Im Fall des Skandals um den Zahlungsdienstleister Wirecard wird einmal mehr offenbar: Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) hat ein tief greifendes Problem. Der Verbraucherschutz ist für die Bonner Beamten eine Aufgabe, der sie allenfalls halbherzig nachkommen. Höchste Zeit für einen Kulturwandel!
Mit dem Kleinanlegerschutzgesetz sollte 2015 alles besser werden: Um dubiosen Finanzanbietern endlich das Handwerk zu legen, erklärte die Bundesregierung den "kollektiven Verbraucherschutz" zur offiziellen Aufgabe der Bafin. Die Behörde sei von nun an "dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher in ihrer Gesamtheit verpflichtet", hieß es vollmundig.
Gegen diesen Paradigmenwechsel hatten sich die Bonner Beamten hartnäckig gewehrt. Umfassende Kontrollen widersprächen den Grundsätzen der freien Marktwirtschaft und dem Bild des mündigen Bürgers, hieß es. Das ist Unsinn, aber darauf komme ich gleich zurück. Zunächst gilt es festzuhalten, dass dieser Habitus in der Behörde auch nach fünf Jahren noch immer weitverbreitet ist. Denn ein Blick auf die Skandale der vergangenen Jahre belegt, dass die Bafin ihre Rolle als oberste Verbraucherschützerin nur widerwillig angenommen hat. Die Devise scheint zu lauten: Im Zweifel nicht einmischen.
Eine Serie von Versäumnissen der Finanzaufsicht Bafin
Die Aufseher ließen mehrere dubiose Anbieter trotz großer Ungereimtheiten gewähren: 2017 winkten sie einen Prospekt der Containerfirma P & R durch, die wenig später pleiteging. Seither steht vermutlich mehr als die Hälfte der 3,5 Milliarden Euro von 54.000 Anlegern im Feuer. Auch der inzwischen ebenfalls insolvente Goldhändler PIM durfte trotz Warnungen unbehelligt auf Anlegerfang gehen.
Der Wirecard-Skandal reiht sich also ein in eine Serie von Versäumnissen, die zu schweren gesellschaftlichen Schäden beigetragen haben. Die Milliardenpleiten treffen Kleinanleger besonders hart - und sind damit ein Treiber für Altersarmut. Zugespitzt formuliert: Die Trägheit der Bafin verschärft die gesellschaftliche Ungleichheit.
Die Rechtfertigungen der Behörde klingen stets ähnlich: Die juristischen Voraussetzungen für ein Eingreifen seien nicht erfüllt gewesen, heißt es gebetsmühlenartig. Prospekte dürfe sie nur begrenzt prüfen, und für Goldkäufe sei sie nicht zuständig. Mit Verlaub: Diese Argumentationsmuster sind nicht nur unerträglich formalistisch, sondern auch juristisch hanebüchen. Die Bafin hat weitreichende Möglichkeiten, bei Ungereimtheiten und Verdachtsmomenten Prüfungen zu veranlassen, Verbraucher zu warnen oder den Vertrieb zu stoppen. Zudem könnte sie bei Verstößen höhere Bußgelder mit abschreckender Wirkung verhängen.
Dass sie ihre Möglichkeiten in vielen Fällen nicht nutzt, ist Ausdruck der Tatsache, dass viele Beamte weiterhin mit dem Verbraucherschutz fremdeln. Es geht ums Wollen, nicht ums Können. Ich bin überzeugt: Der mündige Verbraucher, auf den Bafin-Mitarbeiter so gerne pochen, muss sich darauf verlassen können, dass für alle Anbieter dieselben Regeln gelten. Wenn Unternehmen unkontrolliert ein großes Rad drehen dürfen, ist das nicht nur eine Gefahr für Anleger, sondern auch ein unfairer Wettbewerbsvorteil. Wirksamer Verbraucherschutz ist also Bedingung für fairen Wettbewerb - und damit ein Pfeiler der Marktwirtschaft.
Ich hoffe sehr, dass sich die Erkenntnis auch bei der Bafin durchsetzt. Dafür braucht die Behörde aber einen tief greifenden Kulturwandel - hin zu Eigeninitiative und einem Blick aufs große Ganze. Das ist die Herausforderung, vor der Bafin-Chef Felix Hufeld jetzt steht - und mit ihm die Bundesregierung, die große Hoffnungen auf die Behörde setzt: Sie soll laut einem Gesetzentwurf vom nächsten Jahr an die Aufsicht über Deutschlands freie Finanzvermittler übernehmen.
Das ist prinzipiell eine gute Idee, brächte aber nichts, wenn die Aufseher ihren neuen Auftrag wieder nur widerwillig und halbherzig wahrnehmen. Der Kulturwandel ist damit Chefsache - nicht nur in Berlin, sondern auch in Bonn. Ansonsten bleibt die Bafin eine Finanzaufsicht im Blindflug.
Julius Reiter
Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht
Der Jurist, Jahrgang 1964, führt seit 2001 an der Seite des früheren Bundesinnenministers Gerhart R. Baum die Düsseldorfer Rechtsanwaltskanzlei Baum Reiter & Collegen. Der Professor für Wirtschaftsrecht zählt unter anderem Kredit- sanierungen, Wertpapierrecht und IT-Recht zu seinen Kompetenzen. Die Kanzlei vertritt regelmäßig geschädigte Verbraucher in prominenten Verfahren (unter anderem im Dieselabgasskandal).