Keiner verkörperte italienische Eleganz und Grandezza so überzeugend wie Gianni Agnelli. Die Weltpresse überschlug sich fast mit Huldigungen. Für die amerikanische Illustrierte "Life" hatte er "die Physiognomie von Julius Cäsar". Gianni Agnelli war weder König noch Präsident von Italien, doch er regierte in den Augen vieler das Land. Die von seinem Großvater gegründete Firma Fiat war zeitweise der größte italienische Arbeitgeber und Agnelli als dessen Hauptaktionär einer der wichtigsten Männer in Europa. Er schaffte ab den 60er-Jahren den Umbau des Familienreichs, schuf ein globales Firmenkonglomerat, weg vom reinen Fokus auf das Geschäft mit Rädern und Motoren. Und er steuerte Fiat erfolgreich durch die sozialen Unruhen der 70er-Jahre mit ihren Streiks, Terroranschlägen und Boykottaktionen.
Die Erfolgsstory von Fiat hatte 1899 begonnen. Neun junge Männer trafen sich im vornehmen Turiner Caffè Burello und beschlossen, einen Traum zu verwirklichen: nämlich Autos zu produzieren - noch vier Jahre, bevor ein gewisser Henry Ford in Detroit Amerikas erste Autofabrik gründete. Kopf dieser italienischen Visionäre war der 33-jährige Kavallerieoffizier Giovanni Agnelli, Sohn eines reichen Grundbesitzers. Er wurde schnell zur Führungsfigur von Fiat (der Name steht für Fabbrica Italiana di Automobili Torino) und übernahm nach einem rätselhaften Crash der jungen Aktie die Anteile seiner Mitbegründer.
Gianni, sein Enkel, wurde 1921 in eine Welt hineingeboren, die von Reichtum, Glamour und Privilegien geprägt war ?- aber auch von Tragödien. Sein Vater Edoardo, der die Cocktailpartys der Turiner Society der harten Arbeit in den Fabriken und Konferenzsälen von Fiat vorzog, starb 1935 beim Absturz eines Flugboots. Gianni Agnelli war gerade 14. Und seine Mutter, die lebenslustige Prinzessin Virginia Bourbon del Monte, kam ums Leben, als ihr Fiat kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs frontal mit einem Lastwagen der US Army zusammenstieß.
Gianni Agnelli war ein verwöhnter Junge und kein besonders guter Schüler. Er machte aber in Turin einen Abschluss als Dr. iur. und wurde deshalb später immer mit "Avvocato" angesprochen. Als Italien in den Zweiten Weltkrieg eintrat, meldete er sich aus Pflichtgefühl freiwillig bei der italienischen Armee und diente 1943 als Panzerleutnant an der Ostfront.
Italiens Wirtschaft lag nach dem Ende des Krieges in Trümmern. Fiat allerdings, das industrielle Herz Italiens, wurde von Giannis Großvater mit eiserner Hand wieder aufgebaut. Herzstück des Imperiums, zu dem nun auch Eisenbahn- und Flugzeugwerke und der Fußballklub Juventus Turin gehörten, war das riesige Fiat-Werk im Turiner Stadtteil Mirafiori. In den Montagehallen von Fiat wurde auch die italienische Arbeiterbewegung geschmiedet. Sie hatte bereits das Signal zum Sturz Mussolinis gegeben, jetzt flirtete sie offen mit dem Kommunismus. Die Hauptstraße im Werksgelände wurde in "Korso der Sowjetunion" umbenannt. "Der Clan verwandelte das Land mit den Zitronenblüten in wenigen Jahren in eine total mobilisierte, benzin- und temposüchtige Nation", schrieb der "Spiegel". Es gab Jahre, da trugen 83 Prozent aller Autos und Lastwagen in Italien das Fiat-Logo.
Der alte Patriarch machte sich Gedanken über die Nachfolge. Schon früh hatte er sich entschieden, seinen jungen Neffen Gianni zum Kronprinzen zu ernennen. Er machte ihn zu seinem Erben, aber riet ihm, erst mal das Leben zu genießen und die Führung des Konzerns für ein paar Jahre dem erfahrenen und knallharten Manager Vittorio zu überlassen, bis er reif sei für die Aufgabe an der Spitze des Fiat-Imperiums. Der Großvater versüßte Gianni die Wartezeit mit einem jährlichen Scheck über eine Million Dollar. Die Party konnte beginnen. In der schillernden Nachkriegszeit wurde Agnelli schnell einer der charismatischen Protagonisten eines neuen Lifestyles, ein Posterboy des Jetsets, als es das Wort noch gar nicht gab und die Flugzeuge noch Propeller anstelle von Jettriebwerken hatten.
Abenteurer und Autonarr
Er führte ein Leben auf der Überholspur, mondäne Partys mit den Reichen und Schönen der 50er-Jahre, mit Prinz Rainier von Monaco, dem Playboy Porfirio Rubirosa, dem Schauspieler Errol Flynn, dem Filmstudioboss Darryl Zanuck oder dem pakistanischen Prinzen und Lebemann Aly Khan.
Man traf sich an der Côte d’Azur, auf Capri, in Paris oder Palm Beach. Gianni fuhr in St. Moritz mit dem Skeleton den halsbrecherischen Cresta Run runter, segelte, fuhr Ski, liebte schnelle Autos - und hatte zahllose Affären. Zu seinen Amouren gehörten Rita Hayworth, Anita Ekberg und Jackie Kennedy. Fünf Jahre war er mit Pamela Churchill zusammen, Winston Churchills geschiedener Schwiegertochter. Als sie ihn 1952 in flagranti mit einer Blondine ertappte, floh er mit der jungen Dame in seinem Ferrari auf der Küstenstraße der Côte d’Azur. Es war vier Uhr morgens, Gianni war angetrunken, fuhr mit 160 Stundenkilometern, verfehlte eine Kurve und kollidierte mit einem Lastwagen, der Gefrierfleisch geladen hatte. Die Dame stieg nur leicht verletzt aus dem Wrack, aber Giannis rechtes Bein war an sechs Stellen gebrochen. Seither hinkte er und musste Schuhe mit einer stützenden Halbprothese tragen, weil er lange Zeit zu eitel war, am Stock zu gehen.
Der Unfall war für ihn eine Art Weckruf, wie er später zugab. 1953 heiratete er die Tochter eines neapolitanischen Fürsten, Marella Caracciolo di Castagneto, eine ehemalige "Vogue"-Fotografin. Die Agnellis wurden die Kennedys Italiens, die inoffizielle First Family.
1966 übernahm der "Avvocato" schließlich den Chefposten von Fiat. Der Konzern war damals mit 1,34 Millionen produzierten Autos der größte Autohersteller Europas und die Nummer 5 in der Welt. Fiat wuchs unter der Führung Agnellis prächtig weiter. Er diversifizierte den Konzern in Bereiche außerhalb der Autoindustrie. Die zehn wichtigsten Geschäftsbereiche waren in ein kaum überschaubares Geflecht mit Hunderten von Beteiligungen gegliedert. Später schluckte Fiat auch Lancia, Ferrari und Alfa Romeo. Gianni Agnelli prägte zudem den modischen Code seiner Zeit. So adelte ihn das Magazin "Esquire" mit dem Titel des "bestangezogenen Mannes der Geschichte".
1996 trat Gianni nach 30 Jahren an der Spitze des Konzerns zurück, blieb ihm aber noch als Ehrenvorsitzender verbunden. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich jedoch zusehends. Der Patriarch litt an Knochen- und Prostatakrebs. Er starb 2003 - über zehntausend Menschen harrten vor der Kathedrale von Turin aus, um sich von ihm zu verabschieden.
"Gianni Agnelli war der Inbegriff dessen, was ein Italiener sein sollte", sagte sein Freund Michel David-Weill, der ehemalige Vorsitzende der Investmentbank Lazard Frères, über ihn. Er hat sein ganzes Leben lang stets diszipliniert Haltung bewahrt, nie sein wahres Gesicht gezeigt. Agnelli starb im Januar 2003.
Und weil er sich so meisterhaft selbst inszeniert hatte, reichte die glänzende Fassade, um Agnelli zur Legende werden zu lassen.