Vor gut fünf Jahren stimmte die Bevölkerung Großbritanniens für den Brexit. Anfang des Jahres wurde er vollzogen. Vieles hat sich seither stark verändert. Die schlechte Nachricht: Es gibt große Schwierigkeiten bei der Umstellung. Die gute Nachricht: Die befürchteten Horrorszenarien sind jedoch ausgeblieben. Licht und Schatten also.

Die Unternehmenswelt ist insgesamt eher positiv gestimmt. Auf mittlere Sicht jedenfalls. Vier von fünf Firmen sind laut einer Umfrage von Lombard Odier der Meinung, dass Großbritannien als Handelszentrum und Finanzplatz weiterhin gut positioniert ist. Die Probleme seien lösbar. Kurzfristig jedoch hat sich die Unternehmensstimmung im August etwas eingetrübt. Auch wegen der nach wie vor anhaltenden Corona-Krise. Immerhin notiert der Einkaufsmanagerindex mit über 50 Punkten noch im Wachstumsbereich, es gibt aber Anzeichen für eine Abschwächung der Dynamik.

Es mangelt an Arbeitskräften

Dies mag auch daran liegen, dass es im Land beispielsweise an Lastwagenfahrern fehlt. Was wiederum zu Störungen in den Lieferketten führt und immer wieder zu halbleeren Regalen in den Supermärkten. Auch Tankstellen oder Fabriken sind betroffen. Fahrer fehlen deshalb, weil viele Arbeiter aus dem europäischen Ausland seit dem EU-Austritt das Land verlassen haben und neue Fahrerkandidaten nicht einreisen wollen, weil teure und komplizierte Visaverfahren abschrecken.

Schwierig sind auch die Bedingungen im Außenhandel: Die Verzollung ist extrem bürokratisch und zeitraubend. Trotzdem - oder vielleicht gerade deswegen - sind die befürchteten Mega-Lkw-Staus vom Hafen in Dover bis nach London ausgeblieben. Insgesamt jedenfalls hat das Land im Außenhandel an Wichtigkeit verloren. Der deutsche Handel mit dem Vereinigten Königreich beispielsweise ging von Januar bis Juni entgegen dem Trend mit den meisten anderen Staaten zurück. Großbritannien ist nach dem Brexit nur noch der elftwichtigste Handelspartner Deutschlands.

In anderen Bereichen sieht es weniger kompliziert aus: Die Hauspreise etwa sind nicht wie befürchtet eingebrochen, sondern sogar weiter gestiegen. Auch der Abzug ausländischer Unternehmen hält sich in Grenzen. So hat im Juli beispielsweise Nissan bekannt gegeben, dass man sogar massiv investieren wolle: Geplant ist die größte Batteriefabrik des Königreichs.

Geholfen haben dabei sicherlich die umfangreichen Fiskal-, Geld- und Konjunkturmaßnahmen. Und die sollen laut Bank of England auch bleiben: Die Zentralbanker belassen beispielsweise den Leitzins bei 0,1 Prozent. Auch am laufenden Wertpapierkaufprogramm soll zunächst nichts geändert werden.

Und das obwohl die Inflation zuletzt deutlich gestiegen ist - dies sei aber wohl nur "vorübergehend" so, ließ die Notenbank wissen. Nach ihren Schätzungen könnte die Inflation Ende 2001 auf vier Prozent ansteigen. Die Briten haben damit das gleiche Problem wie andere große Volkswirtschaften auch: Die Preise werden zum einen durch die Erholung nach dem kräftigen Wirtschaftseinbruch angetrieben, aber auch wegen der weltweiten Lieferengpässe. Das Pfund Sterling zeigt sich davon unbeeindruckt. Es bleibt jedenfalls stark, was wiederum Aktieninvestments in Großbritannien zusätzlich attraktiv macht.

Gute Wachstumsprognosen

Geht es nach der britischen Notenbank, dann dürfte die Wirtschaft dieses Jahr um 7,25 Prozent wachsen, der IWF geht von 5,3 Prozent aus. Das sind gute Prognosen, die sich auch an der Börse widerspiegeln, wo interessanterweise nach wie vor die eher kleinen und mittelgroßen Unternehmen besser laufen als die Bluechips.

Bei Letzteren gibt es aber dennoch interessante Kauftipps. Ashtead beispielsweise. Das Unternehmen vermietet weltweit Geräte für die Baubranche. "Unsere Geräte können zum Heben, Antreiben, Erzeugen, Bewegen, Graben, Verdichten, Bohren, Stützen, Schrubben, Pumpen, Leiten, Heizen und Belüften eingesetzt werden", so das Unternehmen. Wichtigste Märkte sind die USA, aber auch in Kanada und UK ist Ashtead stark. Vom guten Baugeschäft profitiert auch weiterhin der Baumarktbetreiber Kingfisher. Ein gewisses Abflauen des Nachfragebooms hält man im zweiten Halbjahr zwar für möglich, doch insgesamt bewegen sich die Zahlen weiter auf hohem Niveau.

Ebenfalls spannend bleibt der größte Rohstoffhändler der Welt Glencore. Unter dem neuen Chef Gary Nagle will man zu einem "grünen Champion" werden. "Nur wenn wir die Umwelt und unsere Mitarbeiter schützen, können wir reibungslos arbeiten. Die Profite folgen dann automatisch", sagt Nagle. Für die 130 000 Mitarbeiter ist der Wechsel an der Spitze eine Zäsur. Fast zwei Jahrzehnte führte Ivan Glasenberg die Firma und baute aus dem verschwiegenen Händler einen Giganten, der es wie sonst kein anderer Konkurrent schaffte, das Handelsgeschäft mit der Förderung zu verbinden. Doch damit nicht genug: Glencore will jetzt auch beim Batteriegeschäft mitmischen: Neben Tesla hat man auch mit Batteriehersteller Britishvolt eine Partnerschaft vereinbart. Glencore sei "weit vorn, zum grünsten Rohstoffkonzern der Welt zu werden", findet die Baader Bank.

 


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