Sie urteilten, dass solche Techniken nur eingesetzt werden dürften, um vor einem plötzlichen Motorschaden zu schützen, der eine konkrete Gefahr beim Fahren bedeute.(Az: C-693/18) Die Hersteller nutzen Lücken im EU-Recht bisher aus, indem sie die Abgasreinigung von Dieselmotoren bei kühlen Temperaturen drosseln oder gar ganz abschalten. Bei Volkswagen sorgte der Einbau einer illegalen Abschalteinrichtung für einen Milliardenschaden. An der Aufarbeitung des Skandals hat VW immer noch zu knapsen.

"Der Gerichtshof hat die Ausnahmeregelung nicht für ungültig erklärt", erläuterte ein Sprecher. Sie sei aber eng auszulegen und dürfe durch allzu großzügige Ausnahmen nicht ihres Sinnes entleert werden. Damit schloss sich der EuGH dem Gutachten der Generalanwältin an, die solche Techniken bei der Abgasreinigung in ihrem Schlussplädoyer Ende April für unzulässig erklärt hatte. Diese könnten ausnahmsweise nur genehmigt werden, wenn die Einrichtung notwendig sei, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen. Es sei Sache nationaler Gerichte, im Einzelnen festzustellen, ob solche Vorrichtungen, die in der Branche weit verbreitet sind, noch unter die Ausnahmereglung fielen. Fast alle Autobauer nutzen "Thermofenster" und argumentieren dabei mit dem Motorenschutz.

"DIESELSKANDAL HOLT DIE BRANCHE EIN"


Verbraucheranwälte erwarten eine Klagewelle. Ihrer Ansicht nach stuft der EuGH auch sogenannte "Thermofenster" als illegal ein. Die auf Dieselklagen spezialisierte Kanzlei Goldenstein & Partner ist der Auffassung, die von den Autobauern verwendeten Abgassysteme schützten höchstens vor dem Verschleiß oder der Verschmutzung des Motors. "Der Abgasskandal holt nun nahezu sämtliche namhaften Fahrzeughersteller ein. Der Automobilindustrie drohen Rekord-Rückruf- und -Klagewellen", erklärte Rechtsanwalt Claus Goldenstein.

Volkswagen erklärte, die Gerichte hätten solche Klagen bisher in den meisten Fällen abgewiesen. Entscheidend sei, ob der konkrete Einsatz einer Abschalteinrichtung eine "vorsätzliche sittenwidrige Schädigung" darstelle. "Die eingesetzten Thermofenster waren aber als industrieweiter Standard bei Dieselfahrzeugen grundsätzlich den Behörden und dem Gesetzgeber bekannt." Sie unterlägen einer regulatorischen Bewertung und würden geprüft und genehmigt. Selbst wenn sie im Einzelfall im Nachhinein als unzulässig bewertet werden sollten, was sich durch das EuGH-Urteile nicht ergebe, begründe dies keine Haftung wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung.

Ausgangspunkt des EuGH-Verfahrens ist eine Klage aus Frankreich, bei der es um den im Abgasskandal von Volkswagen bekannt gewordenen Dieselmotor EA 189 geht. Ein französischer Ermittlungsrichter wollte durch den Gerichtshof klären lassen, wann eine nach EU-Recht verbotene Abschalteinrichtung vorliegt und in welchen Fällen Ausnahmen zulässig sind. Während der Dieselskandal von Volkswagen juristisch als weitgehend geklärt gilt, steht für die Automobilindustrie die Frage nach den Ausnahmen im Zentrum. Als solche werden sogenannte "Thermofenster" verstanden, die nach Darstellung der Autobauer dem Schutz der Motoren dienen.

Experten des deutschen Kraftfahrt-Bundesamtes und der nach dem VW-Dieselskandal eingesetzten Untersuchungskommission waren zu dem Schluss gekommen, dass die gesetzlich mögliche Ausnahme von der Abgasreinigung von allen deutschen Herstellern exzessiv genutzt wird. Volkswagen hatte vor fünf Jahren auf Druck der US-Umweltbehörden zugegeben, millionenfach bei Dieselautos eine illegale Software eingebaut zu haben. Diese sorgte dafür, dass die Wagen die Abgaswerte nur auf dem Prüfstand einhielten. Auf der Straße stießen sie hingeben ein Vielfaches mehr giftigen Stickoxids aus. Volkswagen musste millionenfach Dieselautos in die Werkstätten rufen und ein Software-Update aufspielen, um die Abgasmanipulation zu beenden. In den Augen von Verbraucheranwälten sind auch solche Software-Updates eine Abschalteinrichtung.

rtr