Das schwäbische Software-Unternehmen allein stand mit 2,2 Milliarden Euro für mehr als die Hälfte des Emissionsvolumens von knapp vier Milliarden Euro, das Börsenneulinge auf die Beine brachten. 2018 waren es noch mehr als elf Milliarden. Nur Teamviewer, die Volkswagen-Nutzfahrzeug-Tochter Traton und der Online-Modehändler Global Fashion Group (GFG) brachten nennenswerte Summen ein - Anfang des Jahres hatten Experten noch auf mehr als 15 solcher Emissionen gehofft.
Die Investmentbanker richten den Blick ungewöhnlich früh auf das nächste Jahr: Wenn der Brexit dann, so oder so, überstanden ist und die Präsidentenwahlen in den USA näher rücken, könnte das Umfeld für Börsengänge besser werden, glaubt Martin Steinbach, der für die Unternehmensberatung EY seit Jahren Börsenkandidaten begleitet. Die Handelsstreitigkeiten der USA mit China, aber auch mit Europa, sowie der Ausstieg Großbritanniens aus der EU verunsicherten die Anleger. "Ich würde erwarten, dass sich die Lage entspannt und die Volatilität an den Märkten nachlässt", sagte Steinbach der Nachrichtenagentur Reuters. Grundsätzlich komme den Kandidaten zugute, dass die Niedrigzinsphase anhalte und die Anleger damit in Aktien getrieben würden.
"Wir erwarten eine hohe einstellige Zahl von Börsengängen in Deutschland", wagt Investmentbanker Stefan Weiner von JPMorgan eine Prognose für 2020. Das Emissionsvolumen werde dann wieder über dem langjährigen Durchschnitt von vier Milliarden Euro liegen.
TECH-FIRMEN IN DEN STARTLÖCHERN
Weiner setzt wie Steinbach auf Technologie-Unternehmen und Firmen aus der Gesundheitsbranche, die den Sprung an die Börse wagen könnten. "Da stehen einige in den Startlöchern, die ihre Optionen ausloten", weiß der EY-Experte. Das gilt auch für die niederbayerische Congatec, die ihren zweiten Anlauf an die Börse kürzlich auf 2020 verschoben hat. Die 2004 gegründete Firma aus Deggendorf bietet industrielle Computermodule an, die etwa in der Industrie-Automatisierung, der Medizintechnik und der Telekommunikation eingesetzt werden.
"Teamviewer hat gezeigt, dass Frankfurt auch ein Börsenplatz für Technologie-Unternehmen ist", sagt Steinbach. "Darauf kann man durchaus stolz sein." Die vor elf Jahren gegründete Mainzer Biotech-Firma BioNTech entschied sich allerdings für die New Yorker Technologiebörse Nasdaq, um 150 Millionen Dollar für ihre Expansion einzusammeln. Insgesamt wurde der Entwickler von personalisierten Immuntherapien zur Behandlung von Krebs und Infektionskrankheiten mit 3,4 Milliarden Dollar bewertet.
Für die neuen Investoren hat sich der Kauf der Aktien von BioNTech aber ebensowenig gelohnt wie bei Teamviewer, GFG oder Traton. Teamviewer notierten am Donnerstag sieben Prozent unter dem Ausgabepreis, BioNTech büßten seither 13 Prozent ein, Traton 15 Prozent, und bei GFG verloren die Erstzeichner sogar mehr als die Hälfte ihres Einsatzes. "Man muss jedem Börsenneuling zwölf Monate Bewährungsfrist geben", meint Steinbach dazu. Erst dann könne man beurteilen, ob sich die mit dem Börsengang verbundenen Erwartungen erfüllt hätten. Im kommenden Jahr hätten Unternehmen die besten Chancen, deren Geschäftsmodelle sich auch in einem schwächeren Konjunktur widerstandsfähig zeigten.
GROSSKONZERNE NEU VERPACKT
Absehbar sind - neben den jüngsten Rückziehern - vor allem Abspaltungen von Großkonzernen wie Wintershall DEA, der Öl- und Gas-Tochter von BASF, die den Schritt für das zweite Halbjahr anpeilt. Continental prüft für seine Getriebe-Sparte Vitesco neben einem echten Börsengang, die Aktien einfach an die eigenen Aktionäre zu verteilen. Auf diesen Weg hat sich Siemens für seine Energie-Sparte bereits festgelegt. ThyssenKrupp verfolgt für seine Aufzug-Sparte ebenfalls einen Börsengang, auch wenn Konkurrenten und Finanzinvestoren gerne direkt zugreifen würden - und vermutlich auch zum Zug kommen.
rtr