von Emmeran Eder, Euro am Sonntag

Nicht die Abstimmungsniederlage des von der britischen Premierministerin Theresa May ausgehandelten Brexit- Abkommens war überraschend, sondern, wie krachend sie ausfiel. Nur 202 Abgeordnete im britischen Parlament votierten für ihren Plan, 432 dagegen.

Trotzdem nahmen die internatio­nalen Börsen und Devisenmärkte das Ergebnis erstaunlich gelassen auf und reagierten kaum. Das könnte überzogener Optimismus sein. Schließlich haben die Mandatsträger das Land so in ein ziemliches Chaos gestürzt. "Damit geht die Hängepartie zunächst weiter", sagt David Milleker, Chefvolkswirt von Union Investment.

Nachdem May am Mittwoch ein Misstrauensvotum im Parlament überstanden hat, steht sie weiterhin in der ­Verantwortung. Bis Montag ist sie nach den Regularien verpflichtet, mit der Opposition zu sprechen und einen Plan B vorzulegen. Über diesen hat dann das Parlament bis zum 31. Januar zu entscheiden. So, wie sich die Lage darstellt, gibt es mehrere Szenarien, die eintreten könnten.

Neuverhandlungen mit der EU

May könnte erneut mit der EU verhandeln, um Änderungen am Brexit-Deal mit den Europäern zu erreichen. Diese Strategie schlug aber schon Anfang Dezember fehl. Damals blies May die Abstimmung im Londoner Parlament wegen der geringen Erfolgsaussichten ab und reiste nach Brüssel. Die EU machte ihr aber nur marginale Zugeständnisse.

Das könnte dieses Mal genauso sein. Einige europäische Regierungschefs ­haben schon klargestellt, dass die Europäer den Briten sowieso schon sehr weit entgegengekommen seien. Zudem sind sie zunehmend genervt von dem Gezeter in London, da sie nicht wissen, was die Engländer eigentlich wollen.

Allerdings ist nun auch enormer Druck im Kessel. Mit der Drohung eines schon Ende März bevorstehenden un­geordneten Brexits und dessen schwer kalkulierbaren ökonomischen Folgen könnte die EU jetzt nachgiebiger sein als noch vor sechs Wochen. Wahrscheinlich ist, dass die Austrittsfrist von der EU zusammen mit der britischen Regierung auf Ende Juni verlängert wird, um Zeit zu gewinnen. Anfang Juli tritt das neu gewählte Europaparlament zusammen. Eine Verlängerung darüber hinaus hätte zur Folge, dass die Briten noch einmal zur Europawahl gehen müssten, was absurd wäre.

Brüssel könnte Konzessionen in der umstrittenen Frage zur Grenze von Nord­irland zu Irland machen. Denkbar wäre auch ein engerer Konsultationsmechanismus, der den Briten mehr Handlungsspielräume gegenüber der EU lässt.

Mit diesen Zugeständnissen im Gepäck könnte May dann in wenigen Wochen eine zweite Abstimmung über den Austrittsvertrag ansetzen. Das Kalkül: Da bis zum ungeordneten Austritt dann nicht mehr viel Zeit ist, würden viele Parlamentarier in London doch in den sauren Apfel beißen und sich für den ungeliebten Brexit-Deal entscheiden. Wahrscheinlicher ist aber, dass die EU hart bleibt oder den britischen Parlamentariern die Zugeständnisse trotzdem nicht ausreichen.

Auch ein Rücktritt vom Brexit durch die Briten selbst, der nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom Dezember juristisch möglich ist, gilt als unrealistisch. Dazu müsste das britische Parlament zustimmen und damit das Ergebnis der Volksabstimmung ignorieren. Die Regierung hat sehr klar geäußert, dass sie diese Option nicht ziehen wird.

Wenig Chancen haben auch die Optio­nen Norwegen Plus und Türkei-Modell. Eine Anbindung an die EU wie Norwegen würde bedeuten, dass Großbritannien so wie die Skandinavier an alle ­Gesetze des EU-Binnenmarkts gebunden wäre, ohne selbst mitbestimmen zu dürfen. Zudem akzeptiert Norwegen die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. "Das widerspricht vollständig dem Selbstverständnis der Briten, mitbestimmen zu dürfen", sagt Nicolai von Ondarza, Leiter der Forschungsgruppe EU bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Ähnlich chancenlos beurteilt er das Türkei-Modell. Dann wäre Großbritannien in Form einer Zollunion an die EU angeschlossen. Dafür gibt es zwar in der ­Labour-Partei Sympathien, die Tories sind aber strikt dagegen.

Chancen sieht von Ondarza dagegen für ein weiteres Referendum zum Brexit. "Ein erneutes Referendum gewinnt zunehmend an Popularität, weil das Parlament blockiert ist", so der Experte. Das ist aber mit Hürden verbunden. Wegen der Einhaltung von rechtlichen Beschränkungen hat ein Referendum eine Vorlaufzeit von mindestens 22 Wochen. Das hätte zur Folge, dass das Austrittsdatum mindestens auf Ende 2019 verlängert werden müsste. Dem müssten nur die EU-Regierungen, nicht aber das EU-Parlament zuzustimmen. Auf das Referendum selbst hat die EU keinen Einfluss. Ob sie noch einmal wählen, entscheiden die Briten allein. Nachteil: Da im Mai Europawahlen stattfinden, müssten die Briten wegen der Verlängerung der EU-Zugehörigkeit noch einmal zu den Wahlurnen gehen, um für das Europaparlament zu votieren.

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Schlammschlacht bei Referendum

"Das Referendum ist noch die beste unter den schlechtesten Möglichkeiten", urteilt von Ondarza. "So kann die britische Bevölkerung den Brexit noch mal überdenken. Allerdings dürfte der Wahlkampf dann zu einer gewaltigen Schlammschlacht ausarten", befürchtet er. Neben dem Referendum hält er einen harten Brexit für die wahrscheinlichste Option. So zerstritten wie das britische Parlament sei, seien die Chancen dafür stark gestiegen.

Harter Brexit wird wahrscheinlicher

Das sieht auch Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, so: "Die Geschichte zeigt: Häufig sind schon Dinge geschehen, obwohl niemand sie wollte. Ich erinnere daran, wie Europas Mächte in den ­Ersten Weltkrieg getaumelt sind." Er ist pessimistisch, da er in der britischen ­Politik keine Mehrheiten für eine kon­s­truktive Option sieht, sondern nur negative Mehrheiten, also Anti-Haltungen.

Daher rät er deutschen Firmen, sich auf den harten Brexit einzustellen und ihre Notfallpläne auszulösen. Er hält die Folgen eines harten Brexits für Deutschland und Europa aber für überschaubar. Der Protektionismus von Donald Trump und die wirtschaftliche Abkühlung in China seien bedeutsamer.

Großbritannien selbst könnte dagegen als Wirtschaftsstandort hart getroffen werden. Dort dürften durch den Brexit viele Arbeitsplätze verloren gehen. Die britische Notenbank rechnet für diesen Fall mit der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Um 8,5 Prozent würde die Wirtschaftsleistung nach den Berechnungen der Bank zurückgehen. Zudem dürfte das britische Pfund gegenüber dem US-Dollar nachgeben und die Inflation kräftig anziehen. Die Konsequenzen seien für das Vereinigte Königreich vergleichbar mit denen bei der Finanzkrise. Schlimmer als die ökonomischen Folgen seien aber noch die gesellschaftlichen Auswirkungen: "Das größte Problem besteht darin, die Spaltung der Gesellschaft wieder irgendwie zu heilen", so Hüther.

Neben Großbritannien würden wohl auch die wichtigsten Handelspartner ­Irland und die Niederlande von einem harten Brexit stark in Mitleidenschaft gezogen werden. In Deutschland dürften sich für die Unternehmen, die ins Vereinigte Königreich exportieren, die Folgen in Grenzen halten. Die Zölle erhöhen angesichts der Marktposition der deutschen Anbieter nur die Preise, welche die Briten zu bezahlen haben. Jedoch könnte durch eine Rezession in Großbritannien der Produktabsatz dort dann kräftig sinken.

Deutsche Exporteure sind gelassen

60 Prozent der deutschen Exporteure rechnen nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft nicht mit signi­fikanten Einschnitten, nur drei Prozent mit spürbaren Effekten. Schwieriger könnte es dagegen für deutsche Firmen werden, die im Vereinigten Königreich Fabriken haben und dort herstellen - wegen benötigter Produktzertifizierungen für den Import in die EU.

Doch selbst ein Brexit mit Austrittsabkommen hätte negative Auswirkungen für Großbritannien - aber deutlich abgemildert im Vergleich zum harten Brexit. Bei einem reibungslosen Handel und unveränderten Immigrationsbedingungen würde das Bruttoinlands­produkt laut britischer Notenbank um 0,6 Prozent zurückgehen. Ohne Zuwanderung und mit Beschränkungen beim freien Handel läge der Einbruch bei rund vier Prozent.

Volatilität wird vorerst anhalten

Die Aktienmärkte gehen bisher noch von einem geordneten Ausstieg der Briten aus und vertrauen darauf, dass es nicht zum Schlimmsten kommt. Einige englische Hedgefondsmanager, die erklärte Brexit-Befürworter sind, haben zuletzt sogar ihre Positionen verändert und setzen auf ein steigendes Pfund und wieder anziehende britische Aktien. Sie gehen von einem neuen Referendum aus, das pro Europa ausfällt. Das ist aber gewagt. Sicher ist nur, dass britische ­Aktien und das Pfund weiterhin volatil bleiben. Wohin sie sich entwickeln, ist aber kaum prognostizierbar.

Wer auf einen geordneten Brexit setzen will, für den eignet sich ein ETF auf Dividendenaktien, da die durchschnittlichen Ausschüttungen britischer Papiere ­aktuell mit 6,5 Prozent hoch sind und auch als Kurspuffer wirken. Einzel­handelstitel dürften nach wie vor leiden, da die Inselbewohner wegen der unsicheren politischen und ökonomischen Situation vorerst weiterhin ihr Geld zusammenhalten werden.

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Investor-Info

iShares UK Dividend ETF
Britische Dividendenaktien

Neben Autotiteln zählen die britische Aktien inzwischen zu denen mit den höchsten ­Dividendenrenditen. Mit dem iShares UK ­Dividend ETF können Investoren darauf ­setzen. Die Dividendenrendite des ETFs ­beträgt aktuell 6,53 Prozent. Ausgeschüttet wird vierteljährlich. Finanz- und Konsum­güterwerte sowie Versorger dominieren in dem Fonds. Es besteht ein Währungsrisiko.

MS Mini Future Short Tesco
Brexit schadet dem Geschäft

Die britischen Verbraucher halten sich wegen der Brexit-Unsicherheit mit Ausgaben zurück. Das spürt auch die Supermarktkette Tesco, da Kunden die billigeren Konkurrenten Aldi und Lidl vorziehen. Nach einer Baisse seit Juni 2018 leitete die Aktie zuletzt eine technische Gegenbewegung ein. Falls Tesco den Abwärtstrend wieder aufnimmt, profitieren ­Anleger mit dem Mini-Future-Short-Zertifikat von Morgan Stanley auf Tesco mit Hebel 2.

Kosten für Unternehmen
Harter Brexit wird teuer

Die Kosten des harten Brexits belaufen sich nach Berechnungen der Beratung Oliver ­Wyman für britische Unternehmen auf 32 Milliarden Euro. Das ist fast so viel wie für die Firmen aller anderen EU-Länder zusammen. Auf deutsche Firmen entfallen neun Milliarden Euro. Am stärksten betroffen sind die Sektoren Auto, Chemie, Industrie, Nahrungsmittel und Konsum, die 80 Prozent der Ausgaben zu tragen hätten. Besonders involviert sind ­Bayern, Baden-Württemberg und NRW.