Das Leben auf Kredit erstreckt sich mittlerweile auf viele Bereiche: So zahlen Studenten in den USA nicht nur an Elite-Universitäten horrende Studiengebühren für ihre akademische Ausbildung. Die Investition in Bildung ist häufig nur über die Aufnahme von Krediten möglich, das Studium der Humanmedizin summiert sich schnell auf 250 000 Dollar. Angehende Ärzte starten dort im Durchschnitt mit Schulden von 160 000 Dollar ins Berufsleben. Kredite, die in der Masse schon jetzt soziale Sprengkraft bergen. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich im Pharmasektor ab: Dort haben die Konzerne von den Unternehmen der Softwarebranche gelernt. Die Umstellung vom einmaligen Kauf einer Lizenz hin zum Cloud-basierten Leasingsystem brachte Unternehmen wie SAP und Adobe einen ordentlichen Gewinnschub.
Prägend in der Pharmabranche sind die häufig extrem hohen Forschungsaufwendungen für die meisten Produkte - von denen viele es nie zur Marktreife schaffen. Ein erfolgreiches Produkt muss die Kosten vieler misslungener Produktentwicklungen über Jahre hinweg mittragen. Für die Konzerne ist es also wesentlich lukrativer, ihre Kunden, die Patienten, über viele Jahre hinweg an sich zu binden - mit dem steten Verkauf dauerhaft notwendiger Medikamente. Das Interesse, Präparate für eine vollständige, kurzfristige und womöglich gar dauerhafte Heilung zu entwickeln, ist naturgemäß begrenzt.
Neuland betritt nun das amerikanische Pharmazie- und Biotechnologieunternehmen Gilead Sciences mit dem Präparat Sovaldi. Dieses stellt erstmals die vollumfängliche Heilung chronischer Hepatitis C in Aussicht. Laut klinischer Studien wurden mit ihm bis zu 90 Prozent der betroffenen Patienten geheilt. Nötig ist dafür eine mehrwöchige Therapie mit täglicher Tablettendosis. Gilead Sciences vertreibt das Medikament für rund 700 Euro. Pro Tablette. Die Kosten für die vollständige Heilung summieren sich so schnell auf mehrere Zehntausend Euro. Der Hersteller verteidigt Medikament und Preispolitik als echten Innovationssprung. Deutsche Krankenkassen fürchten jedoch jährliche Kosten von mehr als einer Milliarde Euro, falls alle der geschätzt 300 000 Hepatitis-C-Infizierten mit dem Präparat behandelt würden. Was dem Patienten ein Heilsbringer, ist für das Gesundheitssystem die Katastrophe: Ihm droht der Kollaps.
Da die Gesundheitssysteme die enorme finanzielle Belastung nicht tragen können, sollte die Entwicklung heilender, zugleich aber absurd teurer Medikamente Schule machen, muss ein anderer Weg beschritten werden: Angedacht wird in der Branche - noch hinter vorgehaltener Hand - dem Patienten Leasing- und Finanzierungsmodelle für heilende Präparate zu verkaufen. Der Patient würde bei solchen "Health-Loans" anteilig einen entsprechenden Betrag zahlen, der über Jahre, mittels eingeräumter Kreditlinie, abgestottert würde.
Dieser Weg würde das komplette Behandlungsschema der meisten Länder von Grund auf verändern. Bereits heute ist klar, dass die Menschen in den Industrienationen immer älter, einst todbringende Krankheiten immer häufiger heilbar und neue Erkrankungen entstehen werden. All dies stellt die bisherigen Gesundheitssysteme infrage. Gesundheit auf Kredit. Dieser Wandel steht uns bevor. Zu den ethischen, sozial- und gesundheitspolitischen Aspekten dieser Entwicklung muss die Politik Stellung beziehen.
Andreas Lipkow
Lipkow arbeitet seit 1998 als Aktienhändler. Seit 2013 ist er im Vorstand der Kliegel & Hafner AG. Dort bildet der Handel im Bereich des Hochfrequenzhandels den Schwerpunkt seiner Arbeit. Zuvor war er Börsenmakler an der Frankfurter Börse. Kliegel & Hafner (Berlin) ist ein Trading-Unternehmen und konzipiert Handelsalgorithmen, durch die das eigene Kapital an den Börsen gehandelt wird.