere Kochbox-Start-ups sind inzwischen pleite. Dennoch bleibt die Zahl der Wettbewerber hoch. Hier nachhaltig Geld zu verdienen ist offensichtlich sehr schwer.

Trotz alledem schlägt sich die Berliner Hellofresh, die in den USA mehr als die Hälfte ihres Umsatzes einfährt, bisher wacker. Einschließlich der im Jahr 2018 übernommenen Firmen Green Chef und Chef’s Plate setzte Hellofresh 2018 mit zwei Millionen Kunden 1,28 Milliarden Euro um und näherte sich mit einem operativen Verlust von 54 bis 58 Millionen Euro der Gewinnschwelle.

In diesem Jahr will die Firma aus dem Portfolio des Inkubators Rocket Internet mit einer Steigerung der Erlöse um 25 bis 30 Prozent operativ erstmals Gewinne schreiben. Rocket Internet ist mit dem Verkauf seines Anteils von fast 29 Prozent im Mai von Bord gegangen.

Auch in dem deutlich größeren Markt für Lieferanten von Fertigessen sind globale Gewinner bisher schwer auszu­machen. Für Turbulenzen im europä­ischen Markt sorgte Onlineriese und ­Logistikprofi Amazon. Im Mai erwarb der Konzern mit einer Gruppe von Investoren für 575 Millionen Dollar Anteile am britischen Aufsteiger Deliveroo. Das Start-up aus London ist weltweit in 14 Ländern präsent, darunter auch in Deutschland.

Amazon macht Just Eat nervös


An der Börse macht der Einstieg von Amazon indes vor allem die Aktionäre des stark auf seinen Heimatmarkt fokussierten britischen Deliveroo-Konkurrenten Just Eat nervös. Der Aktienkurs der profitablen Firma hat sich nach dem Einbruch im Mai bisher kaum erholt.

Die Papiere der Lieferdienste auf dem Festland, Delivery Hero und Takeaway.com, haben die Verluste weitgehend ausgeglichen. Investoren gehen davon aus, dass die Firmen Deliveroo erfolgreich die Stirn bieten können. Um ihre Netzwerke, die für einen profitablen Ausbau des Geschäfts eine notwendige Voraussetzung sind, zu erweitern und Wettbewerb zu vermeiden, schlossen die Unternehmen im Dezember einen aufsehenerregenden Deal: Delivery Hero überließ sein Deutschland-­Geschäft (Foodora, Lieferheld, Pizza.de) dem hierzulande mit Lieferando aktiven Konkurrenten. Dafür zahlte Take­away.com 508 Millionen Euro und überschrieb den Berlinern einen Anteil von 15,5 Prozent. Die bisher defizitären Internetplattformen der beiden Unternehmen werden zusammengeführt. Zudem sparen sich die Rivalen in dem wichtigen Markt einen großen Teil der bisherigen Werbeausgaben.

An der Börse wurde die kaufmännische Weitsicht im Dezember mit einem Kursaufschlag von 30 Prozent bei Takeaway.com und von zehn Prozent bei Delivery Hero honoriert.

Seit Jahresbeginn legte der Börsenwert von Delivery Hero dann noch mal um ein Viertel zu, bei Takeaway.com waren es mehr als 40 Prozent Plus. Im Geschäftsjahr werden die Niederländer ihren Erlös nach Schätzungen von Analysten um mehr als 80 Prozent auf rund 405 Millionen Euro erhöhen.

Dabei spielt der Kauf des Deutschland-Geschäfts von Delivery Hero eine wesentliche Rolle. Deutschland ist für den Dienstleister aus Amsterdam der mit Abstand größte Markt. Auf dem Kontinent ist Takeaway.com nach Umsatz die Nummer 3, mit viel Abstand auf Just Eat und Delivery Hero mit jeweils etwas mehr als einer Milliarde Euro Umsatz.

Der Fokus auf Europa zahlt sich aus


Während die Konkurrenz auch außerhalb Europas präsent ist - Delivery Hero etwa weltweit in 43 Ländern -, konzentriert sich Takeaway.com beim Ausbau des Geschäfts auf neun Länder sowie außerhalb Europas auf Israel und Vietnam. Diese Fokussierung zahlt sich bei der Rendite aus. Nächstes Jahr sollten die Niederländer erstmals schwarze Zahlen schreiben. Takeaway.com hat in seinem Länderportfolio noch viel Potenzial. Für Essenslieferungen geben die in diesen Staaten lebenden 240 Millionen Menschen laut Zahlen der Marktforscher von Euromonitor jedes Jahr 13 Milliarden Euro aus. Mit aktuell mehr als 400 Millionen Euro Umsatz kann ­Takeaway.com also kräftig zulegen.

Der nach Umsatz deutlich größere Berliner Konkurrent Delivery Hero wird nach Schätzungen von Analysten den Sprung in die schwarzen Zahlen frühestens 2022 schaffen. Das liegt auch an den hohen Investitionen, die für den Ausbau der Präsenz in 43 Ländern notwendig sind. Rund drei Viertel der Essensbestellungen kommen nach Schätzungen der Analysten von JP Morgan über Delivery Heros Marktplatz im Internet. Knapp ein Fünftel davon liefern Ketten wie Dominos Pizza, Burger King oder Starbucks.

Laut einer internen Analyse von McDonald’s stammen 70 Prozent der Bestellungen über Lieferdienste von Kunden, die selten in den Filialen essen. Für die Ketten ist es ein Zusatzgeschäft, für die Lieferdienste sind es zuverlässige Einnahmen. Lieferdienststammkundin Kasper in Manhattan bestellt auch ihre Getränke online.

Investor-Info

Takeaway.com
Gewinne in Sicht


Im April schloss der Amsterdamer Essenslieferdienst den Kauf des Deutschland-Geschäfts von Delivery Hero ab. Wenn die Niederländer am 31. Juli ihre Bilanz für das erste Halbjahr vorlegen, erwarten Investoren auch den Ausblick aufs Gesamtjahr, den Takeaway.com wegen des jüng­sten Deals verschoben hatte. Analysten trauen der Firma 2019 den ersten operativen Gewinn zu. Wegen der Fokussierung auf Europa und auf Profitabilität ist die Aktie unser Favorit.

Empfehlung: Kaufen.
Kursziel: 100,00 Euro
Stoppkurs: 64,00 Euro

Delivery Hero
Prognose erhöht


Die zweite Erhöhung der Umsatzprognose für 2019 bescherte dem Lieferdienst im Juni ein zweistelliges Kursplus. Nun wird ein Erlös zwischen 1,3 und 1,4 Milliarden Euro avisiert, 200 Millionen Euro mehr als bisher. Gegenüber 2018 wäre das nahezu eine Verdopplung. Für die Finanzierung des Wachstums wird mehr Geld benötigt. Der operative Verlust soll deshalb zwischen 270 und 320 Millionen Euro liegen. Risikofreudige greifen zu.

Empfehlung: Kaufen.
Kursziel: 50,00 Euro
Stoppkurs: 32,00 Euro

Hellofresh
Auf schwierigem Terrain


In seinem wichtigsten Markt USA gehört der Berliner Kochboxversender trotz der dort zahlreichen Wettbewerber bisher zu jenen, die Konkurrenten übernehmen. Außerhalb des US-Marktes schreibt Hellofresh operativ bereits Gewinne. Neues dazu gibt es bei der Bilanz zum Halbjahr am 13. August. Mit 1,28 Milliarden Euro Umsatz im Vorjahr stellen die Berliner beim Erlös für 2019 ein Plus von 25 bis 30 Prozent in Aussicht. Mit Blick auf den schwierigen Markt gilt: abwarten.

Empfehlung: Beobachten.
Kursziel: 9,00 Euro
Stoppkurs: 7,00 Euro