Es ist nicht mehr lange hin bis zum Brexit. In weniger als einem Jahr will Großbritannien aus der EU aussteigen. Im Alltag merkt man noch wenig davon. Gerade in London sieht es nach -"business as usual" aus. Es wimmelt nur so von Bauprojekten. Die Stadt ist quirlig wie eh und je. Und auch was die ökonomischen Fakten angeht, sieht es auf den ersten Blick nicht nach dem befürchteten dramatischen Einbruch aus.
Das Wirtschaftswachstum hält sich auf ansprechendem Niveau - auch wenn man im Vergleich zu anderen europäischen Ländern etwas zurückgefallen ist. Der Internationale Währungsfonds erwartet, dass Großbritannien dieses Jahr um 1,7 Prozent wachsen wird - immerhin. Dass es nicht mehr ganz so gut läuft wie in den goldenen Jahren, als die Wirtschaft des Landes um das internationale Finanzzentrum London kräftig die Muskeln spielen ließ, hat sicher auch andere Gründe. Zur Erinnerung: 2014 stand beim Wachstum noch eine Drei vor dem Komma.
Dafür sehen andere Parameter richtig gut aus: die Arbeitslosenquote etwa. Die ist mit 4,3 Prozent auf den tiefsten Stand seit über 40 Jahren gefallen - in der Eurozone sind es 8,7 Prozent. Und auch die Staatsfinanzen passen: Premierministerin Theresa May und Schatzkanzler Philip Hammond haben tatsächlich einen ausgeglichenen Haushalt hinbekommen.
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Sanfter Übergang
Alles gut also? Klar ist, dass die gerade geschlossene Vereinbarung einer Übergangsperiode mit der EU wichtig ist, um die Brexit-Folgen abzufedern. Sie sieht vor, dass sich London bis 2020 an EU-Regeln hält und dafür den Zugang zum EU-Binnenmarkt und zur Zollunion behält. London hat sich damit etwas mehr Zeit erkauft - mit einem "Exit vom Brexit" hat das aber nichts zu tun.Klar ist aber auch, dass der anstehende Austritt für Unsicherheit sorgt: Manche Unternehmen zögern Investitionen hinaus, wieder andere ziehen Geschäftsteile von der Insel ab - oder verlagern gar den Firmensitz, wie gerade Unilever.
Zu sehen ist diese Unsicherheit auch an der Börse. Der britische Leitindex FTSE 100 steht dieses Jahr so schlecht da wie kein anderer der großen Indizes. Dennoch gibt es Unternehmen und Aktien, die sich gut halten: GlaxoSmithKline etwa.
Das Pharmaunternehmen mit Hauptsitz in London ist weltweit derzeit die Nummer sechs der Branche. Und der Brexit lähmt das Unternehmen keinesfalls. Zuletzt hat man vom Schweizer Pharmakonzern Novartis dessen Anteil am Geschäft mit rezeptfreien Medikamenten für 13 Milliarden Dollar gekauft. Dazu gehören bekannte Marken wie Voltaren, Otrivin oder Sensodyne. Geht alles nach Plan, wird der Deal schon im laufenden Jahr Gewinn abwerfen. Spannend ist auch Vodafone. Es gibt immer wieder Gerüchten, dass sich der Mobilfunkriese und das Breitband-Unternehmen Liberty Global zusammenschließen. Spekulativ!
Eher ein Turnaroundwert ist Reckitt Benckiser. Der britisch-niederländische Konsumgüterkonzern, hierzulande mit Haushaltsmarken wie Cillit Bang, Calgon oder Kosmetikartikeln wie Clearasil bekannt, wollte zunächst ebenfalls einen Anteil am Geschäft mit rezeptfreien Medikamenten kaufen: von Pfizer. Der war aber zu teuer, und daher zog man - wie auch Glaxo-SmithKline - die Offerte zurück. Spannend ist, dass sich das Unternehmen im vergangenen Oktober in zwei Sparten neu sortiert hat: in den Gesundheitsbereich und in den Bereich Kosmetik und Haushaltshygiene. Gelingt dadurch die Wende zu mehr Wachstum - gut! Wenn nicht, wird ein Einstieg von Finanzinvestoren erwartet, die auf eine Aufspaltung drängen dürften. Auch positiv: Die Dividende wird seit 15 Jahren regelmäßig erhöht.
Eines sollte man als Anleger jedoch bedenken: Die Währungshüter in London kämpfen gegen eine Inflationsrate, die weit über das Ziel der Notenbank von 2,0 Prozent hinausgeschossen ist. Auch wenn der Preisauftrieb zuletzt etwas nachgelassen hat, sind 2,7 Prozent weit mehr, als Notenbankchef Mark Carney lieb sein kann. Und weil die Löhne noch stärker zugelegt haben, sieht es nach einer gefährlichen Lohn-Preis-Spirale aus.
Im Mai wird es daher wohl eine Zinserhöhung geben. Carney hält es gar für wahrscheinlich, dass eine "kontinuierliche Straffung" der Geldpolitik nötig sein wird, um die Inflation zu drücken. Ein zweischneidiges Schwert: Höhere Zinsen stärken zwar die eigene Währung und verbilligen importierte Güter, die bislang wegen der Wechselkurseffekte die Inflation angeheizt haben. Gleichzeitig verteuert das stärkere Pfund aber die Exporte, auch zum Euro. Ein echtes Problem, ist doch die EU - Brexit hin oder her - wichtigste Absatzregion.