Die Entscheidung könne formell durch ein schriftliches Verfahren umgesetzt werden, ohne dass ein EU-Gipfeltreffen nötig werde. Die Regelung ist demnach flexibel und erlaubt auch einen früheren Ausstieg, falls das Parlament in London den Brexit-Vertrag mit der EU vorher ratifizieren sollte.
Nun ist der britische Premierminister Boris Johnson am Zug: Denn das schriftliche Verfahren soll erst dann starten, wenn er zugestimmt hat. Johnson ließ über einen Sprecher mitteilen, er wolle zunächst die Details prüfen. Erst wenn er grünes Licht gegeben hat, läuft die Uhr. Die verbleibenden Regierungen der EU-Staaten sollen dann 24 Stunden Zeit haben, das Verfahren letztlich abzusegnen: "Dies wird es ermöglichen, dass die Entscheidung morgen formell angenommen wird", sagte ein EU-Diplomat, der namentlich nicht genannt werden wollte. Ein anderer EU-Vertreter warnte jedoch, womöglich werde es erst Mittwoch soweit sein und damit die Zeit äußerst knapp werden.
"GUTE LÖSUNG"
Die Bundesregierung begrüßt das Angebot der EU für einen erneuten Brexit-Aufschub. Das sei eine "gute Lösung", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. "Jetzt liegt der Ball bei Großbritannien." Es sei nun wichtig, dass die zusätzliche Zeit produktiv genutzt werde. Auch die europapolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Franziska Brantner, wertete das Vorgehen positiv: "Die EU zeigt mal wieder, dass das Brexit-Chaos nicht an ihr liegt. Johnson muss die Verlängerung nun gut nutzen, um einen politischen Konsens zu erreichen." Den bekomme er nicht mit markigen Worten, sondern indem er auf die anderen Parteien und die andere Hälfte der Bevölkerung zugehe: "Er muss dem Parlament jetzt genügend Zeit geben, den Deal zu debattieren und kann dann das Volk in einer Neuwahl abstimmen lassen."
Eigentlich sollte am Donnerstag um 24.00 Uhr die EU-Mitgliedschaft der Briten enden. Der als Brexit-Hardliner bekannte Premierminister wurde jedoch vom Unterhaus per Gesetz gezwungen, in Brüssel eine Verlängerung um drei Monate zu beantragen. Johnson strebt gleichwohl Neuwahlen im Dezember an. Er benötigt dafür aber eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament, das im Laufe des Tages darüber abstimmen sollte.
Sollten sich Brüssel und London nicht einig werden, droht ein ungeregelter EU-Ausstieg. Er dürfte die Wirtschaft nach Ansicht der britischen Notenbank letztlich in die Rezession stürzen. Auch hierzulande warnt der Arbeitgeberverband Gesamtmetall vor den Folgen eines ungeregelten EU-Austritts: "Ein harter Brexit würde den Briten, aber auch der Europäischen Union extremen wirtschaftlichen Schaden zufügen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Oliver Zander.
Chefvolkswirt Alexander Krüger vom Bankhaus Lampe sieht die von der EU angebotene erneute Fristverlängerung skeptisch: "Denn mit den ständigen Austrittsverschiebungen droht ein Schrecken ohne Ende, der in der EU niemandem hilft." Eine erneute Brexit-Verschiebung und ein harter Brexit seien weiter möglich.
rtr