Für die Börse fiel einer der wichtigsten Sätze zum Ende der Pressekonferenz. Der Videogipfel des EU-Rats verlief "in einer Atmosphäre, in der Verhandlungen gut starten können", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Auf dem virtuellen Treffen vergangenen Freitag sprachen die Regierungschefs erstmals über den 750 Milliarden Euro schweren Corona-Hilfsplan der EU-Kommission. Um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu bewältigen, will die EU gemeinsame Schulden aufnehmen und 500 der 750 Milliarden Euro als Zuschüsse vergeben, die nicht zurückgezahlt werden müssten.
Eine Einigung auf der Konferenz hatte daher niemand erwartet. Nach dem Treffen liegen die Länder bei fast allen Fragen unverändert weit auseinander, vom Volumen des Fonds über den Mix zwischen Zuschüssen und Krediten bis zum Verteilungsschlüssel. Doch statt offener Konflikte gibt es Kompromissbereitschaft. Streitpunkt scheint nicht, ob die Milliarden kommen, sondern wer wie viel erhält. Die Aufnahme gemeinsamer Schulden stellte kein einziges Mitglied infrage. Damit bleibt die Hoffnung auf den Wiederaufbaufonds bestehen.
Das Hier und Jetzt zählt
Vorausgesetzt, der "Next Generation EU" getaufte Fonds wird nicht stark geschrumpft oder der Startzeitpunkt in weite Ferne gerückt, dürfte der Börse die genaue Ausgestaltung des Programms jedoch egal sein. Auch dass die Milliarden das Wirtschaftswachstum in Europa nachhaltig beschleunigen, erwarten die wenigsten. "Als Ökonom glaube ich nicht, dass der Wiederaufbaufonds den Euroraum langfristig stabilisiert", sagt etwa Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Doch "solche Bedenken sind den kurzfristig orientierten Märkten fern. Für sie kommt es darauf an, dass ein Wiederaufbaufonds den Ländern im Süden im Hier und Jetzt hilft und die Währungsunion insofern stabilisiert", so Krämer. Die Sorge um den Zusammenhalt der EU entspringt der hohen Verschuldung von Peripheriestaaten wie Spanien oder Italien. Diese wurden besonders stark von der Corona-Pandemie getroffen, haben wegen ihrer angespannten Haushalte aber weniger Geld, um die Krise zu bekämpfen.
Käme Südeuropa nicht aus der Rezession, würden die Staatsfinanzen jedoch noch wackliger, die Spekulationen über ein Auseinanderbrechen der EU noch größer. Für Graham Secker könnte das Konjunkturprogramm daher als "fiskalisches Äquivalent zu Mario Draghis berühmter What-ever-it-takes-Rede angesehen werden". Vorausgesetzt, das Hilfspaket werde annähernd wie vorgeschlagen umgesetzt, sagt der Aktienstratege von Morgan Stanley. Entsprechend ist die US-Bank weniger wegen besserer wirtschaftlicher Perspektiven, sondern aufgrund eines sinkenden Risikoabschlags "deutlich optimistischer für europäische Vermögenswerte".
Geld vom Staat und von US-Investoren
Tatsächlich dürften das wachsende Vertrauen in die EU und die neuen Finanzierungsmöglichkeiten für die Mitglieder die Anleihezinsen für die Südländer drücken. Gleichzeitig macht die wachsende Stabilität sowie die im Vergleich zu den US-Börsen günstige Bewertung europäische Anlagen attraktiv. Davon könnten insbesondere Vermögensverwalter wie Amundi profitieren. Bisher sammeln die Franzosen etwa 80 Prozent aller Investorengelder in Europa ein. Steigt der Risikoappetit von US-Investoren auf europäische Aktien, könnte Amundi vor starken Mittelzuflüssen stehen. Noch direkter kann Bureau Veritas an den geplanten Hilfsmilliarden verdienen. Der Konzern zählt zu den größten Inspektions- und Zertifizierungsgesellschaften der Welt, ist jedoch der günstigste unter den Top 3. Hauptgrund: 35 Prozent der Umsätze stammen aus Europa. Hier sind es vor allem Bau und Infrastruktur, mit denen der Prüfer sein Geld macht - Bereiche, die bei Konjunkturprogrammen klassischerweise als Erstes gefördert werden.
Konjunktur für den Umweltschutz
Gleichzeitig sollen 25 Prozent des Wiederaufbaufonds verwendet werden, um die Energiewende voranzubringen. Damit könnte das Programm dem Energiekonzern Enel in mehrfacher Hinsicht zugutekommen. Durch die entlasteten Staatsbudgets schrumpfen bei dem italienischen Unternehmen die Sorgen vor sinkenden Einspeisevergütungen oder steigenden Steuerabgaben. Zudem stehen erneuerbare Energien bei Enel bereits für knapp die Hälfte der Stromerzeugung und der installierten Kapazitäten.
Die Milliarden für den Umweltschutz dürften nicht nur Versorgern helfen. Im Kampf gegen den Klimawandel spielen Elektromobilität und energetische Sanierungen eine große Rolle. Für das Energiemanagement in E-Autos bietet Infineon ganzheitliche Lösungen, so dürfte auch der Chiphersteller an den Milliardensubventionen partizipieren. Bereits heute macht der Konzern rund 45 Prozent aller Umsätze mit der Autoindustrie. Die hohe Abhängigkeit klingt angesichts der Probleme der europäischen Autoindustrie bedrohlich, doch in einem Stromer werden deutlich mehr Halbleiter verbaut als in einem Verbrenner. Die wachsende Zahl von Chips je Auto sollte Infineon weiteres Wachstum sichern. Wir empfehlen daher beide Aktien wieder zum Kauf.