Die Inflation klettert auf Rekordniveau, der Leitzins im Euroraum dagegen verharrt auf dem Rekordtief von null Prozent - und die Stimmen mehren sich, die vor einer Aktienblase warnen. Die jüngsten Kursverluste tun ihr Übriges. Vor diesem Hintergrund nimmt ein Thema Fahrt auf, dessen konkrete Ausgestaltung sich viele Anleger lange Zeit überhaupt nicht vorstellen konnten: Crowdinvesting.
Streng genommen handelt es sich dabei um eine Unterform von Crowdfunding, zu Deutsch Schwarmfinanzierung. Was konkret bedeutet, dass Unternehmen oder Vorhaben nicht oder nicht nur durch Eigenkapital und Bankkredite finanziert werden, sondern durch Kapital, das über Internetplattformen bei vielen Kleinanlegern eingesammelt wird. Die können sich so gemeinsam an innovativen Unternehmen oder Ideen beteiligen, zu denen sie allein keinen Zugang hätten.
Vom Sozialen zur Rendite
Ganz unbekannt ist das Konzept nicht. Doch als die Idee des Crowdfundings Anfang des Jahrtausends aufkam, ging es hauptsächlich darum, Geld für soziale und kulturelle Projekte zu beschaffen. Ein Ansatz, den heute noch viele mit dem Begriff verbinden. Wer in den Anfangstagen mitmachte, wollte zumeist nicht verdienen, sondern eine gute Idee unterstützen. Heute wird diese Form des Crowdfundings zur Abgrenzung als Spenden-Crowdfunding bezeichnet. Die Begriffe Crowdfunding und Crowdinvesting hingegen werden immer häufiger - im Sinne des Letztgenannten - synonym benutzt.
Erst später wandelte sich das Interesse der Schwarmfinanzierer. Laut Informationsportal Crowdfunding.de ist mit steigender Bekanntheit auch der Wunsch gestiegen, Rendite zu erzielen. So geht es aus dem Crowdfunding-Barometer hervor, das Betreiber Michel Harms seit 2015 einmal im Jahr erstellt. Im bislang letzten, das Anfang 2021 online ging, war dies für jeden dritten Befragten "eine interessante Option". Womit wir also beim Thema Crowdinvesting wären.
Das Problem: Der Markt habe im Lauf der Zeit "einige Hochs und Tiefs" erlebt, wie Harms das formuliert. Auch wenn die Europäische Union im November die Crowdfunding Service Provider Verordnung (ECSP-VO) verabschiedet hat, die die Bedingungen innerhalb des Wirtschaftsraums harmonisieren soll, ist noch viel Bewegung zu beobachten. Viele Crowdfunding-Portale der ersten Stunde sind längst vom Markt verschwunden, andere fusionierten. Aktuellstes Beispiel ist der Zusammenschluss der bis dahin führenden deutschen Crowdfinanzierungs-Plattform Kapilendo mit der finnischen, börsennotierten Finanzierungsplattform Invesdor, die bereits zuvor mit Finnest fusioniert hatte.
Investoren müssen gut hinschauen
Für potenzielle Investoren ist es daher nicht einfach, den Überblick zu behalten. Genau den brauche man aber, wie Harms betont, denn bei allen Vorteilen, die Crowdinvesting biete, könne es auch deutliche Nachteile geben. Egal, in welcher Form der Schwarm das Kapital zur Verfügung stellt: Zumeist geht es um festverzinsliche Kredite oder direkte Beteiligungen, es bleibt ein deutlich höheres Verlustrisiko als bei vielen anderen Anlageformen.
Für Anleger heißt das erstens, immer nur Beträge zu investieren, die im Börsenjargon gern als "Spielgeld" bezeichnet werden, auf die man also im Zweifel verzichten kann. Zweitens bedeutet es, sich über die Projekte oder Unternehmen, in die man investiert, immer genau zu informieren. Und drittens ist es eben auch wichtig zu wissen, auf welche Plattform man sich einlässt, wie diese beispielsweise die Projekte auswählt und abwickelt. Um hier Orientierung bieten zu können, beauftragte €uro am Sonntag nun schon zum vierten Mal das Deutsche Kundeninstitut mit einem Anbietertest. Dieses Mal ließen sich 17 Plattformen auf Herz und Nieren prüfen. Finnest ist aus dem oben beschriebenen Grund nicht mehr dabei, und auch Invesdor sah sich aktuell noch nicht bereit für das DKI-Testverfahren. Außerdem wollten Ecozins und Mezzany, die 2021 auf den hinteren beiden Plätzen gelandet waren, und Engel & Völkers Digital Invest dieses Mal nicht dabei sein. Dafür kamen drei neue hinzu.
Da die Plattformen in verschiedenen Bereichen tätig sind, unterscheidet auch die Studie drei Sparten: "Immobilien" (gemessen in Investitionsvolumen die größte), "Unternehmensfinanzierung" und "Energie und Umwelt". Gerade beim letztgenannten Thema sehen Insider große Wachstumschancen. Schon heute geht es den Schwarmfinanzierern verstärkt um nachhaltige Projekte - auch bei der Immobilien- und Unternehmensfinanzierung.
Drei Sparten - drei Kategorien
Geprüft wurde in den Kategorien "Angebot", "Konditionen" und "Kundenservice". Die Ergebnisse der ersten beiden führen wir unten jeweils einzeln für die verschiedenen Branchen auf, ebenso gibt es dort weitere Erläuterungen zum Studiendesign und den Kategorien ("So wurde getestet"). Das Ranking für den Kundenservice wird dagegen in einer Tabelle abgebildet , ebenso wurde eine Gesamttabelle erstellt, in die alle Kategorien gemeinsam einfließen.
Sieger für den Bereich Immobilien und gleichzeitig Gesamtsieger ist wie schon im vergangenen Jahr Dagobertinvest mit der Bestnote "sehr gut +". Die österreichische Plattform ist - als einzige im Test - nicht in Deutschland ansässig, wendet sich aber auch an deutsche Anleger und investiert in größerem Stil hierzulande. In Österreich ist sie mit bislang 219 gelaunchten und 85 zurückgezahlten Projekten Marktführer.
Dagobertinvest deutlich vorn
Den Spitzenplatz in unserem Test verdankt Dagobertinvest vor allem dem guten Abschneiden im Bereich Konditionen. Mit vielen Bonuspunkten kommt die Plattform hier auf 113,8 Punkte. Zum Vergleich: Am schlechtesten schnitt dabei in der Kategorie "Immobilien" GLS Crowd mit nur 64,6 Punkten ab. Dafür gab es nur ein "befriedigend". Noch schlechter fiel die Bewertung der Konditionen im Bereich "Energie & Umwelt" für das 2017 gegründete Unternehmen aus. Dort reichte es mit 53,4 Punkten nur für "ausreichend".
Was die Tester beim Gesamtsieger Dagobertinvest in der Kategorie Konditionen besonders beeindruckte: Sowohl mit dem aktuell prognostizierten Basiszins von jährlich acht Prozent (Verzinsung exklusive eventueller Gewinne aus einem Exit, Verkauf etc.) als auch mit der durchschnittlichen Basisverzinsung der letzten zwölf Monate (7,77 Prozent) erreicht die Plattform den höchsten Wert über alle Anbieter. Und auch im 36-Monate-Vergleich liegt sie vorn.
Die Rendite in den vergangenen drei Jahren über alle erfolgreich finanzierten und abgeschlossenen Projekte lag im Mittel bei 10,6 Prozent und ist damit ebenfalls mit weitem Abstand zum Wettbewerb am höchsten. In unserem Test wird unter Rendite der Ertrag der Investition nach Abzug von Kosten und Gebühren, inklusive der Gewinne aus Exits, Verkauf oder anderen Wertsteigerungen verstanden.
Einstieg ab zehn Euro
Neben Zinsen und Ertrag ist für mögliche Anleger auch die Einstiegshürde von Bedeutung. Hier macht es im Bereich Immobilien Bergfürst den potenziellen Investoren am leichtesten. Die Berliner sind eine der größten deutschen Onlineplattformen für digitale Immobilien-Investments - und auch eine der bekanntesten. Sie verlangt als Mindestanlage gerade einmal zehn Euro. Die anderen Anbieter starten mit 100 bis 500 Euro oder setzen, wie etwa Wiwin, den Mindestanlagebetrag projektabhängig an. Wiwin ist eine Plattform, die sich auf nachhaltige Investments in allen drei untersuchten Bereichen konzentriert - und darum im Test auch in allen drei Bereichen dabei ist. In den Einzel-Gesamtrankings schneidet Wiwin, gleichzeitig auch die am längsten am Markt befindliche Plattform, einmal mit "sehr gut +" (Unternehmensfinanzierung) und zweimal mit "gut" ab.
Wer mit wenig Einsatz in den Bereich Energie und Umwelt investieren will, fährt bei Bettervest am besten. Der Anbieter wirbt damit, die weltweit erste Crowdfunding-Plattform zu sein, über die Interessenten ab 50 Euro "in Energieeffizienz-Projekte etablierter Unternehmen, Vereine & Kommunen investieren können und im Gegenzug finanziell an den erzielten Einsparungen beteiligt werden". Im aktuellen Test landet Bettervest sowohl im Einzelgesamtranking als auch in der Kategorie "Konditionen" mit "sehr gut +" auf Platz 1.
Exporo mit den meisten Projekten
Betrachtet man die Testkategorie "Angebot" separat, fällt zunächst einmal positiv auf, dass alle untersuchten Plattformen in den vergangenen zwölf Monaten erfolgreich fundeten. Im Schnitt waren es 19 Projekte, wobei Immobilienspezialist und Marktführer Exporo mit 52 erfolgreich gefundeten die meisten aufwies. In den vergangenen 36 Monaten waren es sogar 191 Projekte. Zum Stichtag 1. November 2021 hatten die Plattformen durchschnittlich fünf Projekte im Angebot. Die größte Auswahl zu diesem Zeitpunkt hatte Bergfürst mit 36. Vier Plattformen konnten aktuell kein Projekte anbieten.
Ebenfalls für alle Plattformen gilt: Interessenten können auf der Website einsehen, in welche konkreten Projekte ihr Geld investiert wird. Zudem erhalten sie dort projektspezifische Informationen. Außerdem ist bei allen Anbietern die Einzahlung einer Investition per Überweisung möglich, und die Zinsgutschrift kann bei allen außer Zinsbaustein jährlich erfolgen.
Über die Risiken der jeweiligen Anlagemöglichkeit wird überwiegend gut aufgeklärt. Alle Anbieter informieren mit dem - gesetzlich vorgeschriebenen - Vermögensanlage-Informationsblatt (VIB) sowie auf der jeweiligen Projektseite. 16 Anbieter weisen im Investitionsprozessabschnitt auf die Risiken hin, 14 in den FAQs und zehn in einem gesonderten Dokument. Zwölf Anbieter geben ferner konkrete Hinweise, wie Risiken minimiert werden können.
Trotzdem zeigen sich gerade in der Bewertung des Angebots in den einzelnen Sparten große Unterschiede. Insgesamt reicht die Benotung von dreimal "sehr gut +" in der Sparte Immobilien bis hin zu einmal "mangelhaft" in der Sparte Unternehmensfinanzierung für Aescuvest. Die in Frankfurt am Main ansässige Plattform konzentriert sich auf die Realisierung von Start-ups und Wachstumsunternehmen im medizinischen und technischen Gesundheitssektor. Zur Abwertung der Plattform führte unter anderem, dass sie als einzige sowohl in den vergangenen zwölf Monaten (ein Projekt) als auch bei Betrachtung der vergangenen 36 Monate (vier Projekte) nicht erfolgreich platzierte Projekte ausweisen musste.
Unterschiedliche Auswahlkriterien
Deutlich zeigen sich die oben bereits angesprochenen Unterschiede bei den einzelnen Projekten und Auswahlkriterien der Plattformen. So weisen beispielsweise in der Sparte "Energie und Umwelt" nur sechs von acht Anbietern darauf hin, dass ihre Projekte die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (UN) verfolgen müssen. Bei sieben Anbietern muss gewährleistet sein, dass die Projekte festgesetzte Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Bei fünf Anbietern zählt eine feste Verzinsung des Kapitals zu den Bedingungen. In der Sparte "Immobilien" fordern vier Plattformen ein positives Gutachten. Fünf nehmen nur Immobilien, die energieeffizient und nachhaltig sind. Ebenfalls fünf fordern, dass sich die Projekte in Deutschland, Österreich oder der Schweiz befinden müssen.
Für die Auswahl der Unternehmensfinanzierer gilt: Bei drei Plattformen muss es sich um ein kleines oder mittelständisches Unternehmen handeln und die Rechtsform eine Kapitalgesellschaft sein. Fünf Anbieter überprüfen die Bonität, aber nur eines (Bettervest) fordert, dass das Unternehmen mindestens drei Jahre alt sein muss. "Manchmal kleine, mitunter aber auch größere Differenzen, die deutlich machen, wie wichtig es beim Crowdinvesting ist, sich umfassend zu informieren", betont DKI-Chef Jörn Hüsgen.
Informationsgehalt ausbaufähig
Bleibt die Kategorie "Kundenservice". Testsieger Dagobertinvest schafft es hier mit der Note "sehr gut" nur auf Platz 3. Spitzenreiter ist die Berliner Plattform Zinsbaustein, die in der parallel durchgeführten Kundenbefragung auch zum beliebtesten Anbieter gekürt wurde.
Auch hier zeigt sich das Feld breit gestreut. Neben zweimal Bestnote "sehr gut +" wurde einmal "befriedigend" und einmal "ausreichend" vergeben. Zur Abwertung beim Schlusslicht Impact Funding führte unter anderem, dass die Plattform auf ihrer Website keinen Hotline-Service anbietet und sich auf Facebook rarmacht.
Immerhin: 85 Prozent aller Testanrufe und E-Mail-Anfragen wurden von den Anbietern beantwortet. Am Telefon zeigte sich Bettervest am freundlichsten. Am kompetentesten empfanden die Anrufer die Hotlines von GLS Crowd, Green Rocket, Home Rocket und Lion Rocket. Die freundlichsten E-Mail-Antworten schrieb dagegen Zinsbaustein.
Der Internetauftritt aller Anbieter wurde als übersichtlich und selbsterklärend wahrgenommen. Den Informationsgehalt jedoch wertete das DKI in vielen Fällen als ausbaufähig. So informieren 13 Anbieter gar nicht über die grundsätzlich verschiedenen Beteiligungsmodelle und nur drei in ausreichendem Umfang. Zu den Kosten gibt es auf acht Plattformen keine Informationen.
Zinsbaustein eindeutig vorn:
Zusätzlich zur Marktstudie führte das DKI auch eine Kundenumfrage durch. Dabei wurden zum einen allgemeine Einschätzungen erhoben, beispielsweise, in wie viele Crowdinvesting-Projekte die Kunden bislang investierten oder über welche Kanäle sie Informationen bezogen. Zum anderen wurde die Zufriedenheit mit einzelnen Anbietern und die Bereitschaft, diese weiterzuempfehlen, erfasst.
Dabei zeigte sich, dass die Mehrheit der Kunden zufrieden mit dem Ablauf der Crowdinvestments, der Auszahlung sowie mit Informationsfluss und -gehalt ist. Am zufriedensten sind die Kunden von Zinsbaustein (Note 1,3). Am wenigsten sind die Kunden von Exporo (Note 2,5) zufrieden. Analog dazu zeigten Anleger von Zinsbaustein die größte Bereitschaft zur Weiterempfehlung. Bei Bergfürst, Dagobertinvest und Exporo dagegen gab es unter den Kunden mehr Kritiker als Befürworter.
So wurde getestet:
Studiendesign: Das DKI testet die Beratungs- und Servicequalität von Anbietern nach einem Design der Universität Düsseldorf. Crowdinvesting-Plattformen wurden in diesem Jahr zum vierten Mal analysiert. Da das Gros der finanzierten Projekte aus den Bereichen "Energie und Umwelt", "Unternehmen" und "Immobilien" stammt, unterscheidet auch die Studie diese drei Sparten.
Kriterien und Wertung: Untersucht wurden 380 Einzelkriterien in drei Kategorien. Bei den "Konditionen" geht es unter anderem um Gebühren, Mindest- und Maximalanlagebetrag, Verzinsung und Laufzeit. Beim "Angebot" schauen die Tester etwa auf mögliche Anlagemodelle, die Art der Projekte und Einzahlungsmöglichkeiten. Beim Kundenservice geht es unter anderem um Kompetenz, Freundlichkeit und Schnelligkeit der Mitarbeiter sowie die Qualität der Onlinepräsenz. Die Kategorien "Konditionen" und "Angebot" wurden mit jeweils 40 Prozent gewichtet, der Kundenservice mit 20 Prozent. Bekam ein Anbieter mehr als 100 Punkte, erklärt sich das mit Bonuspunkten.
Datenerhebung: Erhoben wurden die Daten über Befragungen der Anbieter, verdeckte Anfragen (telefonisch und online) von Testkunden sowie Analysen von Webseiten und Social-Media-Auftritten. Für den Test kam es von September bis Dezember 2021 zu 360 Kundenkontakten.