Grenzzaun in Ungarn, und auch im Rest der Region generell wenig Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen. Politisch gibt Osteuropa derzeit nicht das beste Bild ab. Dabei geraten jedoch die Chancen in Vergessenheit, die diese Anlageregion bietet, meint Isabel Levy, Fondsmanagerin und Vorstandsmitglied bei Métropole Gestion.
Der wirtschaftliche Ausblick für die Aktienmärkte in Mittel- und Osteuropa war vor einiger Zeit durchaus positiv. Vom weltweiten Einbruch der Aktienkurse im August und September waren aber auch diese Märkte betroffen. Wie sehen Sie die weiteren Aussichten für Osteuropa?
Erst einmal muss man festhalten, dass die vier wichtigsten mittel- und osteuropäischen Märkte seit Jahresanfang besser gelaufen sind als etwa der Vergleichsindex Stoxx 600. Das gilt auch für die vergangenen Monate. Dabei liegt Polen hinter Ungarn, der Tschechischen Republik und Rumänien. Der Grund dafür ist, dass polnische Banken unter den Hypotheken auf Basis des Schweizer Franken leiden, in die sie investiert haben. Und Banken haben im polnischen Aktienmarkt ein hohes Gewicht. Davon abgesehen, ist das Wirtschaftswachstum in den genannten Ländern 2015 sehr gut. Die drei Hauptländer wachsen um rund 3,5 Prozent. Das liegt deutlich vor dem Wachstum in westeuropäischen Ländern. Und die Aussichten für 2016 sehen ähnlich gut aus.
Die Europäische Union hat Russland wegen des Ukraine-Konflikts mit einem Embargo belegt. Der Ölpreis ist in den Keller gerutscht und die russische Wirtschaft leidet unter diesem Embargo. Dazu kommen die Schwierigkeiten in China - und nicht zu vergessen die Zinspolitik in den USA. Es sieht fast so aus, als ob Mittel- und Osteuropa derzeit die "vergessenen Märkte" schlechthin sind.
Zu den Emerging Markets, die in den vergangenen Jahren im Fokus standen, gehörten vor allem solche, die Öl und Rohstoffe produzierten oder verstärkt nach China exportierten. Und das zu einer Zeit, als der US-Dollar schwach war. Seit etwa einem Jahr hat sich die Situation gedreht. Die Preise für Öl und Rohstoffe sind eingebrochen, Chinas Wirtschaft wächst signifikant langsamer als zuvor. Und der US-Dollar wurde wieder zu einer der stärksten Währungen überhaupt, wobei die kommende Zinserhöhung der Fed dem Ganzen noch Schwung verleihen könnte. In den Ländern Mittel- und Südeuropas werden kaum Rohstoffe gefördert. Sie wiesen in den zurückliegenden Quartalen Wachstumsraten von drei bis vier Prozent aufs Jahr gesehen aus - und das gegenüber nur einem Prozent in Westeuropa. Sie sehen viel gesünder aus als andere Emerging Markets, denen Investoren in den letzten Jahren mehr Aufmerksamkeit widmeten. Das könnte sich im nächsten Jahr ändern.
Welches sind die interessantesten Branchen in Mittel- und Osteuropa?
Die Aktienmärkte in diesen Ländern sind trotz vieler Börsengänge in den vergangenen Jahren nicht sonderlich diversifiziert. Und die Marktkapitalisierung kann dabei durchaus sehr niedrig sein. Banken machen einen großen Teil der Indizes in der Region aus. Sie sind gute Vehikel, um vom starken Wachstum in diesen Ländern zu profitieren. Das Bankensystem ist extrem gut kapitalisiert, um davon zu profitieren.
Im Portfolio des Métropole Frontière Europe finden sich unter anderem rumänische Banken wie BRD und Banca Transilvania. Was spricht für diese Titel?
Das Bankensystem in Rumänien wird immer konzentrierter, nachdem die Banca Transilvania die Volksbank übernommen hat. Die Wirtschaft des Landes wächst sehr schnell, weshalb die Rückstellungen rasch zurückgefahren werden können. Das erhöht die Erträge der Banken. Hinzu kommt, dass Bankdienstleistungen unter der rumänischen Bevölkerung noch nicht weit verbreitet sind. Das führt in Zukunft zu hohen Wachstumsraten für die Banken in Rumänien.
Wenn man sich die Top Ten im Portfolio des Métropole Frontière Europe anschaut, dann fällt auf, dass viele Unternehmen nicht aus Mittel- und Osteuropa stammen, sondern aus Westeuropa. Beispiele sind Mayr-Melnhof Karton aus Österreich oder auch die Deutsche Telekom, HeidelbergCement, Carlsberg oder die Société Générale. Das sind allenfalls indirekte Investments in die Region. Welche Gründe stecken dahinter?
Während die Wirtschaft dieser Länder stark in die industriellen Prozesse und die Produktion der Europäischen Union integriert ist, haben westeuropäische Unternehmen dort entweder Produktionsstätten, einen großen Absatzmarkt oder sie haben Unternehmen aus der Region übernommen. Aus diesen Gründen haben wir von Anfang an entschieden, bis zu 40 Prozent des Fondsvolumens in westeuropäische Unternehmen zu investieren, die in der einen oder anderen Form in den mittel- und osteuropäischen Ländern engagiert sind.
Gibt es Länder, in denen Sie nicht investieren? Wenn dem so ist, warum nicht?
Das ist schwierig zu beantworten, da die Hauptrisiken in diesen Ländern vor allem politische Risiken sind, die von populistischen Regierungen ausgehen. Aber davon abgesehen: Ungarn ist eines dieser Beispiele, erzielte aber seit Jahresanfang die beste Performance in der gesamten Region.
Auf Seite 2: Métropole Gestion Frontière Europe - Klassenbester in Osteuropa
Gemeinsam mit Ingrid Trawinski managt Isabel Levy den Aktienfonds Métropole Frontière Europe, der auf Anlagen in Mittel- und Osteuropa (ohne Russland) und auf Profiteure der dortigen dynamisch wachsenden Volkswirtschaften fokussiert ist. Nicht nur BÖRSE ONLINE bewertet den Fonds mit Note 1, auch Morningstar vergibt das Maximalrating fünf Sterne. In den zurückliegenden Monaten war der Fonds der beste seiner Kategorie.
Dass die Indizes von den in anderen Regionen oft geschmähten Finanzwerten dominiert werden, war dabei nicht von Nachteil. Im Gegenteil: Komerční banka, gemessen an der Gesamtbilanzsumme die drittgrößte tschechische Bank, zählt zu den Top-Performern im Portfolio. "Die Bank stellte erneut die Qualität ihres Risikomanagements unter Beweis und profitierte zudem von der günstigen tschechischen Konjunktur", sagt Fondsmanagerin Levy.
Weniger gut lief es mit dem Engagement bei Carlsberg: Die dänische Brauerei ist nicht nur in den Konvergenzstaaten stark vertreten, sondern eben auch in Russland. Immerhin zeigte die Aktie in den vergangenen Wochen deutliche Erholungstendenzen. Wegen des Russland-Ukraine-Konflikts und des Streits um die EU-Flüchtlingspolitik ist Osteuropa als Anlageregion vom Radar vieler Investoren verschwunden. Mittel- bis langfristig aber sprechen die höheren Wachstumsraten der dortigen Volkswirtschaften für Engagements in Polen, Tschechien, Ungarn und den angrenzenden Ländern. Der Métropole-Fonds eignet sich daher gut zur Depotbeimischung.