Putin hat es tatsächlich getan. Der russische Staatskonzern Gazprom stellte die Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien überraschend ein. Seit Mittwoch fließt durch die Jamal-Pipeline kein Gas mehr nach Polen.
Hintergrund des Streits ist die Weigerung Polens, Erdgas über Konten bei der Gazprom-Bank in Rubel zu bezahlen, wie von Russland gefordert. Die Verträge sehen zwar Zahlungen in US-Dollar und Euro vor, aber Ende März hatte Russlands Präsident Wladimir Putin gefordert, dass ab April westliche Länder Konten bei der Gazprombank eröffnen müssen, um Gaslieferungen zu bezahlen. Sonst würden diese für die "unfreundlichen Länder" eingestellt.
Polen reagierte gelassen. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sagte, die Gasspeicher seien zu 76 Prozent gefüllt. Ab Herbst hat das Land zudem eine Pipelineverbindung nach Norwegen. Überdies wollte Polen die Lieferverträge mit Russland Ende 2022 ohnehin beenden. Daher floss über die Jamal-Pipeline zuletzt kaum noch Gas.
Überraschter als die Polen dürften die Bulgaren über den Gasstopp gewesen sein. Der Balkanstaat ist einer der wenigen in der EU, der keine Waffen an die Ukraine schickt. Mengenmäßig handelt es sich nur um drei Milliarden Kubikmeter (bcm), was verglichen mit den 85 bcm, die Deutschland aus Putins Reich bezieht, wenig ist. Für Bulgarien aber ist es viel.
Das Land erhält 90 Prozent seines Gases aus Russland. Für den Balkanstaat könnten Probleme entstehen. Denn die Speicher reichen nur für einen Monat. Ab Juni soll das Land aber an eine Pipeline aus Griechenland angeschlossen werden. Dieses Gas ist jedoch weit teurer. Experten fürchten, der wichtigste Exportsektor, der Maschinenbau, könnte leiden.
Speicher reichen nur kurz
Auch in der deutschen Industrie steigt die Nervosität, obwohl die Bundesnetzagentur mitgeteilt hat, dass der Füllstand der Speicher mit 33,4 Prozent höher sei als in den Jahren 2015, 2018 und 2021 zu diesem Zeitpunkt. Das dürfte aber nur kurzfristig helfen, da Deutschland über kein Flüssiggasterminal verfügt.
Einige Marktkenner glauben, dass Putin nur blufft. Der Stopp der Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien tut Russland nicht weh, da es sich um geringe Mengen handelt. Er will Druck aufbauen. Mit den geforderten Rubelzahlungen möchte er die Währung stärken und die Auswirkungen der Sanktionen abmildern. Würde Russland die Lieferungen nach Westeuropa beenden, wären täglich Einnahmeausfälle von etwa 500 Millionen Euro zu verkraften.
Der europäische Erdgaspreis TTF stieg am Mittwoch nach dem Lieferstopp um 20 Prozent an, beruhigte sich aber im Tagesverlauf wieder und ging mit elf Prozent Plus aus dem Handel. Der Gasfluss nach Europa und Deutschland blieb seit dem Stopp für Polen stabil.
Ändert sich das, könnte das für Deutschland schwerwiegende Folgen haben. Zu Beginn des Krieges kamen 55 Prozent des Gases aus Russland. Wirtschaftsminister Robert Habeck sagte im ZDF: "Inzwischen haben wir diese Abhängigkeit auf 35 Prozent reduziert." Trotzdem würden die Folgen eines Lieferstopps deutlich zu spüren sein. Sein Ministerium arbeite daran, den Anteil rasch weiter zu reduzieren. Jedoch nennt er ein Zeitfenster von zwei Jahren. Die Bundesbank rechnet bei sofortigem Lieferstopp für 2022 mit fünf Prozent BIP-Minus.
Teuerungsschub droht
Die kommenden Monate dürften aber eine Beruhigung bringen. Im Sommer liegt der Gasverbrauch laut Bundesnetzagentur ungefähr achtmal niedriger als im Winter. Daher können die Speicher in den nächsten Monaten aufgefüllt werden.
Sollte Wladimir Putin den Gashahn doch schnell zudrehen, "dürfte der Preis nach oben schnellen", erwartet Gerhard Heinrich, Energieexperte beim Informationsportal "Zukunftsmärkte Inside". Wenn nicht, "wird sich der Preisanstieg wie zuletzt im Rahmen halten", so Heinrich.