Facebooks Ankündigung der neuen digitalen Währung Libra hat eine Flut skeptischer, kritischer und feindseliger Reaktionen ausgelöst. Das ist verständlich angesichts von Facebooks Ruf der Nachlässigkeit beim Schutz der Daten seiner Nutzer. Trotzdem wird die Angst vor dem Unternehmen, das einst mit dem Versprechen "Move fast and break things" angetreten ist, nicht davon abhalten, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen und dabei möglicherweise komplette Volkswirtschaften zu zerstören.

Wir haben noch keinen ausführlichen Bericht darüber erhalten, wie die Libra funktionieren wird. Trotz allem revo­lutionären Hype könnte sie sich als lediglich eine neue Variante bestehender Zahlungssysteme erweisen. Apple Pay, PayPal, WeChat und andere Dienste ­bieten bereits jeweils grundlegende Zahlungsmethoden an. Doch handelt es sich bei diesen Diensten lediglich um ein weiteres Glied in der Kette bestehender Zahlungskanäle, die am herkömmlichen Bankensystem festgemacht sind.

Selbst wenn die Libra lediglich mit diesen bestehenden Akteuren konkurriert, könnte es eine hochprofitable Angelegenheit für Facebook sein, und zwar nicht nur wegen der Überweisungs- und Wechselkursgebühren, sondern auch in Bezug auf die Datensammlung. Allein die Zahlungs- und Trans­aktionsdaten der enormen Nutzerbasis des sozialen Netzwerks wären lohnend.

Doch natürlich wird die Libra als viel mehr verkauft. Ein leitender Facebook- Manager hat es so formuliert: "Wir wollen, dass das Versenden von Geld so einfach wird wie der Versand einer SMS." Wie würde das angesichts des Faktums, dass die Libra an einen Korb stabiler Leitwährungen angebunden wird, in der Praxis funktionieren?

Wenn die Menschen in Argentinien mit einem einzigen Antippen ihres Smartphones von Pesos auf einen Korb stabiler Währungen wechseln könnten, würden sie ihre Pesos dann nicht beim ersten Anzeichen von Problemen in der heimischen Wirtschaft in diesen sicheren Vermögenswert umwandeln?

Während einer Panikattacke innerhalb eines Landes folgen internationale Kapitalflüsse in einem System ohne Einlagensicherung der Logik eines Ban­kensturms. Wenn die Einleger einen Bankenzusammenbruch befürchten, heben die Vernünftigen unter ihnen ihr Geld ab. Wenn die Bank zusammenbricht, vermeiden sie einen Verlust; überlebt die Bank, können sie das Geld später ohne größere Kosten wieder einzahlen. Doch wenn genügend Einleger das Vernünftige tun und ihr Geld ab­heben, bricht die Bank zusammen.

Dieselbe Art sich selbst erfüllender Prophezeiung kann auch in einer Volkswirtschaft eintreten. Wenn eine Abwertung des Peso bevorzustehen scheint, werden alle rational denkenden Peso­besitzer ihre Pesos gegen eine problemlos verfügbare stabile Währung ein­tauschen - womit sie die von ihnen ­befürchtete rapide Abwertung selbst hervorrufen.

Länder wie Argentinien sind anfällig für Kapitalflucht


In der heutigen Welt sind derartige massive Verlagerungen zwischen Währungen selten, weil internationale Devisentransaktionen erheblichen Reibungen unterliegen. Selbst bei den wichtigsten Währungen beträgt die Differenz zwischen Geld- und Briefkurs einer ausländischen Währung (für Privatkunden) in der Regel etwa zehn Prozent. Dazu kommen noch beträchtliche Überweisungsgebühren, wie sie etwa Western Union für die Auslandsüberweisungen von Gastarbeitern verlangt. Und obwohl große Akteure des Finanzsektors de­stabilisierende Transaktionen ausführen können und das - wie etwa beim "Taper Tantrum" des Jahres 2013 - auch tun, werden die Devisenflüsse in diesen Fällen noch immer durch Regulierungs­beschränkungen begrenzt.

Wir wissen nicht genau, was passieren würde, wenn die Allgemeinheit plötzlich Zugriff auf eine preiswerte, unregulierte Methode für den Tausch einer volatilen lokalen Währung in einen Korb sicherer Währungen hätte. Doch die Risiken sind offensichtlich. Länder mit langer Tradition von Abwertungen wie Argentinien sowie jedes mittelgroße Land mit flexiblem Wechselkurs wären extrem anfällig für eine Kapitalflucht.

Copyright: Project Syndicate

Kurzvita

Stephen Grenville
Fellow am Lowy Institute in Sydney
Grenville war von 1982 bis 2001 stellvertretender Gouverneur der ­Reserve Bank of Australia. Davor arbeitete der Ökonom für die OECD in Paris, den Inter­nationalen Währungsfonds in Jakarta sowie die Australian National University und das ­australische Außen­ministerium. Heute ­engagiert Grenville sich in der Denkfabrik Lowy.