von Martin Hüfner, Assenagon

Sollte die Inflationsrate nicht bald wieder ansteigen, wird sie weitere Maßnahmen ergreifen. Geht die Preissteigerung dagegen wieder nach oben, dann müssen sich die Märkte darauf einstellen, dass die EZB weniger aggressiv wird.

Bei einem so wichtigen Fakt sollte man eigentlich annehmen, dass es keine Fragen offen lässt. Umso erstaunlicher ist, wie viele Fallstricke und Missverständnisse es hier immer noch gibt. Zeit für ein paar Klarstellungen.

Beginnen wir mit dem Selbstverständlichen: Es geht in Europa nicht um Deflation, also um sinkende Preise. Güter und Dienste verteuern sich weiterhin, nur nicht mehr so stark. Die Ampeln stehen nicht auf rot (= es muss gehandelt werden), sondern auf gelb. Die EZB tut manchmal so, als sei es schon "fünf vor zwölf".

Ebenfalls offensichtlich: Die Geldpolitik kann sich bei ihrem Kampf gegen die zu niedrige Inflation nicht auf ein breites öffentliches Mandat stützen. Im Gegenteil. Die Öffentlichkeit ist davon wenig begeistert. Den meisten Deutschen wären niedrigere Preise lieber als niedrigere Zinsen. In den südeuropäischen Schuldnerländern sind niedrigere Preise eine Kompensation für die Kürzung von Löhnen und staatlichen Leistungen in den letzten Jahren. Die Menschen freuen sich darüber.

Die mangelnde öffentliche Unterstützung macht die Aufgabe der EZB nicht leichter. Sie kann sich zwar formal auf den Gesetzestext berufen, dass die Inflation nahe, aber unter 2 % sein soll. Das ist jedoch dünnes Eis. Die EZB kann nicht mit dem öffentlichen Rückenwind agieren, den sie zum Beispiel bei der Rettung des Euros hatte. Das ist ein Handicap.

Falsch oder besser irreführend ist, was in manchen statistischen Veröffentlichungen zu lesen ist: Nämlich, dass die Inflation deshalb zurückgeht, weil Energie und Nahrungsmittel billiger werden. Man muss sich nur einmal die "Kernrate der Inflation" anschauen, in der die Statistiker Energie und Nahrungsmittel herausrechnen. Sie steigt kaum mehr als die tatsächliche Rate (0,8 % verglichen mit 0,5 %). Öl ist auf den Weltmärkten in den letzten zwölf Monaten um 6 % teurer geworden, Erdgas um fast 20 %.

Richtig ist, dass die Inflation im Spannungsfeld unterschiedlicher Kräfte steht. Siehe die Grafik für das Beispiel Deutschland. Auf der einen Seite steigen die Löhne kräftig an, derzeit um über 3 %. In immer mehr Branchen gibt es Kapazitätsengpässe. Das treibt die Geldentwertung in Deutschland nach oben, indirekt aber auch in Europa. Auf der anderen Seite sinken die Einfuhrpreise, seit Anfang vorigen Jahres um 2 %. Das hängt zum Teil mit der Austeritätspolitik in Südeuropa zusammen. Sie lässt dort die Preise zurückgehen und führt in Deutschland zu billigeren Importen. Hinzu kommt die Aufwertung des Euros auf den Devisenmärkten. Sie belief sich im Schnitt in den letzten zwölf Monaten auf 5 %. Das dämpft die Inflationsrate.

Falsch ist, dass die Europäische Zentralbank den Inflationstrend unter diesen Umständen nachhaltig drehen könnte. Sie befindet sich mehr denn je in der bekannten Liquiditätsfalle, in der niedrigere Zinsen und mehr Geld in der Realwirtschaft nur noch wenig bewegen. Das neue Programm kann allenfalls die Erwartungen drehen (so wie das im Juli 2012 beim Euro der Fall war). Ob das aber ein zweites Mal gelingt, ist nicht so sicher. Das Programm wird aber in jedem Fall durch die Liquidität an den Finanzmärkten zu Kurssteigerungen führen. Es wird strukturell helfen, dass kleine und mittlere Unternehmen mehr Kredit bekommen (was aber nicht unbedingt Aufgabe der EZB ist).

Die Inflationsrate kann man letztlich nur durch vier Dinge nach oben bringen: Erstens - Gott verhüte - durch ein Ende der Konsolidierungs- und Reformpolitik. Damit wären alle erzielten Erfolge bei der Stabilisierung des Euros dahin. Zweitens - auch das ist nicht wünschenswert - durch einen Anstieg der Rohstoffpreise als Folge der Ereignisse in Russland/Ukraine oder in Irak/Syrien. Drittens durch eine bessere Konjunktur. Für die Gemein-schaft als Ganzes dauert das. Für Deutschland hieße es Überhitzung, die niemand will.

Das effektivste Mittel wäre - viertens - eine Abwertung des Euros auf den Devisenmärkten. Japan hat gezeigt, wie das geht. Nach einer Daumenregel führt ein um 10 % schwächerer Euro zu einer Erhöhung des Verbrau-cherpreisindex um einen halben Prozentpunkt. Damit wäre schon einiges gewonnen. Die Frage ist freilich, wie man das hinkriegt. Die niedrigeren Zinsen der EZB haben bisher jedenfalls nicht geholfen. Denkbar wären Interventionen an den Devisenmärkten. Die EZB könnte zum Beispiel amerikanische Staatsanleihen kaufen. Also ein Q/E-Programm, aber nicht mit europäischen, sondern mit US-Papieren. Rechtlich geht das. Ob die Begeisterung der Amerikaner dafür freilich groß ist, kann man bezweifeln.

Für den Anleger sind das keine schlechten Nachrichten. Es mag paradox klingen: Aber je weniger die EZB es schafft, die Inflationsrate im Euroraum nach oben zu hieven, umso besser für die Finanzmärkte. Denn dann wird sie noch länger bei ihrer bisherigen ultralockeren Geldpolitik bleiben. Sie wird möglicherweise noch nachlegen. In jedem Fall wird es die Umkehr, wie sie die Bank von England und auch die Federal Reserve derzeit vorsichtig anpeilen, in Euroland vorerst nicht geben. Die Kehrseite ist die Gefahr weiterer Blasen an den Märkten.