Alljährlich infizieren sich in den USA rund zwei Millionen Menschen mit Bakterien, die auf die gängigen Antibiotikatherapien nicht ansprechen. In 23 000 Fällen führt dies unmittelbar zum Tod. Die weltweite Todesrate wird unabhängigen Analysen zufolge auf rund 700 000 Personen jährlich geschätzt. Diese Zahl könnte bis 2050 nach aktuellen Schätzungen auf zehn Millionen ansteigen, wenn die Entwicklung neuer Therapien nicht mit dem Auftreten neuer resistenter Keime, sogenannter Superbugs, Schritt hält.
Die Antibiotikaforschung steht an einem Scheideweg. Da viele Antibiotika nicht mehr wirken, sind Innovationen wichtiger denn je. Aber wie lässt sich in einem Markt Geld verdienen, der dem Wettlauf zwischen Hase und Igel gleicht? Da sich die Keime ständig weiterentwickeln, werden heute wirksame Medikamente vielleicht schon morgen nicht mehr gebraucht. Neue Geschäftsmodelle müssen her.
Wegen der Anpassungsfähigkeit der Bakterien an vorhandene Behandlungsmethoden lassen sich Infektionskrankheiten nicht vollständig ausrotten. Daher ist die Handhabung des Problems wichtiger als seine Beseitigung. Es müssen neue Antibiotika entwickelt werden, die den Wirkstoffresistenzen idealerweise immer einen Schritt voraus sind. Diese Tatsache sorgt dafür, dass sich der Markt stets neu erfinden muss, aber eben auch nie von einer Sättigung gesprochen werden kann.
Wie wichtig die Forschung ist und wie sehr die Gesellschaft auf sie angewiesen sein wird, liegt auf der Hand. Neue Antibiotika gegen Problemkeime werden dringend gebraucht. Forschende Pharmaunternehmen arbeiten weltweit an solchen Präparaten und bringen seit einigen Jahren auch wieder mehr davon auf den Markt. Doch damit die Medizin weiterhin die Oberhand behält, müssen noch wesentlich mehr Wirkstoffe entwickelt werden.
Aus den vielen Initiativen, Absichtsbekundungen und (unternehmerischen) Forderungskatalogen haben die Experten von Cashkurs*Trends die wichtigsten Fakten destilliert:
Geschwindigkeit: Antibiotika müssen schneller werden. Es ist notwendig, die Erforschung und Entwicklung diagnostischer Schnellmethoden zu fördern, damit möglichst frühzeitig eine gezielte Antibiotikatherapie eingeleitet werden kann. Bisher dauert es oft zwei und mehr Tage, bis die Infektionserreger identifiziert sind; in dieser Zeit muss auf Basis von Erfahrungswerten nach dem Gießkannenprinzip mit Antibiotika behandelt werden.
Aufklärung: Sicherstellung eines medizinisch angemessenen Einsatzes vorhandener Antibiotika. Denn je mehr davon eingesetzt werden, umso mehr Resistenzen bilden sich heraus. Die Sinnhaftigkeit einer Verschreibung muss künftig noch sorgfältiger abgewogen und möglichst durch mikrobiologische Tests abgesichert werden.
Kooperation: Internationale Forschung synchronisieren, Gründung eines globalen Forschungsfonds, der den Aufbau einer weltweiten Infrastruktur für die akademische Forschung an neuen, resistenzbrechenden Antibiotika grundfinanzieren soll - mit jährlich 200 Millionen US-Dollar für die nächsten zehn Jahre. Parallel zur akademischen Forschung sollten zukünftig ein oder mehrere globale Entwicklungsfonds die Entwicklung klinischer Studien für die neuen, dringend benötigten Arzneimittel unterstützen.
Wettbewerb: Ein "Global Launch Reward", vorgeschlagen von der Boston Consulting Group, soll die - sehr risikoreiche - Vermarktung neuer Antibiotika mit der attraktiven "Marktstart-Prämie" von einer Milliarde US-Dollar belohnen. Geplant ist die Förderung als risikoabsicherndes Darlehen, das bei Beginn von Phase-II-Studien zu greifen beginnt und von den geförderten Unternehmen nur im Fall eines genau beschriebenen Markterfolgs zurückzuzahlen ist.
Zwei der aus Aktionärssicht interessantesten Spieler der Antibiotikaforschung sind nach Erkenntnissen der Experten von Cashkurs*Trends Gilead Sciences und Evotec.
Spezialist für Infektionskrankheiten
Gilead Sciences ist ein weltweit operierendes Biotechnologieunternehmen. Kernkompetenz ist die Entwicklung von therapeutischen Lösungen für die Behandlung von lebensbedrohlichen Infektionskrankheiten. Dabei konzentriert sich Gilead Sciences insbesondere auf Pilzinfektionen, Tumorerkrankungen, HIV und Hepatitis-B. Die Arzneimittel enthalten hauptsächlich Wirkstoffe, die im eigenen Haus entwickelt werden. Mit der Übernahme der Biotechfirma Pharmasset hat sich Gilead vor Kurzem verschiedene aussichtsreiche Medikamente für die Behandlung von Leberentzündungen gesichert. Rund 8000 Mitarbeiter sind bei Gilead beschäftigt. Das Unternehmen verfügt über Standorte in Nordamerika, Europa und Australien und erzielte im Geschäftsjahr 2016 einen Umsatz von 30,3 Milliarden US-Dollar.
Gut vernetzt mit den Großen
Evotec beschäftigt über 500 Wissenschaftler und arbeitet mit Technologien auf den Indikationsgebieten der Neurologie wie Alzheimer, Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes, außerdem Krebs, Entzündungs- und Infektionskrankheiten. Das Unternehmen arbeitet in Forschungsallianzen mit internationalen Partnern wie AstraZeneca, Bayer, Sanofi und Roche zusammen. Der Hamburger TecDAX-Konzern profitierte zum Jahresstart von umfangreichen Meilensteinzahlungen aus seinen Forschungsallianzen mit großen Pharmakonzernen.
Zwischen Januar und März setzte Evotec 50,2 Millionen Euro um, 34 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Dabei zog der sogenannte Basisumsatz (Meilenstein- und Abschlagszahlungen sowie Lizenzen) um nahezu ein Drittel auf 44 Millionen Euro an. Finanzielle Rückendeckung bekam Evotec zudem vor wenigen Wochen: Der neue dänische Großaktionär Novo Nordisk hatte sich im Februar bei einer Kapitalerhöhung für rund 90 Millionen Euro mit knapp neun Prozent bei Evotec eingekauft. Das Unternehmen erzielte im Geschäftsjahr 2016 einen Umsatz von 164,5 Milliarden Euro.