Manche Experten sehen bereits einen Wendepunkt für das Schicksal Europas. Der sozialliberale Emmanuel Macron hatte den ersten Wahlgang überraschend klar für sich entschieden. Er setzte sich vor die Rechtspopulistin Marine Le Pen, mit der er nun in die Stichwahl geht. Die Wahrscheinlichkeit sei sehr hoch, dass sich Macron am 7. Mai durchsetzen werde, meinte Dirk Gojny von der National-Bank in Essen. Zahlreiche Investoren wechselten daher aus eher sicheren Anlageformen zurück in risikoreichere Anlagen wie Aktien.
Der Präsident des Münchener Ifo-Instituts, Clemens Fuest, sieht Frankreichs Wirtschaftspolitik unter einem möglichen Präsidenten Macron auf dem Weg zu einer "Wende zum Besseren". Macron mache sich für internationale Zusammenarbeit und offenen Welthandel stark, sagte Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). "Sein gutes Abschneiden ist ein ermutigendes Zeichen."
Der Dax ließ seine rund zwei Jahre alte Bestmarke hinter sich und stieg wenige Minuten vor Handelsschluss noch bis auf 12 456 Punkte. Auch der MDAX - der Index der mittelgroßen Unternehmen - erreichte eine Bestmarke, der Technologiewerte-Index TecDAX schaffte es auf den höchsten Stand seit 2001.
Vor allem die Aktien von Banken waren gefragt, denn sie gelten als besonders abhängig von den politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in Europa. Die Commerzbank-Papiere stiegen an der Spitze des Dax um mehr als 9 Prozent, hauchdünn dahinter lagen die Anteilsscheine der Deutschen Bank.
Die Papiere französischer Geldhäuser stiegen ebenfalls deutlich im Wert. Der französische Leitindex CAC-40 (CAC 40) insgesamt lag zum Handelsende um gut 4 Prozent im Plus, zwischenzeitlich stand er so hoch wie seit elf Jahren nicht mehr. Der EuroStoxx 50 (EURO STOXX 50), der Leitindex der gesamten Eurozone, legte um annähernd 4 Prozent zu. Auch die Wall Street eröffnete deutlich höher.
Die Risiken nähmen ab, ein konstruktiver Wahlausgang wirke stabilisierend für Europa, erklärten die Analysten der US-Investmentbank Goldman Sachs. "Das Ergebnis bietet eine gute Chance, um Frankreich zu reformieren und die Eurozone zu stärken", sagte der Chefvolkswirt der Berenberg-Bank, Holger Schmieding.
Hinzu kommt ein gutes Wirtschaftsumfeld. So hellte sich die Stimmung in den deutschen Unternehmen im April von bereits hohem Niveau aus weiter auf, wie zum Wochenstart Daten des Ifo-Instituts zeigten.
Profiteur der Entwicklung war der Euro: Die Gemeinschaftswährung kostete zwischenzeitlich mehr als 1,09 US-Dollar und erreichte den höchsten Stand seit einem halben Jahr. Am Freitagabend hatte der Euro noch bei 1,07 Dollar notiert. Schmieding sieht angesichts des Wahlausgangs nur noch ein sehr geringes Risiko eines "Frexits", also eines Austritts Frankreichs aus der Eurozone./das/DP/tos