BÖRSE ONLINE: Herr Deglow, die Comdirect kauft die Onvista Bank. Warum, Sie sind doch bisher aus eigener Kraft gut gewachsen?
Sven Deglow: Das stimmt. Wir wollen auch weiterhin organisch wachsen. Aber klar ist auch: Solche Gelegenheiten bieten sich im Markt nicht oft. Die Onvista AG passt mit ihren tradingaffinen Kunden und dem renommierten Finanzportal gut zu Comdirect und unserer Strategie, die erste Adresse für Sparen, Anlegen und Handeln mit Wertpapieren zu sein. Der Erwerb stützt damit unsere Wachstumsambitionen.
Herr Bayer, warum hat die ING-DiBa hier nicht zugegriffen?
Matthias Bayer: Wir wachsen dieses Jahr um 80 000 neue Depots, da brauchen wir nicht unbedingt auf Zukäufe zu schielen.
Herr Oetting, was kommt auf die Kunden der Onvista Bank zu? Werden sie auf die Plattform der Comdirect verschmolzen?
Ralf Oetting: Beide Geschäftsmodelle ergänzen sich gut. Auch die Kunden der Onvista Bank werden von dieser Transaktion profitieren. Die Angebote, die Tools, das Team und eben auch die Onvista-Preise werden sich aufgrund dieser Transaktion nicht verändern. Natürlich werden wir uns anschauen, ob wir etwa durch die gemeinsame Nutzung von Backend-Systemen Kostenvorteile erzielen können. Hier konkrete Aussagen zu treffen wäre jedoch verfrüht.
Was passiert mit dem Finanzportal Onvista? Und wie sieht der Übernahmezeitplan aus?
Oetting: Onvista.de ist mit zehn bis zwölf Millionen Visits im Monat eine der meistbesuchten Finanzwebsites in Deutschland und ein etablierter Name für unabhängige Informationen rund ums Thema Finanzen. Beide Häuser möchten daher gerne an diesem Namen und an dem Portal festhalten und es weiter ausbauen.
Deglow: Der Erwerb steht noch unter dem Vorbehalt der Genehmigung der Bankaufsichts- und Kartellbehörden. Wir rechnen damit, dass die Transaktion im ersten Kalenderhalbjahr 2017 abgeschlossen ist.
Eine deutlich größere Übernahme ist gerade technisch über die Bühne gegangen. Die Kunden der DAB Bank sind seit Mitte November Kunden der Consorsbank. Das Umstellungswochenende verlief reibungslos. Beim Brexit-Votum im Juni war das noch anders, da gab es kurzzeitig Probleme. Herr Gröning, was haben Sie dieses Mal besser gemacht?
Stefan Gröning: Beim Brexit hatten wir am Morgen danach aufgrund unerwartet hoher Last Probleme. Kunden konnten sich für einen kurzen Zeitraum nicht einloggen. Wir haben danach mit Experten die Situation analysiert und umfangreiche Maßnahmen für größere Stabilität und Last getroffen. Das Zusammenführen von DAB und Consorsbank war aber ein Projekt, an dem wir zwei Jahre lang gearbeitet haben. Und das monatelange Üben und Testen hat sich ausgezahlt, alles hat ohne Probleme geklappt - und wir sind seit dem 14. November eine Bank.
Bei der Comdirect klappte der Brexit, dafür gab es einen Monat später eine dicke Panne.
Deglow: Beim Einspielen eines Updates über Nacht trat ein Fehler auf. Da konnten einige Kunden zeitweise die Konten anderer Kunden einsehen. Es konnte jedoch zu keiner Zeit Geld abverfügt werden. Wir haben den Fehler schnell abgestellt und sichergestellt, dass er sich nicht wiederholen wird.
Onlinesicherheit ist für Kunden zentral, und Pannen tragen nicht dazu bei, Vertrauen zu bilden. Sicherheitsbedenken halten immer noch viele Deutsche von Onlinebanking und Brokerage ab. Was tun Sie, um Kunden klarzumachen, dass ihr Geld bei Ihnen sicher ist?
Niklas Helmreich: Das Wichtigste bei der Onlinesicherheit ist einmal die Verfügbarkeit, damit die Kunden an ihre Konten und Depots auch möglichst immer rankommen. Da haben wir alle hier am Tisch unsere Hausaufgaben gemacht und viel investiert. Bei Flatex arbeiten wir daher immer noch mit einem Referenzkonto: Der Kunde kann Geld nur auf dieses Konto überweisen.
Bayer: Bei der ING-DiBa haben wir auch das Referenzkontenprinzip. Außerdem geben wir schon seit Langem das DiBa-Sicherheitsversprechen im Onlinebanking: Sollte ein Dritter Missbrauch mit den Zugangsdaten betreiben, dann ersetzen wir den Schaden. Die Anzahl der Schadensfälle ist aber konstant sehr niedrig.
Gröning: Das Sicherheitsversprechen für unsere Kunden geben wir auch. Wir Banken aber sollten überhaupt nur sichere TAN-Verfahren anbieten, zum Beispiel das Mobile-TAN-Verfahren oder TAN-Generatoren. Denn manche Kunden sind etwas träge, gehen ungern von den gewohnten TAN-Listen weg - und vertrauen darauf, dass schon nichts passiert. Sie müssen dazu gebracht werden, die wirklich sicheren TAN-Verfahren zu nutzen. Bei uns gibt es keinen Anstieg von Onlinekriminalität, im Gegenteil, die neuen Verfahren wirken.
Aber auch die Kunden sollten auf der Hut sein vor Onlinekriminellen.
Deglow: Ja, sie müssen zum Beispiel dafür sorgen, dass auf ihren Rechnern möglichst neue Antivirensoftware geladen ist und die Betriebssysteme immer auf dem neuesten Stand sind.
Oetting: Wir stellen als einziger Anbieter unseren Kunden kostenlos die IBM-Software Trusteer zur Verfügung. Sie sichert die Verbindung zwischen dem Kundenrechner und dem Server bei uns ab.
Zurück zum Stichwort Branchenkonsolidierung. Hält der Trend 2017 an, und wie stellt sich Ihr Haus dazu - Übernehmer oder Übernahmekandidat?
Helmreich: Wenn wir über unseren Tellerrand der Aktienbroker und Direktbanken hinwegblicken und auch die CFD- und Forex-Broker betrachten, dann tummeln sich derzeit auf dem deutschen Markt 45 Broker. Das sind einfach zu viele. Da werden wir gewiss noch eine Konsolidierung sehen. Flatex und unsere Mutter Fintech Group werden sicher nicht auf der Seite der zu Übernehmenden sein, sondern eher einen aktiven Teil dazu beitragen. Aktuelle regulatorische Entscheidungen, die den Handel mit CFDs einschränken, werden die Wachstums- und Profitabilitätserwartungen nicht belasten, nachdem unsere Mutter Fintech Group seit 2015 kein eigenes risikotragendes CFD-Handelsbuch mehr betreibt.
Umgekehrt gibt es Anbieter wie Degiro, die erst vor zwei Jahren mit Niedrigpreisen auf den deutschen Markt gekommen sind und inzwischen 128 000 Kunden in Europa haben, mit Deutschland als wichtigem Markt. Irgendwo müssen diese Kunden herkommen, vielleicht auch von Ihnen, Herr Helmreich?
Helmreich: Außerhalb des Heimatmarkts, den Niederladen, sehe ich für Degiro nicht die großen Erfolge. Dort sind sie ähnlich vorgegangen wie wir, als wir vor zehn Jahren in Deutschland gestartet sind. Wir sind mit unserer Flatfee von 5,90 Euro angetreten und haben die etablierten Broker mit günstigen Preisen angegriffen. Klar gibt es mal einen Kunden, der dorthin wechselt, aber das ist keine große Bewegung.
Einerseits Preiskampf, andererseits werden in Deutschland in der Nullzinsphase Gebühren für Girokonten wieder salonfähig. Führen auch Sie bald Konto- oder Depotgebühren ein?
Bayer: Bei uns bleiben Depots, Verrechnungskonto, Girokonto oder das verzinste Extra-Konto kostenlos. Alles andere wäre kontrapoduktiv. Weil andere Banken Gebühren einführen, eröffnen wir gerade eine Flut von Girokonten - allein in den letzten drei Monaten circa 150 000.
Helmreich: Da zeigt sich, wer seine Kostenstruktur im Griff hat und wer nicht. Es ist nicht an der Zeit, Depotgebühren einzuführen, sondern man braucht preisliche Flexibilität, auch um etwa neu eintretenden Anbietern Paroli bieten zu können.
Bayer: Die Negativzinsphase führt dazu, dass unsere Sparkunden sich langsam immer mehr auch mit Wertpapieren beschäftigen. Bei uns sind in diesem Jahr schon drei Milliarden Euro an Spargeldern ins Wertpapiergeschäft geflossen. Klar, wir haben über 100 Milliarden an Einlagen, da klingt das wie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Aber es ist ermutigend, dass die Leute allmählich verste-hen, dass sie im Nullzinsumfeld auf Spargeld keine Erträge erwirtschaften. ETFs haben daher dieses Jahr bei uns stark zugelegt.
Waren ETFs und Sparpläne darauf das Produkt des Jahres bei deutschen Onlinebrokern?
Oetting: Definitiv! ETFs sind auch das Produkt der Zukunft.
Gröning: Nicht nur ETF-Sparpläne, auch Fonds- und Aktien-Sparpläne stoßen auf mehr Interesse, aber es ist noch Luft nach oben.
Bayer: Da seien Sie getröstet, auch eine Lawine beginnt oben am Berg erst als kleiner Schneeball.
Deglow: Für viele sind Sparpläne der niedrigschwellige Einstieg ins Thema Wertpapieranlage. Ein Beispiel ist unser neu gestartetes Bonussparen: Wenn man über unsere Website auf ein Shoppingportal mit derzeit rund 800 Händlern geht, werden die Rabatte, die die Händler einräumen, automatisch in ETFs investiert.
Auch Roboadvisor, also automatisierte Anlageberater, könnten so manchem Kunden helfen, sich endlich zu überwinden und in Wertpapieren zu sparen. Wäre das etwas für die ING-DiBa?
Bayer: Wir fühlen uns mit unserem Modell des beratungsfreien Geschäfts sehr wohl, aber wir können uns auch eine Kooperation im Bereich Roboadvice mit einem Anbieter im nächsten Jahr gut vorstellen, weil wir schon sehen, dass es hierfür einen gewissen Bedarf bei unseren Kunden gibt.
Gröning: So wohl sich die ING im beratungsfreien Bereich fühlt, so wohl fühlen wir uns im Beratungsgeschäft, wir bieten das schon lange an. Bei uns bekommt der Kunde auch echte Honorarberatung. Ich glaube allerdings nicht, dass ein herkömmlicher Robo, der eine Profilierung macht und einem dann eins von fünf Standardportfolios zuteilt, wirklich die Lösung ist. Es geht um das Kundenvertrauen. Wir arbeiten 2017 daran, das Angebot in Richtung einer wirklichen digitalen Beratung weiterzuentwickeln.
Deglow: Unser Roboadvisor "Anlageassistent" läuft schon mehrere Jahre, mehrere Tausend Kunden haben darüber einen insgesamt dreistelligen Millionenbetrag investiert. Wir werden unser Angebot im kommenden Jahr weiter ausbauen und für andere Kundengruppen öffnen.
Mit welchen neuen Services dürfen Ihre Kunden 2017 noch rechnen? Was ist mit einem Multibanking-Service auf der Website, um Konten und Depots bei verschiedenen Anbietern auf einen Klick im Blick zu haben?
Bayer: Multibanking bieten wir schon bei unserer Kontostands-App an, auf der Website, also im Onlinebanking, kommt es sehr wahrscheinlich nächstes Jahr.
Deglow: Bei uns ist die Agenda 2017 wieder sehr voll. Schon bald bieten wir unsere noch sehr neue Trading-App auch als iOS-Version an. Außerdem werden wir unseren Depotmanager noch übersichtlicher und intuitiver gestalten.
Oetting: Anfang 2017 launchen wir den Derivatebereich auf Onvista.de neu. Ferner werden Kunden mit uns ihre eigenen Zertifikate auflegen können.
Herr Gröning, Sie können wieder etwas anderes machen als Fusion. Was kommt?
Gröning: Als einziger Anbieter ermöglichen wir es schon heute, physisches Gold digital zu kaufen und zu verkaufen. Wir wollen es künftig auch sparplanfähig machen. Konsumentenkredite werden ausgebaut, ebenso unsere Fonds- und ETF-Sparplanpalette - die beliebten Starpartnerschaften werden weitergeführt. Und wir planen ein Angebot für digitale Beratung.
Helmreich: Flatex wird durch seine Architektur als offene Plattform auch 2017 der Onlinebroker mit dem breitesten und günstigsten Zertifikateangebot bleiben. Diese Position werden wir gemeinsam mit Morgan Stanley noch ausbauen. Wir werden unseren tradingaffinen Kunden noch ein paar Möglichkeiten an die Hand geben: Handelssignale, Social Trading und Roboadvice - in der genannten Reihenfolge.