von Dirk Heß, Citi
Gold scheint für Anleger sämtliche Strahlkraft verloren zu haben. Zuletzt fiel der Preis für die Feinunze deutlich unter die 1.100-Dollar-Marke - und damit auf den niedrigsten Stand seit fast sechs Jahren. Und damit könnte die Talfahrt mit Blick auf die Zinswende in den USA noch nicht zu Ende sein. Schon im Vorfeld der Fed-Entscheidung, den Leitzins um 0,25 Prozent zu erhöhen, war der Goldpreis unter Druck geraten. Weitere Zinsschritte dürften im Laufe des kommenden Jahres folgen. Für Gold sind steigende Zinsen Gift, da Anlagen in dem Metall im Vergleich zu Anleihen unattraktiver werden.
Wie eng dieser Zusammenhang ist, zeigt ein Vergleich zwischen der Renditeentwicklung von US-Staatsanleihen und der Investorennachfrage nach Gold. In den vergangenen zwölf Monaten hat sich die Rendite zweijähriger US-Bonds nahezu verdoppelt auf derzeit rund ein Prozent. Im gleichen Zeitraum nahmen die Bestände beim größten physisch hinterlegten Gold-Fonds, dem SPDR Gold Shares ETF, von 725 Tonnen auf 634 Tonnen ab. Die Investoren haben sich also innerhalb eines Jahres von 91 Tonnen Gold getrennt. Mittlerweile liegt der Goldbestand beim SPDR auf dem niedrigsten Niveau seit Anfang 2008.
Der Niedergang von Gold - das Metall wird 2015 das dritte Jahr in Folge mit einem Minuszeichen beenden - ist auch mit seinem Aufstieg zu erklären. Jahrzehntelang schlummerte das Edelmetall in einem Dornröschenschlaf. Aus diesem erwachte es Anfang 2007, als die ersten Vorboten der US-Suprime-Krise für Unruhe an den Märkten sorgten. Der folgende Crash am US-Immobilienmarkt führte zu einer nie dagewesenen globalen Banken- und Finanzmarktkrise, die wiederum in einer weltweiten Rezession endete. Das alles sorgte für einem Ansturm auf Gold. Verstärkt wurde der Run durch die sich immer weiter auftürmenden Schuldenberge der Staaten und der ultra-lockeren Nullzins-Politik der Notenbanken. In Europa stand zwischenzeitlich die Existenz des Euro auf dem Spiel, wovon Gold als Fluchtwährung ebenfalls profitierte.
Mittlerweile haben sich zahlreiche Konfliktherde von damals entschärft oder sind ganz verschwunden. Die US-Wirtschaft zeigt sich in guter Verfassung. Auch die Eurozone erlebt einen kleinen, aber feinen Aufschwung. Das Finanzsystem scheint durch die verschärfte Regulierung relativ gefestigt zu sein. Und auch ein Ende des Euros ist momentan eher kein Thema. Warum also noch in Gold investieren, zumal sich dessen Opportunitätskosten - wie bereits erwähnt - aufgrund der steigenden US-Zinsen erhöht haben und noch weiter steigen könnten? Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass diverse Marktkommentatoren den Goldpreis demnächst in den dreistelligen Bereich abtauchen sehen und in ihrer Argumentation darauf verweisen, dass die Unze momentan ja immer noch um rund 60 Prozent teurer ist als zu Beginn des Goldbooms vor etwa neun Jahren.
Freilich ist eine solche Einschätzung etwas zu kurz gegriffen. Denn ein Punkt wird bei der Prognose des Goldpreises gelegentlich übersehen: die Inflation. Sie stellt bekanntlich ein wichtiges Kriterium bei der Preisbildung von Gold dar. Zwar sind die Teuerungsraten in der Eurozone nach wie vor sehr niedrig. Doch in den USA rechnen Volkswirte im kommenden Jahr mit einem deutlichen Anziehen der Verbraucherpreise. Sollte die Inflation in den USA stärker zulegen als die Zinsen, würde das zu fallenden Realzinsen führen - mit der Folge, dass sich US-Investoren wieder verstärkt für Gold interessieren könnten. In diesem Szenario sind die Aussichten für Gold also gar nicht so schlecht. Allerdings könnte eine rasch steigende Inflation auch dazu führen, dass die Fed im kommenden Jahr die Geldpolitik aggressiver gestalten muss, als sie es jetzt mit den "graduellen Anpassungen" angekündigt hat. In diesem Fall wären weiter fallende Goldpreise wohl vorprogrammiert.