Mit unheimlicher Präzision, ohne Blutgefäße zu verletzen, implantiert ein silbern glänzender Roboter Fäden in das Gehirn. Sechs Stück, dünner als ein menschliches Haar, verankert die futuristische Nähmaschine pro Minute in einem Rattenschädel. Die Elektroden können dort die Aktivität von 1.500 Nervenzellen gleichzeitig aufnehmen.

Das Ziel: eine Schnittstelle zwischen Gehirn und Computer. Schon 2020 will die bisher im Geheimen operierende Firma Neuralink aus Kalifornien Menschen solche Elektrodenbündel einsetzen. Das verkündete Mitte Juli der Gründer von Neuralink, niemand anderes als Tesla- und SpaceX-CEO Elon Musk.

Ob sich Musks Visionen von gedankengesteuerten Computern und Smartphones tatsächlich so schnell beziehungsweise überhaupt verwirklichen lassen, darf angezweifelt werden. Fakt ist jedoch, dass Innovationen im Gesundheitssektor in den vergangenen Jahren mehrfach Dinge möglich machten, die vorher unerreichbar schienen. Etwa todkranke Krebspatienten nach vielen vergeblichen Therapien zu heilen oder Babys vor schlimmen Muskelschwunderkrankungen zu bewahren.

Solche Erfolge lohnen sich auch für Anleger: Avexis, der Entwickler einer Gentherapie gegen ebenjene Spinale Muskelatrophie (SMA), wurde für 7,8 Milliarden Euro von Novartis übernommen. Der Schweizer Pharmakonzern zahlte eine Prämie von fast 90 Prozent auf Avexis’ Aktienkurs vor Bekanntgabe des Deals.

Doch der Gesundheitssektor hat weit mehr zu bieten als diese spektakulären Einzelereignisse. Nämlich ein konti­nuierliches, konjunkturunabhängiges Wachstum - die Lebenserwartung der Menschen nimmt zu, damit auch der ­Bedarf an Medizin und Pflege. Mit steigendem Wohlstand können sich auch immer mehr Menschen in den Schwellenländern eine bessere medizinische Versorgung leisten. Überall auf der Welt gilt: Gesundheit ist das höchste Gut - auch wenn über die Ausgaben für Medikamente und Co gern gestritten wird.

Beachtliche Performance


Für Investoren ist besonders attraktiv, dass sie innerhalb des Sektors die Bereiche und Unternehmen heraus­picken können, die ihrer persönlichen ­Risikobereitschaft am meisten entsprechen. Von der waghalsigen Wette auf die Entwicklung eines Medikaments durch ein Start-up über "langweilige", aber stetig wachsende Lieferanten von Verbrauchsmaterialien bis hin zu breit gestreuten Branchenindizes ist alles möglich. Die Börsenperformance auch der weniger im Rampenlicht stehenden Bereiche war in den vergangenen Jahren beachtlich. Die Redaktion hat quer durch die Branche vielversprechende Investments mit ganz unterschiedlichen Charakteristika identifiziert.

Die bekanntesten Unternehmen des Gesundheitssektors sind ohne Zweifel die Medikamentenentwickler, also Pharma- und Biotechunternehmen. Seit einigen Jahren beherrschen hier vor allem Gen- und Zelltherapien gegen seltene Krankheiten und Krebs die Schlagzeilen. Beide Spielarten verwirklichen zu einem gewissen Grad alte Träume von Wissenschaftlern und Ärzten. Gentherapien ersetzen "kaputte" oder fehlende Gene. Die sogenannten CAR-T-Zelltherapien verändern körpereige­ne Immunzellen so, dass sie zu einer schlagkräftigen Waffe gegen Krebszellen werden.

Diese neuen Behandlungen über­zeugen mit enormen Erfolgs-, ja sogar Heilungsraten. Entsprechend hoch sind die Preise, die für die ersten zugelas­senen Produkte aufgerufen werden. ­Zolgens­ma, die Therapie gegen die schwere Muskelerkrankung SMA, ist mit 1,9 Millionen Euro das teuerste Medi­kament der Welt. Die beiden Krebszelltherapien Kymriah von Novartis und Yescarta von Gilead schlagen immer noch mit über 300.000 Euro zu Buche.

Schienen solche Behandlungsansätze zunächst eine Nische für hoch spezialisierte Biotechfirmen zu sein, engagieren sich mittlerweile auch viele große Pharmafirmen auf diesem Feld. Sicher locken die hohen Preise - aber mehr ist es noch der Drang, auf dieser vielleicht größten Innovationswelle der vergan­genen Jahrzehnte mitzusurfen.

Dabei bedeuten Gen- und vor allem die CAR-T-Zelltherapien einen kompletten Paradigmenwechsel für die Branche. Jede CAR-T-Behandlung wird individuell hergestellt, mit Zellen, die den Patienten entnommen und modifiziert wieder zurückgegeben werden. Der Unterschied zur Massenproduktion von Pillen könnte nicht größer sein. Wie sich auch an den bisher mageren Umsatzzahlen zeigt - Novartis nahm im zweiten Quartal mit Kymriah nur 52 Millionen Euro ein -, haben die Firmen Produktion und Logistik noch nicht wirklich im Griff.

Die Entwicklung steht noch ganz am Anfang. "Noch sind die Patientenzahlen klein. Aber für rund 7.000 Erkrankungen, die nur auf einem einzigen Genfehler beruhen, gibt es keine andere relevante Lösung als die Gentherapie, um den Patienten zu helfen. Das ist dann insgesamt schon ein großer Markt", sagt Rudi van den Eynde, Manager des Can­driam Equities Biotechnology Fund.

Turnaround möglich


Für risikobereite Anleger ist der US-Konzern Gilead Sciences ein aussichtsreicher Kandidat, der mit einer zugelassenen und drei CAR-T-Behandlungen in Entwicklung von dem Hype um Gen- und Zelltherapien profitiert. Die Gilead-Aktie ist mit einem KGV von unter zehn sehr günstig bewertet, weil das Unternehmen es nach außerordentlich erfolgreichen Jahren mit Hepatitis-Medikamenten verpasst hatte, für ausreichend Nachschub bei den Produktkandidaten zu sorgen. Der neue Chef Daniel O’Day, früher bei Roche, wechselt fleißig Personal aus und ließ Branchenkenner jüngst durch eine sehr elegant eingefädelte Kooperation mit der belgischen Galapagos aufhorchen: Er sicherte sich weitreichenden Zugriff auf die Produktpipeline der Firma, lässt ihr aber ihre Unabhängigkeit. Da Gilead über eine reichlich gefüllte Kriegskasse verfügt, könnten weitere Deals dieser Machart die Amerikaner wieder weit nach vorn bringen.

Bisher haben CAR-Ts ihre Wirksamkeit vor allem bei Blutkrebserkrankungen unter Beweis gestellt. "Aber auch für solide Tumore werden dringend neue Ansätze benötigt", sagt Hanns Frohnmeyer vom Managementteam des BB Adamant Biotechfonds. Die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren, die die Tarnung von Krebszellen aufheben, haben sich zu Mega-Blockbustern entwickelt. Das führende Produkt Keytruda von Merck & Co. erzielt aktuell rund zwei Milliarden Euro Umsatz pro Quartal. Doch noch immer spricht nur ein Teil der Patienten auf diese Arzneien an.

Schlüsselstelle der Zellteilung


Amgen weckte deshalb vor einigen Wochen Hoffnung mit einem Produkt, das das in vielen Krebsarten außer Kontrolle geratene Signalmolekül k-ras blockiert. Das Protein ist eine Schlüsselstelle für die Zellteilung, war jedoch bislang mit Medikamenten einfach nicht zu knacken.

Amgens Erfolg bei einer bisher sehr kleinen Zahl von Patienten hat die Aufmerksamkeit auf die Firma Mirati Therapeutics gerichtet, die ein ähnliches Produkt entwickelt. "Bei Lungenkrebs mit einer speziellen Mutation könnten damit 24.000 Patienten pro Jahr behandelt werden", sagt Frohnmeyer. Mirati will dazu noch in diesem Jahr Daten liefern, positive Ergebnisse dürften den Kurs erneut kräftig anschieben.

Als Gruppe betrachtet, haben sich Pharma- und Biotechaktien in den vergangenen Jahren jedoch nicht so gut entwickelt wie andere Bereiche des Gesundheitssektors. Das liegt vor allem an der Diskussion um hohe Medikamentenpreise, die in den USA seit dem letzten Präsidentschaftswahlkampf immer wieder hochkocht. An extreme Lösungen wie strikte Preiskontrollen glauben Branchenexperten dabei jedoch nicht. "Nuancierte Veränderungen sind nicht das Ende des Sektors. Niemand will Innovationen abwürgen", sagt Candriam- Manager van den Eynde.

Die vorsichtige Haltung der Investoren dürfte sich jedoch angesichts der US-Wahlen 2020 noch eine Weile fortsetzen - obwohl die operativen Ergebnisse der Firmen stimmen: Erst vor einigen Tagen haben beispielsweise Novartis, Roche und AstraZeneca ihre Prognosen erhöht. Den politischen Druck spüren die weniger exponierten Medizintechnikhersteller und Healthcare-Zulieferer kaum - und das zeigt sich auch an der Börsenperformance. "Es gibt viele kleinere Segmente, die stärker wachsen als der Gesundheitssektor insgesamt", sagt Andreas Bischof, Manager des Fonds nova Steady Healthcare, der sich auf ­Investments abseits der Medikamenten­entwickler konzentriert. Hörgeräte, Kontaktlinsen oder Produkte für Apotheken und Krankenhäuser glänzen ebenfalls mit Innovationen, generieren aber vor allem stetige, zuverlässige Einnahmen. "Der langfristig erfolgreichste Wettbewerber muss dabei nicht immer der Marktführer sein", sagt Bischof.

Kontinuierliche Einnahmen


Zu den Bluechips dieser Bereiche gehört etwa Thermo Fisher Scientific. Der Konzern mit weltweit 70.000 Mitarbeitern produziert Laborgeräte und -materialien und bietet verschiedene Services rund um die Forschung an. Im März kauften die Amerikaner für 1,5 Milliarden Euro Brammer Bio. Der Betrieb übernimmt für Gentherapie-Firmen die eigentliche Produktion.

Unverzichtbare Produkte und Services liefert auch der US-Konzern Steris, der Einrichtung für Operationssäle und Sterilisatoren für Krankenhaus-Equipment herstellt. Wartungsverträge für die Produkte garantieren dabei konti­nuierliche Umsätze. Im laufenden Geschäftsjahr erwartet Steris ein organisches Umsatzwachstum von fünf bis sechs Prozent, der Gewinn pro Aktie soll um acht bis zwölf Prozent steigen.

So aufregend wie die Gedankensteuerung eines Computers mit Elektroden im Gehirn ist das zugegeben nicht. Aber überaus gesund für das Depot.

Investor-Info

Lyxor MSCI World Healthc. ETF
Der ganze Sektor


Wer in eine breit gestreute Mischung an Gesundheitsaktien investieren will, liegt mit diesem ETF richtig. Er bildet die Entwicklung des MSCI World Healthcare Index ab, der über 140 große und mittelgroße Unternehmen aller Sparten enthält. Etwa drei Viertel des Portfolios entfallen auf Pharma-, Medizintechnik- und Biotechnologiefirmen, ein Viertel auf weitere Subsektoren wie Zulieferer und Dienstleister. Ein gutes Basisinvestment für Anleger, die alle Bereiche abdecken wollen.

Candriam Eq. Biotechnology
Auf Innovation setzen


Der vielfach ausgezeichnete Biotechfonds zählte in den vergangenen Jahren stets zu den Top-Produkten dieser Kategorie. Gilead ist aktuell mit einem Anteil von 5,75 Prozent eine der zehn am höchsten gewichteten Po­sitionen des Fonds. Manager Rudi van den Eynde, der das Portfolio schon seit Auflage im April 2000 verwaltet, gefallen aber unter anderem auch die Entwicklungen rund um das Signalmolekül k-ras. Bewährte Wahl für risikoaffine Biotechanleger.

Nova Steady Healthcare
Kontinuität liefern


Kein Biotech, wenig Pharma, lautet die Devise von Andreas Bischof und Oliver Kämmerer. Was die Fondsmanager abseits der ausgetretenen Pfade im Gesundheitssektor zutage fördern, braucht sich performancetechnisch nicht vor den Wettbewerbern zu verstecken. Nur wenige konnten den nova Steady Healthcare in den vergangenen 1,5 Jahren schlagen. Der Fokus liegt dabei auf schwankungsarmen Geschäftsmodellen wie dem von Steris. Ideal für alle, denen das Floprisiko bei Medikamentenentwicklern zu hoch ist.

Gesundheits-Aktien
Mit Einzeltiteln verdienen


Biotecheinzeltitel gelten als riskant, speziell, wenn es um kleine Firmen wie Mirati geht, deren Wohl und Wehe vom Erfolg eines einzigen Forschungsprojekts abhängt. Die Ausfallraten in der Medikamentenentwicklung liegen bei 90 Prozent. Gilead hingegen verfügt bereits über etablierte Produkte, der Titel ist also weniger spekulativ. Auf der konservativen Seite stehen die Geräte- und Service­lieferanten Steris und Thermo Fisher.

Name ISIN Marktkap. 1) Gilead Sciences US3755581036 76,7
Mirati Therapeut. US60468T1051 3,4
Steris IE00BFY8C754 11,2
Thermo Fisher Sc. US8835561023 103,5

1) in Milliarden Euro; Stand: 25.07.19; Quelle: Onvista