Präsident Wolodymyr Selenskyj bat die Nato um Hilfe. Ein Berater Selenskyjs signalisierte zugleich die Bereitschaft zu Gesprächen mit Russland - auch über die von Russland geforderte Neutralität des Landes. Russland zeigte sich einem Medienbericht zufolge bereit, eine Delegation zu Gesprächen mit der Ukraine in die belarussische Hauptsstadt Minsk zu schicken. Der Delegation könnten Vertreter des Verteidigungs- und Außenministeriums angehören, meldete die Agentur RIA unter Berufung auf das Moskauer Präsidialamt. Die EU-Staaten einigten sich nach Informationen eines Offiziellen darauf, Vermögen von Präsident Wladimir Putin und Außenminister Sergej Lawrow einzufrieren.
Es habe schreckliche Raketenangriffe auf Kiew gegeben, schrieb der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba am Morgen auf Twitter. "Das letzte Mal, dass unsere Hauptstadt so etwas erlebt hat, war 1941, als sie von Nazi-Deutschland angegriffen wurde." Am Vormittag heulten in Kiew immer wieder Sirenen auf, die die drei Millionen Einwohner vor neuen Attacken aus der Luft warnten. Menschen suchten Schutz in U-Bahn-Stationen.
Präsident Selenskyj kündigte in einer Videobotschaft an, in der Hauptstadt zu bleiben, obwohl er klar das Ziel Nummer eins Putins sei. An die Nato gerichtet schrieb er auf Twitter: "Wir brauchen eine Anti-Kriegs-Koalition". In einem Gespräch mit Polens Präsident Andrzej Duda bat Selenskyj nach eigenen Angaben um militärische Unterstützung der osteuropäischen Nato-Staaten und um Hilfe, Russland an den Verhandlungstisch zu bringen.
KREML-SPRECHER: ENTMILITARISIERUNG ZENTRALES THEMA
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wird von der Agentur Ria mit den Worten zitiert, die Entmilitarisierung der Ukraine müsse ein zentraler Bestandteil der Gespräche sein. Außenminister Sergej Lawrow sagte, zu Gesprächen sei Russland bereit, sobald die ukrainische Armee die Kämpfe einstelle. Niemand greife das ukrainische Volk an. Putin hat mehrfach deutlich gemacht, dass er die Regierung in Kiew stürzen wolle. Russland pocht auf Sicherheitsgarantien, unter anderen dass die Ukraine kein Nato-Mitglied wird.
In der Ukraine hat Russland nach Angaben des Kiewer Innenministeriums in den vergangenen 24 Stunden 33 zivile Ziele getroffen. Das UN-Menschenrechtsbüro erklärt, es gebe Berichte über mindestens 127 zivile Opfer in der Ukraine, davon 25 Tote und 102 Verletzte. Die eigentliche Zahl dürfte aber weitaus höher liegen. Laut Präsident Selenskyj wurden bei den Kämpfen 137 Menschen getötet sowie Hunderte verletzt.
Russland hat eigenen Angaben zufolge 118 ukrainische Militärstandorte zerstört. Fallschirmjäger würden nach Tschernobyl gebracht, um dort das havarierte Atomkraftwerk zu bewachen, teilte das Moskauer Verteidigungsministerium mit. Die Strahlung rund um das Kraftwerk sei normal. Die ukrainische Atombehörde erklärte dagegen, die Strahlung sei erhöht.
MERKEL: DIESER ANGRIFFSKRIEG IST TIEFGREIFENDE ZÄSUR
Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den Einmarsch unterdessen scharf verurteilt. "Dieser Angriffskrieg Russlands markiert eine tiefgreifende Zäsur in der Geschichte Europas nach dem Ende des Kalten Krieges", erklärte sie. "Für diesen eklatanten Bruch des Völkerrechts gibt es keinerlei Rechtfertigung, ich verurteile ihn auf das Schärfste." Sie verfolge die Entwicklung mit größter Sorge und Anteilnahme.
Die UN rechnet mit bis zu fünf Millionen Flüchtlingen, wenn sich die Lage weiter zuspitzt. Schon jetzt sind nach Schätzungen rund 100.000 Menschen auf der Flucht. Viele versuchen in Nachbarländer wie Polen zu gelangen. In der Ukraine leben 44 Millionen Menschen. Die Bundesregierung hat Hilfen für Flüchtlinge angeboten.
"ER MUSS UND WIRD SCHEITERN"
Auf die Sanktionen direkt gegen Putin und Lawrow habe man sich bei der Umsetzung der Beschlüsse des EU-Sondergipfels am Donnerstagabend geeinigt. Zudem sagte ein EU-Beamter am Freitag der Nachrichtenagentur Reuters, dass man an weiteren Elementen einer dritten Runde von Sanktionen gegen Russland arbeite. EU-Finanzsanktionen zielten auf 70 Prozent des russischen Bankenmarkts und auf wichtige Staatsunternehmen ab, twitterte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach dem EU-Krisengipfel. "Diese Ereignisse markieren den Beginn einer neuen Ära. Putin versucht, ein befreundetes europäisches Land zu unterjochen. Er versucht, die Landkarte Europas mit Gewalt neu zu zeichnen. Er muss und wird scheitern."
Uneins scheinen die EU-Staaten in der Frage, ob Russland aus dem internationalen Zahlungssystem Swift ausgeschlossen werden soll. Bundeskanzler Olaf Scholz will sich diese harte Maßnahme noch aufsparen. Bedenken habe nicht nur Deutschland, sondern auch Italien und Frankreich, sagte ein Regierungssprecher in Berlin. Diese Maßnahme bräuchte eine längere Vorbereitung und hätte auch in Europa spürbare Auswirkungen.
rtr