Herr Dr. Krämer, die Lage an den Finanzmärkten ist derzeit reichlich angespannt. Der Dax hat alleine in der vergangenen Woche drei Prozent eingebüßt. Seit Jahresanfang liegt der Leitindex inzwischen mit zwölf Prozent im Minus. Wie ernst ist die Lage an den Börsen?


Jörg Krämer: Die Anleger sind zur Zeit einem Trommelfeuer schlechter Nachrichten ausgesetzt. Denken Sie nur an die unverantwortliche Haushaltspolitik der italienischen Regierung, den Brexit oder den Handelskrieg Trumps. Das müssen die Anleger erst mal verdauen. Kurzfristig könnten die Aktienkurse weiter nachgeben.

Und das Umfeld trübt sich weiter ein. Weltweit nehmen Ökonomen ihre Wachstumsprognosen zurück. Zudem haben zuletzt Schwergewichte wie Daimler oder FMC Anleger mit Gewinnwarnungen geschockt. Inzwischen drücken selbst die erfolgsverwöhnten Tech-Riesen Amazon und die Google-Mutter Alphabet auf die Euphorie-Bremse. Ist die Hausse an den Börsen jetzt vorbei?


In China schwächt sich das Wachstum zweifelsohne ab, aber in den USA hat sich die Konjunktur zuletzt besser entwickelt als erwartet. Auch die US-Unternehmensgewinne für das dritte Quartal fallen ordentlich aus, sie dürften um 22 Prozent zulegen. Alles in allem sprechen die recht stabile Weltkonjunktur sowie die in vielen Teilen der Welt lockere Geldpolitik dafür, dass es an den Aktienmärkten mittelfristig, also in ein paar Monaten, wieder besser aussehen sollte.

Kurzfristig dürften aber die politische Entwicklung für zusätzliche Unsicherheit an den Märkten sorgen. Erst am Sonntag haben die traditionellen Volksparteien bei der Hessen-Wahl zusammen gut 22 Prozentpunkte verloren. Wie stabil ist die Groko in Berlin nach der Denkzettel-Wahl von Hessen?


Zwei Wochen nach der bayerischen Landtagswahl haben die hessischen Wähler die Berliner Groko-Parteien erneut abgestraft. Während die meisten CDU-Politiker das Wahlergebnis gestern Abend auffallend unaufgeregt kommentierten, forderte der als konservativ geltende Gesundheitsminister Jens Spahn, nicht nur über das Personal, sondern auch über Inhalte zu sprechen. In der SPD steht Parteichefin Andrea Nahles unter dem Druck der parteiinternen Groko-Gegner von links. Die Strategiesitzungen von SPD und CDU am kommenden Wochenende werden zeigen, wie es mit der Berliner Koalition weitergehen könnte.

Die Vorzeichen geben da durchaus Anlass zur Sorge. Angela Merkel will den CDU-Vorsitz auf dem Parteitag Anfang Dezember abgeben und 2021 nicht mehr für ein politisches Amt kandidieren. Gleichzeitig spitzt sich innerhalb der SPD sich die Lage zu. Das Urteil über die Groko sei "final gesprochen", hat Juso-Chef Kevin Kühnert am Montag Morgen gewittert. Wie lange kann die Groko die wachsenden Fliehkräfte noch im Zaum halten?


Das ist schwer zu sagen. Gerade in der SPD gib es starke Fliehkräfte. Auf der anderen Seite wissen SPD und CDU, dass sie bei möglichen Neuwahlen vermutlich weiter Stimmenanteile verlieren werden.

Was würde ein mögliches Groko-Ende für die Börsen bedeuten? Wie tief könnte der Dax bei in einem solchen Szenario fallen?


Die Dominanz von Union und SPD schwindet, und es wird auch in Deutschland schwieriger, stabile Regierungen zu bilden. Aber Deutschland ist nicht Italien. Hierzulande ist eine Regierung unter Beteiligung oder gar Führung der Links- oder Rechtspopulisten undenkbar. Die Anleger erwarten zu Recht, dass nach einem möglichen Ende der Groko jede neue Berliner Koalition weiter hinter der marktwirtschaftlichen Ordnung und auch der Währungsunion stehen wird. Deshalb dürften die politischen Wirren in Deutschland die Finanzmärkte weiter kaum beeinflussen.