Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten Großbritannien am Donnerstagabend nach mehrstündigem Ringen eine kurze Verschiebung des bevorstehenden EU-Ausstiegs gewährt. Sollte das britische Parlament dem ausgehandelten Austrittsvertrag noch zustimmen, soll der Brexit bis zum 22. Mai verschoben werden. Sollte das Unterhaus dagegen nicht zustimmen, soll es eine Verlängerung nur bis zum 12. April geben. "Bis zu dem Datum sind alle Optionen möglich, der Sturz in den Abgrund wird verschoben", sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk. May stimmte dem Zeitplan zu.
Allerdings muss die britische Regierung bei einem erneuten "Nein" des Parlaments bis zum 12. April entscheiden, ob das Land an der EU-Wahl vom 23. bis 26. Mai teilnimmt. "Wenn bis dahin nicht entschieden wird, fällt die Option einer deutlichen Verlängerung weg", sagte Tusk. Alternativ dazu gäbe es einen Austritt des Landes ohne Abkommen. Dies wollen May und die EU vermeiden. Deutsche Industrieverbände wie der DIHK und die Chemie-Lobby VCI warnten erneut vor verheerenden Folgen auch für die deutsche Wirtschaft den Fall eines "No Deals".
"MOMENT DER ENTSCHEIDUNG"
May hatte ursprünglich einen Aufschub des Brexit-Datums bis Ende Juni gefordert. Das lehnten die EU-Staats- und Regierungschefs aber ab, weil es rechtliche Probleme mit der Europawahl Ende Mai geben könnte. "Die Europawahl ist das Limit. Darüber können sie nicht hinausgehen", warnte der dänische Ministerpräsident Rasmussen. Wie Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron warnte am Freitag auch der kroatische Regierungschef Andrej Plenkovic, dass man auf die Stabilität der EU achten müsse.
May will das britische Parlament nächste Woche wieder über den Vertrag abstimmen lassen. Parlamentspräsident John Bercow lehnt zwar eine dritte Abstimmung bislang mit der Begründung ab, ein Votum ergebe nur dann Sinn, wenn die Vorlage in ihrer Substanz geändert werde. Dies soll nun dadurch umgangen werden, dass die EU May eine Zusicherung gab, dass die unlängst in Straßburg erreichte Erklärung über die irisch-nordirische Grenze juristisch verbindlich und Teil des Austrittspakets sein soll. Hintergrund ist die Debatte über einen sogenannten "backstop", der nach dem Brexit eine harte Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland verhindern soll.
May hatte Unterhaus-Abgeordneten noch in der Nacht von Brüssel aus aufgefordert, kommende Woche dem Austrittsvertrag mit der EU zuzustimmen. "Ich hoffe, dass wir alle übereinstimmen, dass nun ein Moment der Entscheidung ist", sagte die Premierministerin nach den Beratungen. Der Abgeordnete MacKinlay von Mays Tory-Partei sagte allerdings im irischen Sender RTE zu den Aussichten einer Zustimmung: "So wie das parlamentarische Chaos derzeit aussieht, würde ich sagen, es ist sehr, sehr unwahrscheinlich."
rtr