Den Investoren an den Finanzmärkten reichte schon die bloße Ankündigung und die Aussicht auf viel frisches Geld: In Frankfurt legte der Aktienindex Dax ein Prozent zu und ging mit dem höchsten Kurs seit sechs Wochen aus dem Handel. Der Euro sackte auf unter 1,30 Dollar ab - den niedrigsten Stand seit mehr als 14 Monaten. Während es in Deutschland massiv Kritik hagelte, lobte der Internationale Währungsfonds (IWF) die Schritte der EZB. Diese hat nun kaum Optionen mehr, außer massenhaft Staats- oder Unternehmensanleihen aufzukaufen, um Geld in die Wirtschaft zu pumpen - eine Medizin mit großen Risiken und Nebenwirkungen.
So warnt beispielsweise der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, dass die EZB zu einer Art Mülldeponie für problembehaftete Wertpapiere werden könnte. Es bestehe das Risiko, "dass die EZB zur zentralen Bad Bank der Euro-Zone wird". Die Notenbank müsse aus ihrer Feuerwehrrolle herauskommen. "Das gelingt nur mit mehr Elan und Konsequenz bei den Strukturreformen - gerade in den großen Volkswirtschaften der Euro-Zone."
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OUVERTÜRE FÜR NOCH GRÖSSERE GELDFLUT?
Draghi hielt sich auch die Möglichkeit für Anleihekäufe offen: "Sollte es nötig werden, auf Risiken einer zu langen Periode niedriger Inflation zu reagieren, ist sich der EZB-Rat in der Entschlossenheit einig, zu weiteren unkonventionellen Maßnahmen im Rahmen seines Mandats zu greifen." Der in Deutschland und vor allem von der Bundesbank extrem kritisch gesehene Aufkauf von Staatsanleihen - im Fachjargon Quantitative Easing (QE) genannt - sei besprochen worden, sagte Draghi. Die Entscheidung für die neuerliche Leitzinssenkung sei nicht einstimmig gewesen. Für die übrigen Maßnahmen habe es eine "komfortable Mehrheit" gegeben. Einige Ratsmitglieder hätten mehr, andere weniger tun wollen.
Für Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer ist das jetzt beschlossene Maßnahmenbündel deshalb eine "Ouvertüre" für QE. Er geht davon aus, dass Draghi Anfang 2015 noch eins drauf legt und die Notenpresse rotieren lässt, wie dies schon die US-Notenbank Federal Reserve und die Zentralbanken Großbritanniens und Japans in den vergangenen Jahren getan haben.
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EZB UNTER ZUGZWANG
Draghi hatte den Rat zuletzt selbst mit dem Versprechen in Zugzwang gebracht, die EZB werde "alle verfügbaren Mittel" einsetzen, um zu verhindern, dass die Wirtschaft in eine Spirale fallender Preise und nachlassender Investitionen abgleitet. Im August lag die Teuerung in der Euro-Zone nur noch bei mageren 0,3 Prozent - die EZB spricht aber nur bei knapp unter zwei Prozent von stabilen Preisen. Sie hatte erst im Juni ihren Leitzins auf 0,15 Prozent gekappt und darüber hinaus Maßnahmen beschlossen, mit denen sie ab dem Herbst die Kreditvergabe ankurbeln will - alleine in diesem Jahr sollen 400 Milliarden Euro an Banken fließen.
Wie viele Milliarden die EZB mit ihren am Donnerstag beschlossenen Wertpapierkäufen in die Wirtschaft pumpen wird, ließ Draghi offen. Er sagte allerdings, die Bilanz der Notenbank werde wohl wieder auf ein Niveau aufgebläht, wie sie es auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise 2012 schon hatte. Damals hatten sich die Banken der Euro-Zone bei der EZB gut eine Billion Euro geliehen, um einen akuten Liquiditätsengpass zu verhindern. Mit den Beratungen hinter den Kulissen vertraute Personen hatten Reuters gesagt, das jetzt von der EZB angepeilte zusätzliche Volumen belaufe sich auf bis zu 500 Milliarden Euro - über mehrere Jahre gestreckt.
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KRITIK AUS DEUTSCHLAND
Aus Deutschland kam heftige Kritik an den neuen Maßnahmen der EZB. Für den Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes BdB sind die positiven Wirkungen der Zinssenkung "vernachlässigbar". Die EZB habe sich vor der Entscheidung selbst unnötig unter Zugzwang gesetzt. Die Gefahr, dass die Währungsunion in eine gefährliche Deflationsspirale rutsche, sei sehr gering. "Auf der anderen Seite wächst mit den Aktivitäten der EZB die Gefahr, dass die in mehreren Euro-Ländern dringend erforderlichen Wirtschaftsreformen weiter verschleppt werden."
Reuters