Lange Zeit schafften es Börsianer, das bereits im Dezember in China ausgebrochene Virus Sars-CoV-2, auch bekannt unter Corona oder Covid-19, zu ignorieren. Diese Sorglosigkeit wurde nun bitter bestraft: In der letzten Februar-Woche brach Panik auf dem Parkett aus, innerhalb weniger Tage wurden Billionen US-Dollar an den Weltbörsen vernichtet. Die inzwischen weltweite Epidemie sorgte für den stärksten Kursrückgang seit der Finanzkrise.
Der DAX verlor in der ersten Welle nach unten mehr als zwölf Prozent. Einzelne Titel wie die Deutsche Bank oder die Deutsche Lufthansa traf es noch deutlich schlimmer. Bei der Kranich-Airline kamen sogar Bedenken auf, dass sie möglicherweise die erste Börsenliga verlassen muss. Zwar rüttelte die Deutsche Börse bei ihrer Indexüberprüfung vergangene Woche dann doch nicht an der Zusammensetzung. "Weil der Absturz zum Monatsende hin erfolgte, spielt er keine so große Rolle", erklärt Indexexperte Uwe Streich von der LBBW. Die Gefahr ist damit allerdings nur kurzfristig gebannt. Sollte die Lufthansa-Aktie in ihrem überdurchschnittlichen Sinkflug bleiben, wird das Thema spätestens am 3. Juni wieder auf der Agenda stehen.
Da wir bei der Lufthansa bereits seit Längerem zum Verkauf raten, sind Anlegern hohe Verluste erspart geblieben. Jedoch müssen wir einräumen, dass auch einige unserer Kaufempfehlungen dem Crash zum Opfer fielen. Adidas, Allianz, Daimler, Deutsche Bank, Deutsche Post, Fresenius, HeidelbergCement, SAP, VW und Wirecard tauchten unter unsere Stoppkurse ab. Daher stufen wir die Titel vorerst auf "Beobachten" zurück.
Schlag ins Kontor
Selbstverständlich ist es ärgerlich, wenn Stoppmarken fallen, doch ist die Verlustbegrenzung ein wichtiger Teil einer erfolgreichen langfristigen Anlagestrategie. Beispielsweise muss ein Investment nach einem Minus von 20 Prozent um ein Viertel zulegen, um den Verlust zu kompensieren. Gewiss eine Herausforderung, aber noch möglich. Bei noch heftigeren Rückschlägen geht es aber ans Eingemachte. So ist bei einem Minus von 50 Prozent eine Kursverdopplung erforderlich, damit die Aktie wieder ihr Startniveau erreicht.
Düstere Prognosen
Wie lange und ausgeprägt die aktuelle Korrektur ausfallen wird, kann niemand vorhersagen. Die einen sehen Licht am Horizont, wenn das Frühjahr kommt, die Ansteckungszahlen hoffentlich sinken und die zahlreichen "Virus-Ticker" in den Medien verstummen. Andere wiederum warnen vor größeren Schäden für die Wirtschaft. Dazu passt das jüngste Statement von Continental. "Die Unsicherheit in den für uns relevanten Industrien wächst zusehends. Eine erhoffte konjunkturelle Erholung wird sich weiter verzögern", so Konzernchef Elmar Degenhart.
Die Aktie des Autozulieferers sackte daraufhin um weitere zehn Prozent ab. Aktuell liefert sich der Titel mit der Deutschen Bank ein heißes Rennen um den Loser-Platz seit dem Start der Korrektur am 24. Februar. Das Duo hat seither jeweils mehr als 30 Prozent seines Börsenwertes eingebüßt. Aber nicht nur Continental sieht voller Sorge in die Zukunft. Auch der Konsumgüterkonzern Henkel setzt ein Fragezeichen hinter seine Jahresprognose. Die Lage sei "sehr unsicher und schwer vorauszusagen", heißt es aus dem Unternehmen.
Größte Gefahr seit der Finanzkrise
Fakt ist, dass die Auswirkungen der Corona-Epidemie auf die Weltwirtschaft die Märkte noch eine Weile in Atem halten werden. Laut der Industriestaatenorganisation OECD stellt das Virus die größte Gefahr für die globale Wirtschaft seit der Finanzkrise 2008/09 dar. Den Experten zufolge könnte sich das weltweite Wachstum dieses Jahr auf etwa 1,5 Prozent halbieren. Damit die Börsen in diesem Szenario nicht kollabieren, hoffen die Anleger auf die Notenbanken.
Die Fed ist bereits als "Retter in der Not" nach vorn geprescht und senkte zwei Wochen vor ihrer nächsten regulären Sitzung die Zinsen um 50 Basispunkte auf ein neues Zielband von 1,00 bis 1,25 Prozent. "Die Zinssenkung muss als ‚Grippeschutzimpfung‘ verstanden werden", sagt VP-Bank-Chefökonom Thomas Gitzel. Inwieweit die überraschende Aktion nun zur Beruhigung beitragen wird, muss sich erst noch zeigen. Gleich im Anschluss an die "Notfall"-Zinssenkung nahm die Risikoaversion sogar zu: Die Rendite von zehnjährigen US-Staatsanleihen fiel erstmals unter die Marke von einem Prozent. Auch die deutschen Pendants rentierten mit minus 0,863 Prozent auf einem Rekordtief. Anstatt die Märkte zu besänftigen, signalisierte US-Notenbankchef Jerome Powell mit dem Schritt möglicherweise, dass Sorgen tatsächlich angebracht sind.
Wenig Mut macht diesbezüglich eine Analyse der Bespoke Investment Group, die alle außerplanmäßigen Zinssenkungen der Fed seit 1998 untersucht hat. Kurzfristig, also auf Sicht von drei Monaten, ergab sich dadurch zwar ein durchschnittliches Kursplus von 1,4 Prozent beim S & P 500. Mit Blick auf ein ganzes Jahr verlor der Index allerdings im Mittel knapp neun Prozent. Experten gehen davon aus, dass auch andere Währungshüter ihre Geldschleusen aufdrehen werden. "Der Zinsschritt könnte Teil einer koordinierten Aktion der Zentralbanken in der entwickelten Welt sein", meint Erste-AM-Chefvolkswirt Gerhard Winzer.
Währungshüter unter Druck
Neben höheren Staatsanleihekäufen wird am Markt darauf spekuliert, dass die Europäische Zentralbank (EZB) den Einlagenzins bis Anfang Juni zweimal senken wird. Laut der Kursentwicklung der Geldmarkt-Futures erwarten Investoren mittlerweile zu 100 Prozent, dass EZB-Chefin Christine Lagarde bis dahin den Einlagenzins in zwei Schritten um zusammen 0,20 Prozentpunkte auf minus 0,70 Prozent reduziert. Vorfreude kommt mit Blick auf die EZB-Sitzung am 12. März trotzdem nicht auf. Im Gegenteil: Am Freitag und Montag tauchte der DAX noch einmal kräftig ab. Um 7,8 Prozent gab er zur Eröffnung am Montag nach und steuerte damit auf den größten Tagesverlust seit mehr als 18 Jahren zu. Neben Corona versetzte vor allem der Preiskrieg zwischen den wichtigsten Ölstaaten Saudi-Arabien und Russland die Anleger in Panik.
Menschlich wie auch ökonomisch sind die Auswirkungen von Sars-CoV-2 noch nicht absehbar. Die Aktienmärkte scheinen aber bereits "Worst Case"-Szenarien einzupreisen. Zwar können sich daraus auch interessante Chancen ergeben. Allerdings müssen sich die Börsen erst wieder stabilisieren, bevor Anleger größere Zukäufe wagen sollten.