Dann wird sich schnell zeigen, ob der Spitzenkandidat der Konservativen EVP, Manfred Weber, mit Hilfe von anderen Fraktionen eine Parlamentsmehrheit schmieden kann, die ihn auf den europäischen Top-Job als Präsident der EU-Kommission hievt.

"Das Wahlresultat legt fest, wie gut die Verhandlungspositionen der Parteien sind", sagt ein EU-Vertreter. "Das echte Spiel wird nach der Auszählung der Stimmen beginnen." Falls die Mehrheitssuche nicht fix über die Bühne geht, könnten die EU-Staats- und Regierungschefs das Ruder an sich reißen. Die Gelegenheit ist verlockend, da im Herbst so viele Spitzen-Jobs in der EU frei werden wie schon lange nicht. Neben einem Nachfolger für Jean-Claude Juncker als Kommissions-Chef ist auch die Leitung des Rats - der Vertretung der Mitgliedsländer (derzeit Donald Tusk) -, des Parlaments (Antonio Tajani), der Europäischen Zentralbank (Mario Draghi) und des diplomatischen Dienstes (Federica Mogherini) zu vergeben.

SHOWDOWN


Am Abend des letzten Wahltags, dem 26. Mai, werden zuerst die Parteien versuchen, Kontrolle über die Besetzung der Kommissionsspitze zu gewinnen. Sie gründen ihren Anspruch auf das Top-Amt mit dem bei der Wahl 2014 eingeführten Spitzenkandidaten-Prinzip. Dem zufolge soll der Vertreter der stärksten Fraktion im Parlament auch Kommissionspräsident werden. Die Absprache funktionierte damals, Juncker von der konservativen Europäische Volkspartei (EVP) wurde gewählt. Das Parlament beharrt nun auf einer Wiederholung und droht, gegen andere Bewerber zu stimmen.

So einfach wie 2014 wird eine Neuauflage aber nicht: Der Zeitdruck ist enorm, die mächtigen Staats- und Regierungschefs wollen das letzte Wort behalten und die Mehrheitsverhältnisse sind noch unklar. Anders als bei der Wahl vor fünf Jahren dürften die EVP und die sozialdemokratischen Parteienfamilie (S&D) zusammen nicht mehr auf eine Mehrheit im Parlament kommen, einen Kandidaten zu wählen. Der jüngsten Umfrage von Mitte April zufolge dürfte die Konservativen mit 180 (2014: 217) Parlamentariern stärkste Kraft bleiben. Der Anteil der Gruppe läge bei 24 Prozent. Die Sozialdemokraten würden mit einem Stimmanteil von 20 Prozent den zweiten Rang im Plenum mit 149 (186) Sitzen verteidigen.

Für eine Mehrheit im 751 Sitze zählenden Parlament dürften EVP und Sozialdemokraten also weitere Partner brauchen. Anbieten würden sich die Grünen, die derzeit bei acht Prozent rangieren, und die Liberalen (ALDE), die bei zehn Prozent liegen. "Weber muss in den ersten Tagen nach der Wahl sehr schnell eine Mehrheit organisieren", sagt ein hochrangiger EU-Vertreter. Doch dafür müsste man dem Partner auch einen der Jobs aus der ersten Reihe anbieten - etwa den des Parlamentspräsidenten.

Schwieriger wird die Lage für Weber noch durch die jüngste Absage aus Budapest. Der ungarische Regierungschef Viktor Orban will mit seiner Partei Fidesz nicht mehr Weber bei der Wahl des Kommissionspräsidenten stützen. Damit verliert Weber 12 Stimmen. Fidesz ist formell zwar noch Mitglied der EVP-Fraktion, sie ist derzeit aber suspendiert.

WEIDMANN STATT WEBER


Ohne eine schnelle Mehrheitsfindung dürfte der Ball nach Aussagen von EU-Vertretern dann schnell im Feld der Staats- und Regierungschefs landen. Die haben ihren Anspruch bereits angemeldet und zwei Tage nach der Wahl einen Sondergipfel angesetzt. Auf dem noch nicht offiziellen Treffen könnten unter Leitung von Ratspräsident Tusk wichtige Vorentscheidungen über das künftige Spitzenpersonal gefällt werden, sagen drei mit der Sache vertraute Personen.

Falls Weber nicht den Zuschlag bekommen sollte, haben sich bereits weitere Spieler auf der Ersatzbau positioniert, unter anderem Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier (EVP) und EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager (ALDE). Von der Wahl für die Kommissionsspitze hängen auch die anderen Jobs ab. Dabei wird es nicht nur um die Farbe des Parteibuchs gehen, sondern auch um eine regionale Verteilung und die Förderung von Frauen in den Top-Jobs.

Deutschland will diesmal unbedingt einen Platz in der ersten Reihe. Falls Weber leer ausginge, könnte die Bundesregierung ihr ganzes Gewicht einsetzen, um Bundesbankpräsident Jens Weidmann an die Spitze der EZB zu setzen, sagte ein EU-Vertreter. Sicher ist beim großen EU-Stühlerücken derzeit aber noch nichts. "So verzwickt war die Personalsuche noch nie", sagt ein Brüsseler Beobachter.

rtr