Lagarde hat bereits signalisiert, die EZB sei zu angemessenen und gezielten Maßnahmen bereit. Großen Spielraum für eine weitere Lockerung der Geldpolitik hat die EZB bei ihrer Ratssitzung am Donnerstag zwar nicht mehr. Experten erwarten aber, dass die Notenbank den bereits negativen Einlagenzins für Geschäftsbanken weiter senken wird. Zudem könnte die EZB demnach Liquiditätsspritzen aufziehen, die vor allem in Bedrängnis geratenen kleineren und mittleren Unternehmen zugute kommen sollen.

Die Fed hatte ihren Leitzins am vergangenen Dienstag so kräftig wie seit der Finanzkrise nicht mehr gekappt und damit die EZB mächtig unter Zugzwang gesetzt. Andere Notenbanken wie die Bank von Kanada sind mit Zinssenkungen dem Fed-Beispiel bereits gefolgt. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer geht fest davon aus, dass die EZB die Geldpolitik abermals lockern wird: "Ihr dürfte bewusst sein, dass sie eine erneute Zunahme der ohnehin schon hohen Verunsicherung riskiert, würde sie ihren Worten nun keine Taten folgen lassen." Reinhard Cluse, Volkswirt der Schweizer Großbank UBS, erwartet eine starke Reaktion: "Wir glauben, dass die Glaubwürdigkeit der EZB leiden würde, falls nicht rechtzeitig etwas kommt."

Insidern zufolge kam der EZB-Rat nach dem US-Zinsentscheid zu einer außerordentlich Telefonkonferenz zusammen. Unmittelbare Beschlüsse wurden dabei zwar nicht getroffen. Die Währungshüter arbeiteten nach Angaben von mit der Angelegenheit Vertrauten zuletzt aber an speziellen Geldspritzen für Unternehmen, denen die Viruskrise besonders zusetzt. Für Lagarde kommt die Feuertaufe denkbar ungünstig, hatte sie doch darauf gesetzt, dass zunächst keine schwierigen geldpolitschen Beschlüsse anstehen.

Die Zeit wollte sie nutzen, um den Dissens im EZB-Rat beizulegen, den das noch von ihrem Vorgänger Mario Draghi angestoßene große Lockerungspaket vom Herbst ausgelöst hatte. Doch jetzt stehen Volkswirten zufolge mit möglicherweise noch tieferen Zinsen und noch umfangreicheren Anleihenkäufen genau die Instrumente wieder zur Diskussion, an denen sich damals der Konflikt entzündete.

Wie stark die EZB reagieren wird, dürfte auch davon abhängen, wie trübe die neuen Wirtschaftsprognosen der EZB-Volkswirte ausfallen. "Eine Halbierung der Jahreswachstumsrate würde uns nicht überraschen", sagt DZ-Bank-Analyst Christian Reicherter. Die neuen Projektionen sollen zur Ratssitzung vorliegen. "Eine Zinssenkung ist wahrscheinlich, auch weil die Inflationserwartungen im Euro-Raum auf ein Rekordtief gefallen sind", glaubt Ulf Krauss, Volkswirt beim Bankhaus Helaba.

Am Geldmarkt wird inzwischen zu fast 100 Prozent damit gerechnet, dass die EZB ihren Einlagensatz um weitere 0,10 Prozentpunkte auf dann minus 0,60 Prozent kappt. Das würde allerdings noch höhere Strafzinsen bedeuten, wenn Banken überschüssige Gelder bei der EZB parken. Krauss erwartet deshalb, dass die EZB zugleich größere Freibeträge für die Institute beschließt. Sein Argument: "Sie kann es sich inzwischen kaum leisten, den Bankensektor, auf dessen Stabilität die Euro-Konjunktur angewiesen ist, mit steigenden Strafzinsen zu schwächen."

EZB WILL KREDITVERGABE AN FIRMEN ANSCHIEBEN


Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer geht davon aus, dass die EZB auch eine Ausweitung der monatlichen Anleihenkäufe auf 40 von derzeit 20 Milliarden Euro für einen begrenzten Zeitraum von etwa sechs Monaten beschließt. "Die Notenbank dürfte dabei auf ihre Flexibilität verweisen, die es ihr ermöglicht, vorübergehend verstärkt Unternehmensanleihen oder etwa italienische Staatsanleihen zu kaufen, deren Kurse zuletzt gelitten hatten." Die Renditeaufschläge italienischer Staatspapiere zu vergleichbaren Bundesanleihen sind in Folge der Viruskrise zuletzt auf den höchsten Stand seit fast acht Monaten geklettert.

Die US-Investmentbank JP Morgan rechnet mit einer Ausweitung der monatlichen Anleihenkäufe auf 30 Milliarden Euro für drei Monate. Zudem geht sie davon aus, dass die EZB zielgerichtete Langfrist-Geldspritzen (TLTRO) für Banken beschließt. Mit diesen soll dann speziell die Kreditvergabe an kleinere und mittlere Unternehmen angekurbelt werden, die von der Krise besonders betroffen sind. Die Anreize für Banken müssten aber "sehr großzügig" sein, damit solche Firmen auch Kredite erhielten. All diese Maßnahmen würden zudem auch darauf abzielen, die Finanzmärkte zu beruhigen. DZ-Bank-Experte Reicherter ist da skeptisch: "Es erscheint allerdings fraglich, ob die Finanzmärkte gegenwärtig überhaupt zu beruhigen sind."

rtr