Die drohende Pleite des chinesischen Immobilienkonzerns Evergrande verunsichert Anleger und Gläubiger. Ende August hat Evergrande vor Liquiditäts- und Ausfallrisiken gewarnt. Der Immobilienriese hat eine Schuldenlast von rund 300 Milliarden US-Dollar angehäuft. 2008 stand der Konzern schon einmal vor dem Bankrott. Damals konnte der Gründer Xu Jiayin 600 Millionen Dollar von ausländischen Investoren auftreiben. Nach diesem Coup galt Evergrand als "too big to fail" - zu groß zum Scheitern. Gelingt es dem Immobilienunternehmen nicht, Beteiligungen zu verkaufen und Kredite zu erneuern, drohen nun Ausfälle. Am Donnerstag stehen die nächsten Zinszahlungen in Höhe von 83,5 Millionen Dollar für eine Dollar-Anleihe und 36 Millionen Dollar für eine lokale Anleihe an. Für die Zinszahlung der lokalen Anleihe gab Evergrande ein Zahlungsversprechen und beruhigte die Anleger. Die nächste Zahlungsfrist ende bald, daher sei dieses Versprechen nur ein Tropfen auf den heißen Stein, kommentierte Christian Henke, Analyst vom Brokerhaus IG. Unklar bleibt, ob das Unternehmen auch die Zinsen der anderen Anleihen pünktlich leisten wird. "Die Ansteckungsgefahr für das chinesische und weltweite Finanzsystem ist noch nicht gebannt", erklärte Henke weiter. Dennoch kletterte die Evergrande-Aktie am 22.09 um über 30 Prozent in die Höhe.
Verschuldet ist Evergrande schon lange. Doch schärfere Regeln für Immobilienkonzerne sorgten dafür, dass das Unternehmen seine Finanzen zeitnah in Ordnung bringen muss. Im Juni geriet der Konzern dann in Verzug mit seinen Zinszahlungen.
Die Situation bei Evergrande weckt bei vielen Beobachtern Erinnerungen an die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers. Auf der Suche nach Einnahmequellen hatten Banken zu Beginn des neuen Jahrtausends Hypotheken an US-Bürger vergeben, welche nach klassischen Bonitätsstandards nicht kreditwürdig waren. Anstatt die Darlehen in die eigenen Bücher aufzunehmen, schnürten sie Pakete aus Hypotheken unterschiedlicher Bonitäten und verkauften Zertifikate darauf - die später als "Subprime Mortgage Backed Securities" bekannt wurden. Die Darlehen waren oft mit einem variablem Zins versehen. Der Marktzins stieg in den Jahren 2004 bis 2006 aufgrund einer restriktiven Geldpolitik. Durch die gestiegenen Zinsen konnten Hausbesitzer die Darlehen nicht mehr bezahlen, die Kredite fielen aus. Immer mehr Menschen mussten ihre Immobilien verkaufen. Das Angebot auf dem Immobilienmarkt stieg, die Nachfrage sank - und die Banken sahen ihr Geld nicht wieder. Am 15. September 2008 meldete Lehman Brothers Insolvenz an.
Der Unterschied zu Evergrande: Dem Schuldenberg des chinesischen Unternehmens stehen tatsächlich wertvolle Immobilienprojekte und Grundstücke gegenüber. Mit der Veräußerung von Grundstücken in lukrativen Regionen zögert das Management jedoch noch. Gary Gensler, der Chef der US-Aufsichtsbehörde SEC zeigte sich gelassen. Der US-Finanzmarkt könne den Zusammenbruch von Evergrand verkraften, sagte er.
Um wieder liquide zu werden, hat der Konzern hohe Rabatte für Käufe seiner Wohnanlagen eingeräumt und viele Gewerbeimmobilien verkauft. Durch einen Aktienverkauf im vergangenen Jahr in Höhe von 555 Millionen US-Dollar und den Börsengang seiner Immobilienverwaltungseinheit erhielt der Bauriese zusätzliches Kapital. Die Aktionäre von Evergrande mussten jedoch hohe Verluste einstecken. Seit Beginn des Jahres verlor der Aktienkurs rund 90 Prozent.
Eine Rettung durch die chinesische Zentralregierung scheint unwahrscheinlich. Der Chefredakteur der staatlichen Zeitung "Global Times" Hu Xijin, argumentierte in den sozialen Netzwerken gegen eine staatliche Hilfsaktion. Ein Evergrande-Bankrott sei nicht vergleichbar mit der Lehman Brother Pleite und würde das Finanzsystem wohl nicht ins Wanken bringen, so Xijin. Der unhabhängige Analyst Robin Bhar geht dagegen von einer Rettung durch die Regierung aus. "Sie wird eine Störung der Wirtschaft nicht zulassen," erklärte Bhar.
Inmitten dieser Krise kam es zu einem Fehlverhalten von einigen der Führungskräfte. Sie hätten Investmentprodukte von Evergrande vorzeitig eingelöst. Im Normalfall dürfen unternehmenseigene Anlagen erst nach der vorgesehenen Haltezeit ausgezahlt werden. Der Konzern forderte eine Rückzahlung und möchte Strafen verhängen.
Ungeachtet dieser Probleme versuchte der Evergrande Verwaltungsratschef Hui Ka die Mitarbeiter zu beruhigen. In einem Brief erklärte er, dass der Immobilienkonzern seine dunkelste Stunde hinter sich lassen werde. Zudem versicherte er, dass die Firma seine Bauprojekte abschließen werde und Forderungen von Käufern, Banken und Investoren erfüllen werde.