Die deutsche Industrie hat positiv auf die Alarmstufe Gas reagiert, die die Bundesregierung wegen gedrosselter Gaslieferungen aus Russland ausgerufen hat. Die Regierung setze ein richtiges Signal, hieß es. Der Chemieverband VCI forderte gleichzeitig ein "transparentes Verfahren, um die Lasten gerecht zu verteilen". Ähnlich äußerte sich der Industrieverband DIHK. Für neun von zehn Betrieben stellten die hohen Energiepreise schon jetzt ein enormes Geschäftsrisiko dar.

Die Bundesregierung hatte am Donnerstag wegen der reduzierten Gaslieferungen aus Russland die Alarmstufe Gas ausgerufen. Die Drosselung der Gaslieferungen sei ein "ökonomischer Angriff", sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck. Die sogenannte Preisanpassungsklausel, die den Versorgern die sofortige Weitergabe höherer Einkaufspreise an die Kunden ermöglicht, sei aber noch nicht in Kraft. Die Alarmstufe ist die zweite von drei Stufen des Notfallplans Gas. Bisher galt die Frühwarnstufe. Die höchste wäre die Notfallstufe.

Dann droht eine Rezession wegen der Knappheit


Mit der Alarmstufe könne die Regierung wirksame Maßnah­ men zum Einsparen von Gas er­greifen, erläuterte Commerz­bank-­Chefvolkswirt Jörg Krä­mer gegenüber €uro am Sonn­tag. Dazu zählten der Einsatz von Kohlekraftwerken, um das Verstromen von Gas zu vermei­den, oder Auktionsmodelle, um der Industrie Sparanreize zu bieten. "Damit könnte es selbst bei Gaslieferungen auf dem gegenwärtig niedrigen Niveau noch gelingen, in den kommen­ den Monaten an drastischen Rationierungen vorbeizukom­men." Wenn aber Russland die Lieferungen ganz einstelle, müsste der Gasverbrauch in der Industrie rationiert werden. "In diesem Risikoszenario wäre eine tiefe Rezession wohl unver­meidlich."

Die zugespitzte Lage am Gas­ markt und neue Unsicherheiten haben den DAX am Donnerstag weiter unter Druck gesetzt. Hinzu kamen negative Konjunk­tursignale wie der schlechter als erwartet ausgefallene Einkaufs­managerindex für die Privat­wirtschaft im Juni. Aus Sorge um eine weltweite Rezession war der deutsche Leitindex bereits am Mittwoch erstmals seit März wieder unter die psychologisch wichtige Marke von 13 000 Punkten gerutscht.

Konzerne und Industriever­bände hatten in den vergange­nen Tagen schon ihre Warnun­gen vor einer konjunkturellen Eintrübung verstärkt. Der Che­miekonzern BASF beispiels­weise stellt sich laut Vorstands­chef Martin Brudermüller nach einem guten ersten Halbjahr wegen hoher Kosten und Infla­tion auf deutlich schwierigere Zeiten ein. Die BASF-Aktie büßte innerhalb einer Woche 14 Pro­zent ein.

Der Plan von BASF


Der Konzern rüstet sich au­ßerdem für weitere Gasein­schränkungen. Eine BASF-Spre­cherin erklärte am Donnerstag gegenüber €uro am Sonntag: "Derzeit erfolgt die Belieferung mit Erdgas an allen europäi­schen Standorten der BASF be­darfsgerecht. Es gibt keine gas­versorgungsbedingten Abstel­lungen oder Drosselungen." Sollte die Bundesregierung je­ doch die Notfallstufe ausrufen, "würde am Standort Ludwigsha­fen der Sonderalarmplan Erdgas greifen". Dieser sehe Reduktio­nen vor. "Vereinfacht kann man sagen: Sinkt die Versorgung nicht unter etwa 50 Prozent un­seres maximalen Erdgasbe­darfs, könnten wir den Verbund mit reduzierter Last weiterbe­treiben", sagte die Sprecherin.

Der Industrieverband BDI hatte wegen des Ukraine­Kriegs und der Pandemie seine Wachstumsprognose für die deutsche Wirtschaft für 2022 bereits auf 1,5Prozent mehr als halbiert. Eine Erholung "im Sinne einer Rückkehr zum Vorkrisenni­veau" sei frühestens zum Jahres­ende zu erwarten, sagte BDI-Prä­sident Siegfried Russwurm. Bei einer Gasdrosselung könne sich die Konjunktur wesentlich schlechter entwickeln. Eine Re­zession wäre wohl unvermeid­bar. Eine Unterbrechung der Versorgung könnte für einzelne Branchen irreparable Schäden mit sich bringen.