Was haben der Hamburger SV und General Electric (GE) gemeinsam? Beide waren Urgesteine ihrer Liga und mussten 2018 doch absteigen. Während sich die Kicker aus der Hansestadt seit 1963 in der Bundesliga halten konnten, schaffte es GE sogar 111 Jahre lang, nicht aus dem Dow Jones abzusteigen. Bei beiden war der Abstieg aber keine Überraschung: Der Fußballklub hatte sich mehrfach durch die Relegation zittern müssen. Der Mischkonzern hatte immer wieder schlechte Quartalszahlen präsentiert. Als GE dann doch aus dem Dow Jones flog, schrieben US-Medien von -einer "Tragödie", einer "Schande" oder vom "Gipfel des Niedergangs".

GE war schon vor Jahren in Schieflage geraten und bei Anlegern in Ungnade gefallen. 2018 potenzierte sich der Horror, riesige Verluste und Ärger mit der US-Börsenaufsicht machten dem Konzern zu schaffen. Beobachter sehen vor allem zwei Gründe für den Niedergang der einstigen Industrie-Ikone der Vereinigten Staaten: schwerwiegende Managementfehler und den Wandel der US-amerikanischen und globalen Wirtschaft. Nicht zuletzt schnürte auch die eigene Größe GE über Jahre die Luft ab. 2019 aber könnte das Management das Ruder wieder herumreißen.

Glorreiche Historie. Im Jahr 1890 gründete der Erfinder und Unternehmer Thomas Alva Edison die Edison General Electric Company, um seine verschiedenen Unternehmungen unter einem Dach zu vereinen. Edisons bekannteste Entwicklung ist zwar die Glühbirne, sein Erfindungsreichtum ging jedoch weit darüber hinaus: Im Lauf seines Lebens meldete er weltweit mehr als 2300 Patente an. Zwei Jahre nach Gründung verschwand der Namensbestandteil "Edison", als sein Unternehmen mit dem damals größten Konkurrenten Thomson-Houston Electric Company zur General Electric Company verschmolz.

Im Lauf der folgenden Jahrzehnte wuchs das Unternehmen zum Vorzeigekonzern der USA heran. GE stellte Glühbirnen, Gasturbinen, Röntgengeräte her, baute Kraftwerke, war zeitweise auch im Mediengeschäft aktiv. Ein Tausendsassa als Unternehmen - und viele Jahre lang sowohl größtes Vorbild als auch schärfster Wettbewerber für andere Industriekonzerne wie Siemens. Fusionen und Übernahmen sorgten dafür, dass GE immer weiter wuchs.

In den 1970er-Jahren galt GE zwar als innovatives, aber ineffizientes Firmenkonglomerat. Dann kam John Francis Welch, genannt Jack. Er übernahm den Chefsessel im Jahr 1981 und regierte die folgenden 20 Jahre. Welch, dessen Autobiografie den nicht gerade unbescheidenen Titel "Was zählt. Die Autobiografie des besten Managers der Welt" trägt, war ein Mann der Zahlen. Kurz nach seinem Amtsantritt entließ er ein Viertel der Belegschaft und verschlankte das GE-Portfolio. Für ihn zählten nur geschäftlicher Erfolg und Gewinn. Seine Devise: "Fix, close or sell" - nicht profitable Sparten müssten repariert, geschlossen oder verkauft werden.

Auf Seite 2: Gigantische Finanzsparte





Gigantische Finanzsparte. Welch ordnete alles dem Shareholder Value unter, wollte also in erster Linie die GE-Aktionäre zufriedenstellen. Während seiner Amtszeit stieg der Aktienkurs des Unternehmens um 4000 Prozent! Mit Gründung der Tochter GE Capital drang der Industriekonzern ins Finanzgeschäft vor. Wollten Kunden Turbinen oder Züge bei GE kaufen, konnte die hauseigene Bank die passende Finanzierung anbieten. Bald gab es bei GE Capital auch Autokredite, Hypotheken und Pflegevericherungen. Die Mittel besorgte sich die Konzerntochter am Finanzmarkt, häufig über kurzfristige Schuldverschreibungen. Zeitweise trug die Sparte mehr als die Hälfte zum Konzernumsatz bei.

"Ende der 90er-Jahre war GE Capital ein riesiges Profitcenter, die Sparte hat viele Erfolge erzielt. Das hat es dem Management erlaubt, sich von seinen einstigen Kernkompetenzen wegzubewegen", sagt George Eckes, Chef der Unternehmensberatung Eckes & Associates und in den 90er-Jahren einer der Hauptberater von General Electric sowie Konzernchef Welch.

Aber dann kam die Finanzkrise von 2008, in deren Sturm Jeffrey Immelt Nachfolger von Jack Welch wurde. Gläubiger der Schuldverschreibungen, die GE begeben hatte, forderten ihr Geld zurück, gleichzeitig traf die Kreditklemme GE mit voller Wucht. Der Konzern musste gar staatliche Hilfe in Anspruch nehmen. Nach der Krise begann Immelt zunächst damit, GE Capital zu verkleinern, beschloss schließlich die weitgehende Trennung von der Finanztochter.

Teure Zukäufe. Immelt wollte die Rückbesinnung auf das industrielle Kerngeschäft seines Unternehmens. Um dieses Ziel zu erreichen, stieß er nicht nur Geschäftsbereiche ab. Er gab auch mehrere Milliarden US-Dollar für die Übernahme von Energie-Unternehmen aus. GE gönnte sich unter anderem das Energiegeschäft des französischen Konkurrenten Alstom - für 8,5 Milliarden Euro. Immelt brach mit der Strategie von Vorgänger Welch: "Beim Aufbau des nächsten Industriezeitalters ist Kundenorientierung wichtiger denn je", sagte Immelt im April 2015. Im Jahr 2017 schrieb er in einem Brief an die Aktionäre, GE habe eine "überlegene globale Präsenz".

Immelts Optimismus und die Maßnahmen zur Neustrukturierung halfen nicht. Als er im August 2017 den Vorstandsvorsitz an John Flannery abgab, war die einstige Industrie-Ikone heruntergewirtschaftet. Die Neubesinnung auf das Industriegeschäft war mit der Krise der Energiebranche kollidiert. Das Unternehmen konnte der sinkenden Nachfrage nach seinen Produkten nichts entgegensetzen. "Der Strukturwandel hat GE schwer zu schaffen gemacht, etwa der Wandel der Energiebranche hin zu erneuerbaren Energien. Das Unternehmen hat sich nicht rechtzeitig angepasst", sagt Daniel Stelter, Ökonom und Gründer des Blogs "Beyond the Obvious". Er hat sich intensiv mit der GE-Krise befasst und sieht die vielen Akquisitionen unter Ex-Boss Immelt kritisch: "Für manche Übernahmen hat GE zu viel Geld ausgegeben, und die Akquisition von Alstom kam zum falschen Zeitpunkt", sagt Stelter.

Auf Seite 3: Luftfahrt und Energie





Luftfahrt und Energie. John Flannery startete mit hehren Zielen. Das Unternehmen sollte sich wieder auf das Geschäft mit Luftfahrt und Energie fokussieren, so sein Plan. Er kündigte an, GE werde gleich aus zwei großen Branchen aussteigen: Öl und Gas sowie Gesundheit. Die Umstrukturierungen hätten viel Zeit gebraucht. Diese Zeit wollten aber weder die Aktionäre noch der GE-Verwaltungsrat Flannery zugestehen. Während Flannerys Amtszeit verlor GE an der Börse weiter an Wert, dazu kamen technische Probleme mit fehlerhaften Gasturbinenschaufeln. 2017 stand unter dem Strich ein Verlust von sechs Milliarden US-Dollar, 2018 musste der Konzern seine Kraftwerkssparte im Gesamtwert von 23 Milliarden US-Dollar komplett abschreiben. In der Folge kappte das Unternehmen zum wiederholten Mal seine -Gewinnprognose für das Jahr. Nach nur 14 Monaten im Amt musste der glücklose Flannery abtreten.

Der Heilsbringer. Seit Oktober 2018 steht nun Lawrence Culp an der Spitze von GE. Er soll den Niedergang des einstigen Aushängeschilds der US-Wirtschaft endlich stoppen. Zu seiner Motivation dürfte beitragen, dass er im Erfolgsfall über ein Konstrukt aus Gehalt, Boni und Aktienpaketen bis zu 300 Millionen US-Dollar kassieren kann. Als Erstes schockierte Culp die Märkte, indem er die Dividende für Aktionäre auf nur noch einen Cent pro Aktie und Quartal senkte. Damit will der neue CEO rund vier Milliarden US-Dollar pro Jahr sparen und so die Schulden des Konzerns senken. Er startete eine Transparenz-Offensive und erklärte, dass das US-Justizministerium und die Börsenaufsicht SEC die Bilanzen des Konzerns wegen möglicher Bilanzfälschungen prüfen. Er kündigte an, insgesamt 22 Milliarden US-Dollar auf die Energiesparte abzuschreiben. Und die Medizintechniksparte will er schon bald an die Börse bringen.

Culp ist damit der Hoffnungsträger von Analysten und Aktionären. Anders als seine Vorgänger kommt er von außen, hat keine jahrelange Karriere bei GE hinter sich. Von 2001 bis 2015 leitete er den US-Mischkonzern Danaher. Er gilt als Manager, der auch mal selbst mit anpackt, neue Ideen einbringt und zugekaufte Unternehmen gut integriert. Culp will das aufgeblähte Konglomerat GE durch den Verkauf von Unternehmenssparten verschlanken, die Bilanz der schon weitgehend abgespaltenen GE Capital weiter schrumpfen und Profitabilität und Cashflow langfristig verbessern. Viele Beobachter sind überzeugt, dass die Trendwende unter Culp tatsächlich gelingen könnte - auch weil er als Externer einen anderen Blick auf GE mitbringt als frühere Manager.

Allerdings: Es dürfte eine Weile dauern, diesen Karren aus dem Dreck zu ziehen. "Die geplanten Maßnahmen sind sinnvoll, brauchen aber Zeit - zumal mit den Untersuchungen der Börsenaufsicht zusätzliche Unsicherheiten auf dem Konzern lasten", sagt Reto Hess, Analyst der Credit Suisse. Vielleicht ist es aber auch zu spät. Selbst Firmenlegende Jack Welch zeigte sich in einem Interview mit dem "Wall Street Journal" nicht sicher, ob sein alter Arbeitgeber den Turnaround schafft. Er hoffe aber, dass Culp "ein neues GE" aufbauen kann.

Auf Seite 4: GE-Geschäftsführer der vergangenen 56 Jahre





Fred Borch (1963 - 1972)


In seiner fast zehnjährigen Amtszeit gelang es Borch, den Umsatz und die Einnahmen von GE deutlich zu steigern. Der Manager investierte in großem Stil - aber nicht immer erfolgreich. Aus dem vielversprechenden Computergeschäft zum Beispiel stieg GE bald wieder aus. Dafür machte Borch den Konzern zu einem der größten Lieferanten von Triebwerken für Düsenjets.

Reginald Jones (1972 - 1981)


Jones legte eine klassische Konzernkarriere hin. Er begann sein Berufsleben 1939 bei GE, 1968 wurde er Finanzvorstand, zwei Jahre später Vizepräsident und schließlich stieg er zum Vorstandsvorsitzenden auf. Unter Jones begann der Wandel des Unternehmens zum global operierenden Konzern. Er baute zudem das Geschäft mit Werkstoffen, Dienstleistungen und im Transportgeschäft aus.

Jack Welch (1981 - 2001)


Er machte GE zum zeitweise teuersten Unternehmen der Welt. Dafür schreckte er auch vor harten Maßnahmen nicht zurück, etwa der Kündigung von 100 000 Mitarbeitern, was ihm den Beinamen "Neutronen Jack" bescherte. Er baute GE mit Zukäufen im In- und Ausland schrittweise aus und machte GE Capital zu einem der weltgrößten Finanzdienstleister.

Jeff Immelt (2001 - 2017)


Immelt war Chef der Medizinsparte, bevor er seinen Job als Vorstandschef antrat. Während seiner Amtszeit setzte er sich für mehr Kundenorientierung ein und strukturierte den Konzern um. Unter Immelt stieg das Vermögen von GE Capital auf mehr als 500 Milliarden US-Dollar. Die Finanzkrise war dann ein Schlag, von dem sich der Konzern nie wieder ganz erholte.

John Flannery (2017 - 2018)


Während seiner kurzen Amtszeit leitete Flannery den Verkauf ganzer Sparten ein, veräußerte etwa das Geschäft mit Gasmotoren und Stromaggregaten. Er wollte, dass sich GE auf wenige Geschäftsbereiche fokussiert - Luftfahrt, Kraftwerke und erneuerbare Energien. Aber er konnte die Gewinnprognosen nicht halten und musste abtreten.

Lawrence Culp (seit 1. Oktober 2018)


Mit dem 55-Jährigen soll die Wende gelingen. Er bezeichnet seinen Job als Herausforderung seines Lebens. Der CEO ist der erste Externe an der Spitze von GE, leitete vorher 14 Jahre lang den Mischkonzern Danaher. In dieser Zeit verfünffachte sich der Umsatz des Konzerns, die Marktkapitalisierung stieg von 20 auf 50 Milliarden US-Dollar.

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