Und der vierte sozialdemokratische Kanzler in der bundesdeutschen Geschichte machte im Gegenteil bereits in den ersten Tagen seit seiner Vereidigung deutlich, welchen Kurs er fahren will - mit klaren Ansagen zu Finanzen und Außenpolitik, sowohl an internationale Partner als auch die Koalitionäre. Obwohl Scholz Fragen nach einer Konkurrenz in der Ampel-Regierung etwa in der Außenpolitik abtut und die Gemeinsamkeiten mit Grünen und FDP betont, hat er zeitgleich zu Baerbocks Antrittsbesuchen deutlich gemacht, wer die Linie vorgibt.
DEUTLICHE ANSAGE AN MACRON
Dies war schon beim engsten Partner Frankreich erkennbar. Denn so gut sich Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, die sich in den vergangenen Jahren mehrfach getroffen hatten, auch verstehen: Der neue Kanzler machte deutlich, dass er bei aller gesuchten Nähe zu Frankreich nicht automatisch jeden Vorschlag mitgehen will. Statt Macrons Forderung nach neuen EU-Finanzregeln zu unterstützen, betonte Scholz, dass der bisherige Stabilitätspakt der EU doch ausreichend flexibel sei - immerhin habe er den milliardenschweren Corona-Wiederaufbaufonds ermöglicht. Die EU-Länder sollten erst einmal das Geld aus dem Fonds nutzen, um ihre Wirtschaft anzukurbeln. Danach müsse man sich sicherlich darum bemühen, dass nötige Investitionen nicht plötzlich wieder abbrechen. Dies klingt nach der Fortsetzung der alten deutsch-französischen Diskussion über die Finanzpolitik unter der Ampel-Koalition - in der Scholz auch Rücksicht auf Finanzminister Christian Lindner (FDP) nehmen muss.
HARTER DIALOG MIT RUSSLAND STATT DEBATTE ÜBER NORD STREAM 2
Schon in den ersten Interviews nach seiner Wahl hatte Scholz deutlich gemacht, welchen Weg er in der Ukraine-Russland-Krise gehen will. Er erinnert an die Ostpolitik früherer sozialdemokratischer Bundeskanzler und will einen doppelten Ansatz: Es müsse eine gemeinsame internationale klare Botschaft an Russland geben, dass Grenzen in Europa unantastbar sein müssen. Aber man brauche dazu eben auch Dialog. Scholz weigert sich, auf Forderungen einzugehen, dass man Russland mit einem Aus für die Gaspipeline Nord Stream 2 drohen sollte - dafür aber gibt es nicht nur in den USA und Osteuropa Sympathien, sondern auch bei den Grünen. Es stünden "die Sicherheitsfragen ohnehin noch im Raum", sagte Baerbock am Sonntag. Scholz dagegen blockte eine Debatte über Nord Stream 2 auch am Sonntagabend in Warschau erneut ab.
In anderen Punkten ist der oft betont leise auftretende Scholz glasklar: Den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko bezeichnete er als Diktator. Das hatte der SPD-Politiker zwar schon mehrfach in den vergangenen Monaten getan - aber seit Mittwoch spricht Scholz eben als deutscher Kanzler.
POLITISCHER OLYMPIABOYKOTT IN CHINA
Unterschiedlich ist der Umgang mit Forderungen der USA nach einem politischen Boykott der Olympischen Spiele in China. Während die Grünen dies befürworten, zeigt Scholz - wie Frankreichs Präsident - eine deutliche Zurückhaltung.
UMGANG MIT POLEN
Auch im Umgang mit Polen machte der Bundeskanzler früh klar, dass er für einen doppelten Ansatz steht. Zwar wird im Koalitionsvertrag eine entschiedenere Durchsetzung der EU-Rechtsstaatsprinzipien gefordert. Dazu steht auch Scholz, der am Sonntagabend in Warschau betonte, wie wichtig europäische Werte und Rechtsstaatsnormen seien. Aber er lobte nicht nur, dass Polen im Konflikt mit Belarus die EU-Außengrenze schützt und schloss sich nicht der Kritik an einem zu harten Vorgehen gegen Migranten an. Er setzte in Warschau auch am Sonntagabend darauf, dass es beim Thema Rechtsstaatlichkeit zu einer Einigung zwischen der EU-Kommission und Polen kommt. Als oberstes Ziel nannte Scholz, dass Deutschland eine Spaltung der EU verhindern müsse. Das klingt ein wenig nach den Mahnungen seiner Vorgängerin Angela Merkel.
rtr