Nach den ersten Prognosen überkam AfD-Chef Bernd Lucke am Wahlabend eine Art Frühlingsgefühle: "Die AfD ist bei dieser Wahl aufgeblüht als eine neue Volkspartei in Deutschland", rief der Hamburger Makroökonomieprofessor den jubelnden Anhängern zu. Der sonst eher spröde 51-Jährige strahlte über das ganze Gesicht, in Siegerpose breitete er die Arme aus, die Menge klatschte rhythmisch. "Lucke, Lucke", riefen einige, andere skandierten "AfD, AfD".

Lucke und seine Anhänger haben allen Grund, sich zu freuen, denn mit sieben Prozent zählt die euro-kritische Partei zu den Siegern der Europawahl in Deutschland. Schon die 4,7 Prozent bei der Bundestagswahl waren ein sehr achtbares Ergebnis. Jetzt hat die Partei deutlich zulegen können und vorerst jene widerlegt, die von der AfD als politische Eintagsfliege sprachen. Das gute Ergebnis der AfD wiegt umso schwerer, als dass die Euro-Krise die Öffentlichkeit bei weitem weniger beschäftigt, wie dies noch vor ein, zwei Jahren der Fall war. Die AfD kann also zulegen, auch wenn nicht Rettungspakete für Schuldenstaaten die Schlagzeilen beherrschen.

Fast unmittelbar nach Schließung der Wahllokale um 18.00 Uhr war Lucke auf die Bühne im Saal I des Hotels in Berlin-Mitte zum Rednerpult gestürmt, umgeben von einer Schar Kinder im Sonntagsstaat, die sich artig rechts und links von ihm gruppierten. Während die Kinder - der jüngste zählte gerade mal vier Jahre - in die Kamerascheinwerfer blinzelten, gab Lucke die Erklärung für die ungewöhnliche Begleitung: Man führe den Kampf der AfD für die Zukunft der Kinder, deswegen habe man sie auch auf die Bühne gebeten. Und er ergänzte: "Was für Kinder gilt, gilt auch für die Europäische Union: Man darf über Fehler nicht schweigend hinwegsehen, wenn man ihnen zum Wohle dienen möchte."

In dem Zitat spiegelt sich ein Selbstverständnis, das in der EU eine Art unartiges Kind sieht, das väterlicher Zurechtweisung bedarf, um auf den Pfad der Tugend zurückzukommen. Lucke will dies ohne die Hilfe rechtspopulistischer Parteien in anderen EU-Ländern schaffen. Den Verdacht, die AfD sei eine deutsche Variante dieser ausländerfeindlichen und nationalistischen Parteien, weist er weit von sich.

Auf Seite 2: LUCKE SUCHT VERBÜNDETE IM KONSERVATIVEN LAGER

LUCKE SUCHT VERBÜNDETE IM KONSERVATIVEN LAGER

Seine Verbündeten sieht er im konservativen Lager. Kleinere Parteien in Tschechien, den Niederlanden, Portugal zählt er auf. Wie weit die Kontakte gediehen sind, bleibt unklar. Wie er mit dieser kleinen Truppe die große EU umsteuern will, auch. Eine Zusammenarbeit mit der konservativen und einflussreichen Parteienfamilie EVP - in der auch die Union vertreten ist - lehnt er ab. "Ich kann die EVP nicht als eine konstruktiv-kritische Kraft erkennen und sehe dort keine Schnittmengen für eine Zusammenarbeit mit der AfD", sagte er Reuters.

Ohne mehrheitsfähige Bundesgenossen wird die AfD in Brüssel wenig mehr tun können, als ihren Protest zu Protokoll zu geben. Ob das reicht, um als politische Kraft bestehen zu bleiben, bezweifeln Wahlforscher. "Letztendlich muss auch die AfD irgendwann zeigen, dass sie etwas zustande bringt", sagt Forsa-Chef Manfred Güllner. Er und auch andere Demoskopen sehen die derzeitige Stärke der AfD zu guten Teilen in den Protest-Wählern, die der Bundesregierung und den Altparteien einen Denkzettel verpassen wollen. Nur wenn die AfD es schafft, auch als gestaltende politische Kraft zu wirken, kann sie dauerhaft mit der Gunst der Wähler rechnen.

Lucke muss aber nicht nur die AfD als ernstzunehmenden politischen Player platzieren, er muss auch die innerparteilichen Kämpfe beenden. So beklagt eine liberale Gruppe der Parteispitze einen Rechtsruck und warnt vor "politischen Opportunisten, zu kurz gekommenen Wüterichen, radikalen Reaktionären oder ganz allgemein dem Chauvinismus und dem Hass". Auch Lucke selbst ist Ziel innerparteilicher Kritik, dem seine Kontrahenten einen autokratischen Führungsstil vorhalten. Konfliktstoff gibt es reichlich, denn die AfD hat es bislang nicht geschafft, sich ein Programm zu geben. Es existieren nur "Leitlinien".

Derzeit würden Wähler diese Streitigkeiten noch akzeptieren, sagen Wahlforscher. Auf Dauer aber wirke das aufeinander einschlagen abschreckend. Warnendes Beispiel war am Wahlabend die Piratenpartei, vor wenigen Jahren wie die AfD jetzt ein Senkrechtsstarter in der politischen Szene.

Am Sonntagabend waren diese Sorgen allerdings fern. Die AfD-Anhänger feierten ihren Sieg. Und sie feierten auch die Niederlage ihrer Gegner. Die mehreren hundert AfD-Mitglieder jubelten am lautesten, als das katastrophale Ergebnis der FDP bekanntgegeben wurde. Mit sichtbarer Genugtuung formulierte Lucke: "Auch manche Parteien gehen in die Knie und verwelken."

Reuters