Whitney Tilson ist in der US-Investmentszene eine ­bekannte Persönlichkeit. Millionen US-Anleger kennen den Newsletter-Publizisten, Buch­autoren, TV-Experten sowie ehemaligen Hedgefondsmanager und folgen ­seinen Tipps.

€uro am Sonntag: Sie sind kein Fan von Donald Trump. Aber die Börse haussiert, seit er Steuern gesenkt hat.

Whitney Tilson:

Ich vermute, der Aktienmarkt notiert heute höher, als wenn Hillary Clinton zur Präsidentin gewählt worden wäre. Ich glaube aber, dass Trump sehr viel riskanter für die Börse und Wirtschaft ist. So haben die hohen Steuersenkungen zwar die Aktienkurse nach oben getrieben. Die Kehrseite aber ist, dass wir ein viel höheres Haushaltsdefizit bekommen werden. Kurzfristig steigt die Börse, aber langfristig wird sie niedriger notieren. Der andere Grund, warum wir mit Trump mehr Risiken haben: Der US-Präsident ist unkalkulierbar. Sie wissen nie, was als Nächstes passiert. Kim Jong-un sagt vielleicht etwas Gemeines über ihn. Und schon könnten wir einen Atomkrieg haben.

Glauben Sie nicht, es gibt genug stabile Personen in seinem Umfeld, um so ­etwas zu verhindern?

Solche Persönlichkeiten gibt es in seiner Umgebung immer weniger. Natürlich ist ein Atomschlag sehr unwahrscheinlich und ganz klar das äußerste Risiko. Ein unmittelbares Problem besteht aber auch darin, dass wir uns inmitten eines globalen Handelskriegs mit China und der Europäischen Union befinden. Beide Konflikte können sich verschärfen. Das Risiko, dass Wirtschaft oder Börse unter Druck geraten, ist unter Trump einfach höher.

Trump sorgte aber auch für Deregulierung. Das ist von Vorteil, oder?

Ja. Die Deregulierung hat dem Aktienmarkt einen Schub gegeben. Denn Firmen müssen weniger Vorschriften beachten. Und es gibt mehr Optimismus in der Wirtschaft. Die unter Trump deutlich laschere Kartellbehörde ist allerdings ein Desaster für amerikanische Verbraucher, besonders im Finanzsektor. Wir brauchen mehr Regulierung, nicht weniger. Auch im Energiesektor, speziell in der Kohlebranche, benötigen wir mehr Vorschriften wegen der Erd­erwärmung. Langfristig werden Fehler gemacht - mit Auswirkungen für das Land und für die Börse.

Facebook, Amazon und Alphabet sind monopolartige Firmen, die Sie mögen. Sie trauen ihnen eine Kursverdopplung zu. Warum sind Sie so zuversichtlich?

Es war ein Fehler, Facebook zu erlauben, Whatsapp zu übernehmen, um so seine Dominanz auszubauen. Es wäre besser für die Menschheit und die Aktionäre, wenn Facebook und Alphabet aufgespalten würden, aber das ist unwahrscheinlich. Diese Firmen haben Quasi-Monopole errichtet. Weder Washington noch die Konkurrenz wird etwas daran ändern. Diese Firmen haben mehr Spielraum, um zu wachsen. Deshalb glaube ich, dass die Kurse zulegen werden.

Was ist mit Apple?

Ich bin kein großer Fan von Apple. Ich sehe nicht, wo das Wachstum herkommen soll. Facebook, Alphabet und Amazon werden ihren Umsatz verdoppeln, aber nicht Apple.

Facebook, Amazon und Alphabet haben bereits einen hohen Marktanteil. Wo soll das Wachstum herkommen - aus dem Ausland?

Für jede Firma ist die Antwort etwas anders. Keine Firma ist besser positioniert als Alphabet, um von den nächsten zwei Milliarden Konsumenten zu profitieren, die Smartphones nutzen werden. Alphabet hat sieben Produkte mit jeweils einer Milliarde Nutzern. Alle Produkte sind für die Kunden gratis. Zwei Milliarden Menschen in den Schwellenländern werden bald Android-Smartphones haben. Diese Leute werden E-Mails über G-Mail nutzen. Sie nutzen Google-Karten und so weiter. Google hat das beste Geschäftsmodell in der Welt. Es kostet sie fast nichts, eine oder zwei Milliarden Menschen zusätzlich im Netzwerk zu haben. Ich bin sehr zuversichtlich hinsichtlich der Monetarisierung von Youtube, das eine neunmal so große Wiedergabedauer hat wie Netflix. Und trotzdem hat sich Alphabet dazu entschlossen, es nicht zu stark auszuschlachten. Youtube steht für 20 Prozent der Videos in der Welt, macht aber nur zehn Prozent der Videowerbung. Das zeigt, wie massiv Alphabet die Monetarisierung noch ausbauen könnte.

Alphabet bietet Android gratis an. Die EU fordert, dass das Unternehmen für das ­Betriebssystem Geld verlangt.

Wenn Alphabet beginnt, nur fünf Dollar für jede Person zu verlangen, die Android auf dem Handy hat - das sind etwa 1,2 Milliarden Handys -, wäre das ein gigantischer Geldfluss. Zudem besitzt Alphabet Waymo. Der Spezialist für selbstfahrende Autos kann Schätzungen zufolge 100 Milliarden Dollar wert sein, wenn er unabhängig wäre.

Die Gründer von Alphabet haben sich zurückgezogen. Geht da nicht die ­ursprüngliche Vision verloren?

Sergey Brin und Larry Page haben ihr Geld verdient, sie genießen das Leben. Und Google-Chef Sundar Pichai macht einen guten Job. Warum sollte der Konzern in Zukunft einmal schlecht gemanagt werden.

Auf Seite 2: Fragen und Antworten zu Amazon, Facebook & Co



Warum ist Amazon ein Kauf?

Amazons Cloud-Geschäft läuft einfach großartig. Und die Werbeeinnahmen sind die dritthöchsten weltweit nach Google und Facebook. Darüber hinaus legen sie schneller und von einem deutlich geringeren Niveau aus zu. Die Erträge der beiden Sparten können sich in den nächsten drei Jahren verdoppeln. Wenn Sie zehn oder zwölf Jahre zurückgehen, dann hatte das Retailgeschäft bei Amazon eine operative Marge von fünf Prozent. In den vergangenen zehn Jahren hat das Unternehmen enorme Investitionen hauptsächlich in den Bau von Distributionszentren getätigt. Und es wurde viel Geld in die Forschung und ins Streaming gesteckt, um mit Netflix zu konkurrieren. Diese drei Ausgabenblöcke haben die Marge von fünf auf zwei Prozent reduziert. Mit der Ausgabensenkung in den drei Sektoren dreht die Marge wieder auf das historische Niveau. Kombiniert mit einem weiterhin starken Umsatzwachstum, könnte das zu einer Gewinnexplosion führen. Amazon wird derzeit mit etwa dem 20-fachen Gewinn für 2021 gehandelt. Das ist zu günstig. Die Aktie müsste deutlich höher stehen, wenn ich bei den Gewinnen richtig liege.

Was überzeugt Sie an Facebook?

Gemeinsam mit Alphabet hat Facebook das beste Geschäftsmodell weltweit. Der Konzern setzt sein Wachstum global fort, vor allem in den Schwellenländern. Und ich sehe vermehrt Einnahmemöglichkeiten im Ausland. In den USA ist das Wachstum schon auf einem hohen Niveau. In Europa erzielt Facebook beispielsweise erst ein Drittel der Anzeigenerlöse je Nutzer im Vergleich zu Nordamerika. Dies zeigt, dass sich in Europa mehr Geld machen lässt. Und Facebook hat mit Instagram und Whatsapp zudem enormes Umsatzpotenzial.

Die diversen Datenskandale stören Sie nicht?

Facebook hat sich mies verhalten. Sie haben Nutzerdaten ausgekundschaftet. Und sie haben politische Kampagnen laufen lassen, die in russischen Rubel bezahlt worden sind, die unsere Wahlen beeinflusst haben. Sie haben Hass­tiraden erlaubt, die beispielsweise in Myanmar zu Toten geführt haben. Facebook verdient den Druck, den es bekommt. Als Investor indes sehe ich, dass sich die Gewinne in den kommenden Jahren verdoppeln werden. Deshalb kaufe ich die Aktie.

Sie mögen Tesla nicht. Sie sagen, Elon Musk verhält sich wie ein "Rotzbengel".

Ich habe gemischte Gefühle. Was Elon Musk mit Tesla und SpaceX geschaffen hat, ist beeindruckend. Er ist ein außergewöhnlicher Entrepreneur. Er hat die gesamte Autobranche dazu gebracht, elektrische Fahrzeuge zu bauen. Tesla-­Fahrzeuge sind trotz Sicherheitsproblemen außergewöhnlich.

Warum warnen Sie dann, dass Tesla eine gefährliche Aktie ist?

Es gibt viele Gründe. Der Hauptgrund ist das Geschäft. Die Tesla-Verkäufe sinken, besonders in Europa. In Norwegen können Sie die Verkäufe täglich verfolgen. Der Jaguar I-Pace und Audi e-tron übertrumpften Tesla im März im Verhältnis 5 : 1. Tesla hat die Verkaufszahlen im ersten Quartal schlicht verfehlt.

Und die Aussichten von Tesla im ­Milliardenmarkt China?

Ich sehe keine überdurchschnittliche Tesla-Nachfrage in China. Dort gibt es inzwischen 500 E-Auto-Hersteller. Teslas größtes Problem in den vergangenen Jahren war die Produktion. Nun besteht das Problem, dass die hergestellten Autos nicht verkauft werden können. Die Nachfrage ist schlicht nicht groß genug. Es gibt zu viel Konkurrenz. Das ist zwar gut für die Verbraucher, aber schlecht für Tesla. Und die Schulden türmen sich immer höher. Ich glaube, Tesla hat weniger Cash, als die Analysten erwarten, und wird einen Liquiditätsengpass haben. Meine Prognose: Der Aktienkurs wird bis Silvester 2019 unter 100 US-­Dollar fallen.

Was wird Ihrer Meinung nach denn ­danach passieren?

Ich prognostiziere nicht einen Kurs von null Dollar je Aktie oder die Pleite von Tesla. Der Konzern hat einen starken Markennamen und attraktive Technologien. Sobald die Aktie kollabiert, werden eine Reihe von Firmen Tesla kaufen wollen. Neben vielen Autoherstellern gehören sicherlich auch Google und Apple dazu. Es gibt einige Kult-Fans, die Musk und Tesla vertrauen. Sie haben tiefe Taschen. Etwa Larry Ellison, der in den Tesla-Aufsichtsrat gewählt wurde. Wenn Tesla Geld braucht, werden diese Fans Kapital geben. Was halten Sie von Autofirmen wie VW, Daimler, BMW, General Motors (GM) oder Ford? Sie werden mit einstelligen Gewinnvielfachen gehandelt. Ich habe noch nie Aktien von diesen Unternehmen besessen. Denn das Autogeschäft ist extrem kapital- und wettbewerbsintensiv. Im Gegensatz zu Flug­linien oder Eisenbahnen konsolidiert die Branche kaum. So können die Unternehmen nicht als Oligopole die Preise erhöhen. Somit sehe ich keine Preismacht bei den Firmen. Das Branchenumfeld wird daher sehr hart bleiben. Man sieht dies an den sehr niedrigen ­Aktienkursen.

Aber General Motors etwa ist unter Value-Investoren beliebt.

Das ist aber nichts für mich. Elektrische Autos werden mehr Marktanteile gewinnen, als sich die Leute das vorstellen können. Es ist dennoch nicht klar, welche Profite erzielt werden können und wer die Gewinner sind. Ich habe einen Artikel über High-Performance-Motoren von BMW und Mercedes gelesen. Die Motoren haben 250 Komponenten. Sie sind über Dekaden entwickelt worden, um sie effizienter zu machen. Der neue elektrische Motor hat dagegen nur zehn Teile und die kommen aus dem Regal. Jeder kann so einen Motor bauen. Und dabei sind die Performance-Charak­teristika zudem auch noch besser als die der geschützten, von Ingenieuren designten Benzinmotoren.

Vita:
Tausendsassa

Der Harvard-Absolvent baute seinen Hedgefonds vor zwei Jahrzehnten mit einer Million Dollar Startkapital auf. In der Spitze managte er 200 Millionen Dollar. Mit ­Hedgefonds-Guru Bill Ackman ist er befreundet. Tilson hat sein Privatvermögen in Berkshire Hathaway, der Immobilienfirma Howard Hughes Corp., ­Facebook, Alphabet und Amazon konzentriert. Der verheiratete Vater dreier Töchter lebt am Central Park. Er ist begeisterter Extremsportler.