Die ukrainische Regierung geht ungeachtet der Warnungen aus Moskau gegen die pro-russischen Besetzer von Verwaltungsgebäuden im Osten des Landes vor. In Charkiw seien bei einer "Anti-Terror-Operation" 70 Demonstranten festgenommen worden, sagte Innenminister Arsen Awakow am Dienstag. In Donezk standen sich Sicherheitskräfte und Separatisten auf einem zentralen Platz gegenüber. Die Demonstranten fordern die Abspaltung ihrer Regionen von der Ukraine. Russland wertete das Vorgehen der Sicherheitskräfte als Vorbereitungen militärischer Maßnahmen und warnte vor einem Bürgerkrieg. Auf den Finanzmärkten lösten die Entwicklungen neue Sorgen aus. Anleger setzten auf das als krisensicher geltende Gold und trieben den Preis für das Edelmetall in die Höhe.

In Charkiw wurde nach Angaben Awakows die Innenstadt abgeriegelt und die U-Bahn gesperrt. Zwei Polizisten seien bei der Räumung des Gebäudes durch die Explosion einer Handgranate verletzt worden. An den Aktionen beteiligt waren Sondereinsatzkommandos ausgerüstet mit Sturmhauben, Helmen, Kalaschnikows und Maschinengewehren. In Luhansk und Donezk waren Gebäude der regionalen Verwaltungen weiterhin besetzt. Nach einem Bericht der russischen Nachrichtenagentur Itar-Tass sollte in Donezk am Dienstag auf eine Räumung verzichtet werden. Dies habe der stellvertretende Ministerpräsident Vitali Jarema nach einem Gespräch mit dem einflussreichen Wirtschaftsmagnaten Rinat Achmetow bekanntgegeben.

UKRAINE FÜRCHTET ABSPALTUNG NACH KRIM-VORBILD

Der Übergangspräsident Olexander Turtschinow warnte erneut, im Osten der Ukraine solle das Schema der Abspaltung der Krim wiederholt werden. Russland rief dagegen die ukrainische Regierung auf, nicht militärisch gegen die Demonstranten vorzugehen. Die USA appellierten an Russland, sich öffentlich von den "Separatisten, Saboteuren und Provokateuren" in der Ukraine zu distanzieren. Die USA beobachteten die Ereignisse mit großer Sorge, sagte US-Außenminister John Kerry in einem Telefonat mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow. Die US-Regierung erklärte, es gebe deutliche Hinweise darauf, dass die pro-russischen Demonstranten im Osten der Ukraine bezahlt würden. In einem Artikel für den britischen "Guardian" konterte Lawrow, der Westen würde grundlos die Spannungen aufschaukeln. Gleichwohl vereinbarten Kerry und Lawrow, innerhalb der nächsten zehn Tage eine Treffen zu erwägen.

Russland hat bereits am 1. März erklärt, es würde die russisch-stämmige Bevölkerung in der Ukraine vor Angriffen verteidigen. Damit rechtfertigte Moskau sein Engagement bei der Abspaltung der Krim. Auch in großen Teilen des Ostens der Ukraine stammt die Bevölkerung mehrheitlich aus Russland. Die ukrainische Regierung wertet die Massierung russischer Truppen an der Ostgrenze des Landes als Vorbereitung einer Invasion. Die pro-russischen Kundgebungen in Charkiw, Donezk und Luhansk seien ferngesteuert und sollten den Vorwand für ein Eingreifen des russischen Militärs liefern. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen rief am Dienstag Russland erneut auf, seine Truppen aus dem Grenzgebiet abzuziehen.

G-20 WOLLEN FOLGEN FÜR DIE WELTWIRTSCHAFT ERÖRTERN

Die internationale Gemeinschaft fürchtet negative Auswirkungen der Auseinandersetzungen auf die Weltwirtschaft. Die Finanzminister der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) wollen deswegen nach Abgaben aus dieser Gruppe bei ihrem kommenden Freitag beginnenden Treffen in Washington das Thema erörtern. Dabei geht es auch um Hilfsprogramme für die ukrainische Wirtschaft.

Der russische Konzern Gazprom erhöhte am Dienstag den Druck auf die Ukraine, indem er die Zahlung von 2,2 Milliarden Dollar für Gaslieferung für überfällig erklärte. Gazprom ließ jedoch zunächst die Folgen offen. In Deutschland warnte Finanzminister Wolfgang Schäuble, die Sparziele der Bundesregierung könnten durch die Krise gefährdet werden. "Zum Beispiel weiß heute doch niemand, wie es in der Ukraine weitergeht", sagte er "Bild"-Zeitung.

Auch an den europäischen Börsen rückte die Krise in der Ukraine wieder in den Vordergrund. Die "Anti-Krisenwährung" Gold verteuerte sich bis zum Mittag um ein Prozent auf 1309,26 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm). "In der Ukraine sieht es für den Betrachter so aus, als ob Teile im Osten des Landes dem Muster der Krim-Halbinsel folgen würden und eine Angliederung an Russland erzwingen möchten", schrieben die Analysten der Essener National-Bank in einem Kommentar. "Ob die Weltgemeinschaft dieses Mal tatenlos zuschaut, darf bezweifelt werden."

Reuters