Unter Börsianern ist es ausgemachte Sache: Sie rechnen damit, dass die EZB bald Nägel mit Köpfen machen und die Finanzmärkte mit weiteren Milliarden Euro fluten wird. Mit dem Bekenntnis zu ihrer ultra-lockeren Geldpolitik hat die Europäische Zentralbank (EZB) bei Anlegern hohe Erwartungen geweckt. Entsprechend groß ist die Gefahr von Kursturbulenzen, sollten sich die Notenbanker gegen das geplante groß angelegte Wertpapier-Ankaufprogramm (Quantitative Easing) entscheiden. Vor allem Aktienanleger würden auf dem falschen Fuß erwischt, betont Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der HSH Nordbank. Auch der Euro und der Anleihenmarkt könnten ordentlich durchgeschüttelt werden.
EZB-Chef Mario Draghi will Anfang 2015 die Geldpolitik seines Hauses überprüfen und bei Bedarf noch schwerere Geschütze im Kampf gegen die drohende Deflation, eine Spirale fallender Preise und rückläufiger Investitionen, auffahren. Als wahrscheinlichste Maßnahme gilt der Kauf von Staatsanleihen nach dem Vorbild der Notenbanken aus den USA und Großbritannien. In den vergangenen Monaten hat die EZB den Geschäftsbanken der Euro-Zone Mittel fast zum Null-Tarif zur Verfügung gestellt, damit diese das Geld als Kredite weiter verleihen. Die Nachfrage blieb aber hinter dem Ziel der Notenbank zurück.
Auf Seite 2: VOR ALLEM AM AKTIENMARKT DROHEN KURSVERLUSTE
VOR ALLEM AM AKTIENMARKT DROHEN KURSVERLUSTE
Sollte das Quantitative Easing verschoben werden oder gar ausfallen, muss Börsianern zufolge vor allem im Dax mit einem Kursrutsch gerechnet werden. Denn in der Hoffnung auf billiges Notenbankgeld hatten Anleger den Leitindex Anfang Dezember auf ein Rekordhoch von knapp 10.100 Punkten getrieben. Der Euro, der aktuell um 1,2330 Dollar pendelt, könnte dagegen bei einem Verzicht auf die weitere Lockerung der EZB-Geldpolitik zulegen, prognostizieren Devisenexperten. "In Richtung 1,30 Dollar dürfte er aber sicherlich nur dann marschieren, wenn die Konjunktur in der Euro-Zone deutlich an Schwung gewinnt. Andernfalls sollte die schwächelnde Wirtschaft dafür sorgen, dass die Gewinne beim Euro begrenzt bleiben", prognostiziert de la Rubia.
Auf Seite 3: KEIN ENDE DER EXTREM NIEDRIGEN TEUERUNG IN SICHT
KEIN ENDE DER EXTREM NIEDRIGEN TEUERUNG IN SICHT
Nach einem kräftigen Aufschwung in der Euro-Zone sieht es derzeit nicht aus: Trotz anziehender Konjunktur in einigen Krisenländern kommt die Wirtschaft nicht in Fahrt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in der Währungsunion legte von Juli bis September nur um 0,2 Prozent zum Vorquartal zu. Auch ein Ende der extrem niedrigen Inflation ist nach Einschätzung von Experten nicht in Sicht.
Wegen der drohenden Deflation geht eine Mehrheit von Reuters befragter Ökonomen daher davon aus, dass die EZB innerhalb weniger Monate mit dem Aufkauf von Staatsanleihen beginnt. Nach Einschätzung von Folker Hellmeyer, Chef-Analyst der Bremer Landesbank, sollte die EZB im Januar "in der Lage sein zu liefern". Er rechne mindestens mit einem Zeitplan für den Start der Wertpapierkäufe.
Auf Seite 4: STAATSANLEIHEN-RENDITEN STEIGEN, WENN QE INS WASSER FÄLLT
STAATSANLEIHEN-RENDITEN STEIGEN, WENN QE INS WASSER FÄLLT
Kommt es nicht dazu, dürfte die Enttäuschung auch am Staatsanleihenmarkt zu spüren sein. Die Renditen der südeuropäischen Papiere sollten - zumindest kurzfristig - wieder zulegen, prognostizieren Marktbeobachter. In Erwartung breit angelegter Käufe durch die EZB waren sie in den vergangenen Wochen von einem Rekordtief auf das nächste gefallen.
Helaba-Analyst Ralf Umlauf geht allerdings nicht davon aus, dass die Renditen dann allzu deutlich in die Höhe schießen würden. Das Versprechen der EZB, unbegrenzt Anleihen von Euro-Staaten aufzukaufen, bestehe schließlich weiter - auch wenn QE erst einmal vom Tisch sein sollte, betont der Experte.
Die Währungshüter hatten im September 2012 mit dem Beschluss, notfalls die Gelddruckmaschine anzuwerfen und Anleihen zu kaufen, den Kursverfall der Euro-Staatsanleihen gestoppt. Eingesetzt haben sie das sogenannte OMT-Programm bisher aber nicht. Über dessen Rechtmäßigkeit wird derzeit am Europäischen Gerichtshof verhandelt, die Schlussanträge des Generalanwalts werden am 14. Januar erwartet.
Das wahrscheinlichste Szenario ist aber noch immer, dass die EZB tatsächlich wie erwartet Anfang nächsten Jahres die Geldschleusen weiter öffnet und früher oder später auch Staatsanleihen aufkauft. "Wir sind schon im verbalen QE, jetzt muss das Erwartete nur noch umgesetzt werden", sagt Frank Hagenstein, Chefstratege der DekaBank. Größere Kursreaktionen erwarten Börsianer dann nicht mehr. Schließlich hätten sich die Investoren bereits positioniert.
Reuters