DIE LAGE DES UNTERNEHMENS:

Mitte September schossen die Autoren des selbsternannten Research-Dienstes Viceroy erstmals öffentlich gegen die Baden-Badener Grenke AG, einem Leasingspezialisten vor allem für Büroausstattungen und Software. Der Brite Fraser Perring, der hinter Viceroy steht, warf dem MDAX-Unternehmen unter anderem Betrug und Bilanzmanipulation vor. Dabei soll sich Unternehmensgründer Wolfgang Grenke jahrelang über ein Geflecht mit verbundenen Firmen sich unlauter bereichert haben.

Einer der Dreh- und Angelpunkte von Perrings Theorie ist das Franchise-System des Unternehmens. Viele von diesen Franchise-Gesellschaften werden von ehemaligen Grenke-Mitarbeitern geleitet. Über dieses System würden entweder Luftbuchungen kaschiert oder Geld in großem Stil abgezweigt, so der Vorwurf. Zudem hatte Perring behauptet, ein großer Teil der ausgewiesenen finanziellen Mittel existiere nicht. Schnell hatte daraufhin die Furcht vor einem zweiten Fall Wirecard im Raum gestanden.

Gegen einen Vergleich mit dem inzwischen insolventen Zahlungsabwickler wehrt sich Wolfgang Grenke vehement. Auch weisen der Manager, Unternehmensvorstand und Aufsichtsrat sämtliche Vorwürfe von Viceroy bis heute als haltlos zurück. Der Leasingspezialist hat inzwischen einiges unternommen, um die Beschuldigungen zu entkräften. Auch behält sich Grenke vor, rechtliche Schritte einzuleiten.

Ein Sondergutachten, mit dem Grenke seinen regulären Wirtschaftsprüfer KPMG beauftragte, hat inzwischen Viceroys Vorwurf der zu hoch ausgewiesenen liquiden Mittel klar aus dem Weg geräumt. Zudem wurde die Gesellschaft Warth & Klein Grant Thornton mit der Überprüfung der Franchise-Geschäfte und deren Übernahmen beauftragt.

Im Oktober sah sich Grenke durch ein Zwischenergebnis der Prüfer in vielen Punkten entlastet. Keine wesentlichen Auffälligkeiten etwa beim Geschäftsmodell und der Organisation - so lautete das Fazit von Vorstand und Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats. Ein offizielles Testat von den Prüfern gibt es hierzu mit Ausnahme der Kontobestände aber noch nicht. Wann ein endgültiges Ergebnis folgt, ist offen.

Auch von der Marktaufsicht Bafin, die ebenfalls ermittelt, gibt es noch nichts Neues. Dort laufen inzwischen mehrere Untersuchungen, unter anderem wegen möglicher Marktmanipulation. Auch nimmt die Bafin den Konzerngeschäftsbericht 2019 unter die Lupe. Zudem läuft eine Sonderprüfung unter anderem der Grenke Bank. Sämtliche Ermittlungen dauerten an, sagte eine Sprecherin auf Anfrage. Daneben hat sich die Anti-Geldwäsche-Einheit des Zolls eingeschaltet. Sie überprüft nach eigenen Angaben "insbesondere mögliche Deliktsbezüge zu Anlagebetrug, Insiderhandel und Marktmanipulation".

Fraser Perring, der sich bereits mit dem inzwischen unter einem finanziellen Milliardenloch zusammengebrochenen Wirecard-Konzern anlegte, gibt sich auch bei Grenke so schnell nicht geschlagen. Der Shortseller veröffentlichte in den vergangenen Wochen weitere Dokumente mit Anschuldigungen - eines davon überschrieben mit "Grenke - Geschäftsanomalien entdeckt". Dabei prangert er auch weiterhin Wolfgang Grenke als einen der im "Schatten lauernden" Nutznießer des Franchise-Systems an.

Der Konzern hatte nach eigenen Angaben unter anderem durch die Franchise-Firmen seine internationale Expansion forciert. Die Kapitalmehrheit an diesen Unternehmen liegt bei verschiedenen Finanzinvestoren, darunter die CTP Handels- und Beteiligungs GmbH (CTP). Deren indirekter Eigentümer ist Wolfgang Grenke. Allerdings ist er das erst seit Anfang 2020, weswegen er dies - anders als von Viceroy gefordert - bislang auch nicht im Geschäftsbericht darlegen musste.

Perring sieht sich dennoch im Recht. Er behauptete zuletzt, Manager Grenke habe bereits seit den frühen 2000er-Jahren Einfluss auf CTP genommen, in dem er über seine Consultingfirma Vertrauensleute dort installierte.

Der Konzern hat inzwischen auf einige von Perrings Vorwürfen mit einer geplanten Neuorganisation reagiert: Das von Viceroy heftig attackierte System soll beendet und die verblieben Franchise-Unternehmen zügig integriert werden. Der Unternehmensgründer hat zudem angeboten, seine Beteiligungen an den Franchise-Firmen an den Grenke-Konzern zu veräußern. Gleiches gelte für die Garuna AG, die ebenso Anteile hält. Sein Mandat als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender lässt Wolfgang Grenke bereits seit September ruhen.

Perrings Vorwurf mangelnder Kontrollmechanismen konterte der Konzern ebenfalls - etwa mit der Erweiterung im Vorstand um einen Chief Risk Officer (CRO). Zudem überwacht Konzernchefin Antje Leminsky nun die interne Revision. Den Geschäften bei Grenke hat die Schlammschlacht mit Perring trotz allem wohl nur wenig geschadet. Eher war es die Corona-Krise: Pandemiebedingt liegt das Neugeschäft deutlich unter dem Vorjahresniveau.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Seit der Veröffentlichung der Vorwürfe haben sich bislang erst wenige Analysten mit einer neuen Einschätzung vorgewagt. Nachdem ihre Zunft im Fall Wirecard kein gutes Bild abgegeben und lange hohe Kursziele aufgerufen hatte, sind die Experten diesmal vorsichtiger. So haben etwa die Analysten der Deutschen Bank, der NordLB sowie der Häuser Kepler und Warburg ihre Voten seit September ausgesetzt.

Anders Branchenexperte Roland Pfänder von Oddo BHF - er nahm Grenke kürzlich mit "Buy" und einem Kursziel von 46 Euro in die Bewertung auf. Pfänder glaubt, dass Grenke das Vertrauen nach der Leerverkäufer-Attacke wieder aufbauen kann. Und auch die Corona-Krise werde der Konzern bis Ende 2022 abgeschüttelt haben.

Auch die Experten vom Bankhaus Lampe sind zuversichtlich. Analyst Andreas Schäfer hält die Vorwürfe von Viceroy für unbegründet und hob auch dank der niedrigen Aktienbewertung sein Votum Anfang November von "Halten" auf "Kaufen". Vom Geschäftsverlauf im dritten Quartal zeigte sich der Experte dabei positiv überrascht. Er geht jedoch davon aus, dass die neuen Lockdown-Maßnahmen in der Corona-Krise die Erholung beim Leasingspezialisten verzögern dürften.

Doch es gibt auch mahnende Stimmen: Philipp Häßler von Pareto Securities etwa hielt zuletzt trotz der guten Quartalszahlen die Zeit für einen Einstieg in die Aktie noch nicht gekommen. Er blieb bei seinen neutralen Votum und begründete dies mit der hohen Unsicherheit durch die Corona-Krise und dem Vertrauensverlust beim Unternehmen.

So hatten etwa die Zwischenergebnisse der Prüfer nach Einschätzung von Händler Stefan de Schutter von Alpha Wertpapierhandel noch viele Fragen offen gelassen. "Man denkt bei Grenke, man hat vieles widerlegt, aber so sehe ich das nicht." Er kritisierte im Oktober, es sei grundsätzlich einiges schief gelaufen bei Grenke und viel vom Geschäft des Konzerns sei auf "Treibsand" gebaut.

Von den bei Bloomberg erfassten Experten empfehlen das Papier derzeit drei zum Kauf, drei raten zum Halten - ein Verkaufsvotum gibt es aktuell nicht. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei etwas mehr als 50 Euro und damit fast auf dem Niveau, das es vor der Attacke hatte und deutlich über dem aktuellen Kurs.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Nach der Shortseller-Attacke lecken die Anleger noch immer ihre Wunden. Der Kurs der Grenke-Aktie war nach dem Angriff Mitte September binnen dreier Tage auf weniger als die Hälfte abgestürzt. Vom Schlusskurs am Vorabend der Vorwürfe bei 55 Euro war das Papier bis unter 24 Euro abgesackt - in der Spitze hatte der Angriff damit den Börsenwert um mehr als 1,4 Milliarden Euro gedrückt.

Es spiegelt die Skepsis am Markt wider, dass die Aktie sich bis heute nicht von diesem Angriff berappelt hat - immerhin konnte sich der Kurs aber wieder etwas vom Zwischentief erholen. Derzeit notiert das Papier bei 38 Euro und damit noch rund 30 Prozent unter dem, was die Aktie vor der Attacke gekostet hatte. Einige Anleger dürften vermutlich zunächst die weiteren Ergebnisse der Prüfer abwarten wollen.

Dennoch haben positive Analystenstimmen in den vergangenen Wochen durchaus zu einer Kursbelebung beigetragen. Zuletzt hatte die Kaufempfehlung von Oddo für etwas Auftrieb gesorgt. Auch, dass das Unternehmen aus den Vorwürfen direkt Konsequenzen gezogen hat, hat der Aktie auf die Beine geholfen. Noch stärker war es nach den ersten entlastenden Zwischenergebnissen der Prüfer aufwärts gegangen.

Bereits Anfang Oktober hatte es sogar zeitweise so ausgesehen, als könnte die traurige Episode für Grenke an der Börse schon bald beendet sein. Der Kurs war nach der Bestätigung der Bankguthaben durch KPMG binnen weniger Tage um mehr als 40 Prozent bis auf 46 Euro in die Höhe geschnellt. Nach Angaben aus dem Markt hatten damals Leerverkäufer, die auf einen fallenden Grenke-Kurs gesetzt hatten, verstärkt ihre Positionen geschlossen.

Doch inzwischen scheint die Luft aus dem Papier wieder raus. Diese Entwicklung könnte der Grenke-Aktie wegen der geringen Marktkapitalisierung, die zuletzt bei 1,8 Milliarden Euro lag, bei womöglich sogar den Abstieg in den SDAX bringen, wenn im Dezember die Siemens-Abspaltung (Siemens) Siemens Energy wahrscheinlich in den Mittelwerteindex einzieht. Aktuell liefert sich die Grenke-Aktie aber noch ein heißes Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Aareal Bank um den Verbleib im MDax.

Eines steht fest: Es war alles andere als ein gutes Jahr für die Grenke-Aktionäre. Seit Jahresbeginn hat das Papier rund 60 Prozent an Wert eingebüßt. Denn auch der Corona-Crash war noch längst nicht ausgebügelt, als die Shortseller-Attacke die Aktie erwischte. Und selbst Anleger, die im Corona-Tief Mitte März bei rund 41 Euro eingestiegen sind, sitzen aktuell auf Verlusten./tav/men/zb/fba