Wie so häufig stehen den hohen Risiken auch große Chancen gegenüber. In den USA zählen Aktien aus der Gesundheits- und vor allem der Biotech-Branche bereits seit Jahren zu den Outperformern. Daran hat sich auch in den vergangenen Monaten nichts geändert. Während der S&P 500 seit Jahresbeginn nahezu unverändert steht, legte der Nasdaq Biotech-Index um rund 23 Prozent zu. Von dem guten Branchenumfeld profitieren auch die deutschen Unternehmen. Dank den hohen Mittelzuflüssen, gestärkten Bilanzen und neue Kooperationen können kostspieligen Investitionen in der Produktpipeline vorangetrieben werden, was neue Kursfantasie entfacht.
Entscheidend gerade für viele eher kleine Biotech-Unternehmen ist eine möglichst breite Aufstellung, um die Risiken zu begrenzen. Im Idealfall werden mit unterschiedlichen Partnern verschiedene lukrative Wirkstoffe entwickelt, während über ein zweites Standbein Auftragsforschung für große Pharmakonzerne betrieben wird. Genau auf diesen Mix setzt Evotec.
Das Leistungsspektrum der Hamburger umfasst sowohl Dienstleistungen als auch Kooperationen auf Grundlage einer hochmodernen Technologieplattform. Als Forschungsunternehmen profitiert das TecDAX-Mitglied vor allem von der vermehrten Auslagerung der teuren Entwicklungs-Aktivitäten in der Branche. Im Fokus stehen dabei nicht eine höhere Zahl an Produkten, sondern möglichst tiefe Forschungsprozesse. Die Kombination aus Auftragsgebühren, Meilensteinfinanzierungen und Umsatzbeteiligungen führt zu einer besseren Planbarkeit und vermindert unliebsame Überraschungen.
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Namhafte Kunden, viele Projekte
Evotec dürfte bereits in den kommenden Monaten die Früchte seiner harten Arbeit ernten. Im vergangenen Jahr kamen knapp 90 neue Kunden hinzu, die sich nun als Sprungbrett für das künftige Wachstum erweisen sollten. Jüngster und zugleich sehr bedeutender Deal ist die im März abgeschlossene Kooperation mit Sanofi. Evotec entwickelt präklinische Substanzen für die Krebstherapie weiter. Die Zusammenarbeit führt zu garantierten Zahlungen von Sanofi über mindestens 250 Mio. Euro innerhalb der nächste fünf Jahre. Beide Biotechunternehmen legen zudem ihre Substanzbibliotheken zusammen und machen sie für Programme von Partnern zugänglich. Innerhalb der Branche werden die rund 1,7 Millionen Substanzen eine der größten und wertvollsten Ressourcen darstellen und dienen dann als Ausgangspunkt für Wirkstoffforschungsprojekte.
In 2015 ist daher mit der überfälligen Trendwende bei den erfolgsbasierten Umsätzen zu rechnen, meinen die Analysten von Montega. Zuletzt zeigte sich auch Unternehmenschef Werner Lanthaler optimistischer und erhöhte nach dem Sanofi-Deal die Umsatzprognose für das laufende Jahr von 20 auf 35 Prozent. Mögliche Sondereffekte wie Meilensteinzahlungen aus den laufenden Forschungskooperationen sind dabei nicht berücksichtigt und bieten Fantasie auf der Oberseite. Wegen der höheren Umsatzprognose verdichten sich die Hinweise, dass Evotec bereits im laufenden Jahr einen gegenüber den vorherigen Erwartungen größeren Anteil an dem mit Sanofi vereinbarten Deal über 250 Mio. Euro als Umsatz vereinnahmen wird.
Untermauert werden die sich verbessernden Aussichten durch das zuletzt rasant gewachsene Portfolio von über 70 Entwicklungsprojekten, mit denen die Basis für einen länger anhaltenden Nachschub an attraktiven Produktkandidaten gelegt wurde. Evotec hat sich auf die Bereiche Neurowissenschaften, Stoffwechselerkrankungen, Schmerz, Entzündungskrankheiten und Krebs spezialisiert. Abgerundet wird das Angebot durch eine Reihe von eigenen Wirkstoffkandidaten, wo die Hamburger zusammen mit Partnern an den Megathemen Diabetes und Alzheimer forschen.
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Nächster Kurssprung Ende Juni?
Besonders neue Nachrichten zum Wirkstoffkandidaten EVT302 zur Behandlung von Alzheimer könnte sich in den kommenden Wochen als größer Kurstreiber erweisen. Evotec forscht hier zusammen mit Roche. "Durch die Kooperation sind wir in einem Milliarden-Markt dabei, ohne selber ins Risiko zu gehen", sagte Evotec-Chef Lanthaler bei Verkündung des Deals 2011. Wichtig zu wissen: Nach Angaben von Montega ist die Studie eine der weltweit wenigen spätphasigen Studien in dieser Patientengruppe. Innerhalb der kommenden drei Wochen werden die Daten aus der Phase-IIb erwartet und stellen die Weichen für die Zukunft. Erst dann lassen sich die Marktchancen und somit auch der Pipelinewert genauer bestimmen, die Meldung dürfte sich deutlich im Aktienkurs niederschlagen. Im positiven Fall werden Meilensteinzahlungen von über 30 Mio. Euro mit Beginn der nachfolgenden Phase III fällig. Insgesamt können die Hamburger auf erfolgsabhängige Zahlungen von bis zu 820 Mio. Dollar hoffen, falls EVT 302 sein Ziel erreicht. Damit nicht genug: Sollte das Medikament auf den Markt kommen, erhält Evotec eine Umsatzbeteiligung im zweistelligen Prozentbereich. Weltweit leiden mehr als 45 Millionen Menschen an Alzheimer, für Evotec würde sich hier ein Milliardenmarkt öffnen. Bereits im Jahr 2010 wurden rund 604 Mrd. Dollar für die Behandlung von Demenz ausgegeben.
Ebenso schlimm ist der seit Jahren deutlich steigende Trend von Diabetes-Fällen. Nach Angaben der International Diabetes Federation sind derzeit weltweit knapp 390 Millionen Menschen von der Zuckerkrankheit betroffen, bis zum Jahr 2035 könnte die Zahl auf 592 Millionen Patienten steigen. Hier ist Evotec mit den Substanzen EVT 770 und ALM in Zusammenarbeit mit AstraZeneca aktiv. Beide Kooperationen könnten Meilensteinzahlungen von 437 Mio. Euro auslösen sowie signifikante Umsatzbeteiligungen.
Ein weiterer wichtiger Wirkstoffkandidat aus der Datenbank ist EVT 100, ein Wirkstoff gegen Depression. Abhängig vom Erreichen definierter klinischer und regulatorischer Erfolge wird Evotec von Janssen Meilensteinzahlungen erhalten, die für ein erstes Produkt insgesamt bis zu 67 Mio. Dollar betragen können und für andere Indikationen und Folgeprodukte reduziert sind. Zusätzlich hat Evotec Anspruch auf kommerzielle Meilensteinzahlungen in Höhe von bis zu 100 Mio. Dollar, abhängig vom Erreichen bestimmter Umsatzgrenzen.
Die Kooperation mit Sanofi könnte sich als Ritterschlag für Evotec erweisen, deren Tragweite derzeit noch nicht abzusehen ist. Neue namhafte Konzerne dürften den Deal aufmerksam verfolgen und könnten ebenfalls eine Zusammenarbeit mit den Hamburgern beginnen. Schon jetzt ist die Wirkstoff-Pipeline gut gefüllt und sollte im Erfolgsfall den Sprung in neue Dimensionen ermöglichen. Weitere Meilensteinzahlungen und Partnerschaften dürften sich mittelfristig als Katalysator erweisen. Wie bei allen Biotech-Aktien sind aber auch die Risiken zu beachten. Einsteigen sollten daher nur spekulative Anleger. Börse Online siedelt das Kursziel bei fünf Euro an und empfiehlt einen Stopp bei 3,25 Euro.
Franz-Georg Wenner ist Chefredakteur des börsentäglichen Anlegermagazins "Index-Radar". Der Spezialist für Technische Analyse ist regelmäßiger Gast beim Deutschen Anlegerfernsehen (DAF), Gastautor bei n-tv und gern gesehener Vortragsredner. Er hält regelmäßig Webinare, referierte unter anderem beim Verein Technischer Analysten Deutschlands (VTAD) und betreute mehrere Jahre für die Commerzbank den Zertifikate-Newsletter ideas daily. www.index-radar.de