Es sollte ein Plan für den Frieden in der Ostukraine sein, ein Drehbuch, das Russlands Präsident Wladimir Putin und der ukrainische Staatschef Petro Poroschenko unter Vermittlung von Deutschland und Frankreich am vorigen Wochenende in einer Telefonkonferenz ausgearbeitet hatten. Doch schon beim ersten Punkt, einem Waffenstillstand in der Region, droht das Ganze nun aus dem Ruder zu laufen.

"Wir werden unser Land befreien", polterte Poroschenko diese Woche in einer Fernsehansprache und kündigte die längst sicher geglaubte Verlängerung der auslaufenden Waffenruhe auf. Russlands Präsident Putin gibt sich derweil als Unschuldslamm. In einer Rede vor Diplomaten beteuert er, wie sehr er sich eine friedliche Lösung gewünscht habe. Insgeheim dürfte ihn das militärische Vorpreschen seines ukrainischen Kollegen jedoch freu- en: Strafmaßnahmen seitens der EU gegen Russland sind damit erst mal unwahrscheinlich.

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Sanktionen sind teuer

Für Russlands Wirtschaft sind das gute Nachrichten. Wirtschaftssanktionen, die über die bisher verhängten Kontosperrungen und Reiseeinschränkungen für ausgewählte Personen hinausgehen, könnten das Land in eine Rezession stürzen. Schon jetzt belastet die Krise Russland enorm: Das Wirtschaftswachstum verlangsamt sich, und es drohen dem IWF zufolge Kapitalabflüsse in Höhe von insgesamt 100 Milliarden US-Dollar. Das setzt sowohl den Aktienmarkt des Landes als auch den russischen Rubel unter Druck. Mutigen Anlegern bieten sich dennoch Chancen - vor allem dann, wenn die EU ihren zurückhaltenden Kurs weiter fortführt.

Denn die Rhetorik in dem Konflikt ist seit Monaten schärfer, als es die Taten sind, die folgen. Der Westen und die Ukraine werfen Russland die Unterstützung der prorussischen Separatisten in der Ostukraine vor. In einem Ultimatum hatte die EU Ende Juni mehrere Forderungen an Russland gestellt, um die Lage zu entspannen. Und weil Moskau immerhin einige Schritte zur Deeskalation der Situation im Osten der Ukraine unternommen hat, wurde die Entscheidung über mögliche Strafmaßnahmen mal wieder vertagt.

Sicherlich auch aus eigenem Interesse: Während die Auswirkungen von Sanktionen wie dem Einfrieren von Vermögen überschaubar sind, weil sie vor allem Eliten treffen, sind tatsächliche Handelseinschränkungen umstritten. "Generell ist die Erfahrung mit Wirtschaftssanktionen ernüchternd", sagt Gabriel Felbermayr, Leiter des Ifo-Zentrums für Außenwirtschaft. Sie beeinträchtigten die Wirtschaft in allen beteiligten Ländern und führten selten zu nachhaltigen Änderungen der Politik. Vor allem die deutsche Industrie fürchtet entsprechende Schritte. Mit Direktinvestitionen von 18 Milliarden US-Dollar ist Deutschland der größte ausländische Investor in Russland. Ifo-Berechnungen zufolge würde das deutsche Wirtschaftswachstum 2014 um 0,1 bis 0,3 Prozentpunkte niedriger ausfallen, sollte die Krise zu einer Rezession in Russland führen. 2015 könnte das Minus bis zu 0,4 Prozentpunkte betragen. Auch andere europäische Länder wären von den Sanktionen betroffen. Einige Experten warnen gar, dass die Maßnahmen den gerade erst begonnenen Aufschwung in Südeuropa gefährden könnten.

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Erste negative Folgen

Das gewünschte Ziel, nämlich Druck auf Russland auszuüben, dürften sie dennoch erreichen. "Sanktionen treffen Russland mehr als die EU", sagt Felbermayr. Auf eigene europäische Importe könnten die Russen noch am leichtesten verzichten. Auch ein EU-Einfuhrverbot für russische Luxusgüter wie Pelze oder Kaviar, was wohl der erste Schritt des Maßnahmenkatalogs wäre, könnte Moskau verschmerzen. Empfindlich treffen würde Russland ein Lieferstopp für Öl und Gas - egal ob er nun von der EU oder von Russland selbst ausgerufen würde. Der US-Statistikbehörde EIA zufolge machen die beiden Rohstoffe rund zwei Drittel der russischen Exporte aus. Mehr als ein Drittel tragen sie zum Staatshaushalt bei.

Dass die bereits bestehenden Strafmaßnahmen und die damit verbundene Unsicherheit nicht spurlos an Russland vorübergehen, zeigt der Länderbericht des Internationalen Währungsfonds (IWF). Ihm zufolge wird die russische Wirtschaft dieses Jahr nur um 0,2 Prozent wachsen. Das ist mehr als ein Prozentpunkt weniger als bei der vergangenen Prognose. Zudem warnte der IWF, dass Russland in eine Rezession rutschen könnte, sollte die Einbindung in die Weltwirtschaft beschränkt werden.

Auch unabhängig von den drohenden Sanktionen stellt der IWF Russland kein gutes Zeugnis aus. Die Wirtschaft basiert auf Energieexporten und Preisanstiegen im Rohstoffsektor. Der Staatshaushalt ist defizitär, die Politik korrupt. Die Experten in Washington empfehlen dem Land tiefgreifende Strukturreformen, um das Wachstumspotenzial langfristig zu steigern. Mehr Verlässlichkeit und weniger Staat, das fordern die Ökonomen.

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Investments mit Risiko

Angesichts der wirtschaftlichen Lage sind Investments in Russland mit einem hohen Risiko verbunden. Es könnte sich jedoch lohnen, dieses einzugehen. Für einen Einstieg spricht, dass sich der Aktienmarkt nach dem drastischen Einbruch um mehr als 23 Prozent während der Krim-Krise im Februar relativ schnell erholt hat und sich wieder auf Vorkrisenniveau befindet. Die meisten Papiere sind mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von im Schnitt fünf sowie einem Kurs- Buchwert-Verhältnis (KBV) von 0,7 immer noch sehr günstig bewertet.

"Russische Unternehmen zahlen im Gegensatz zu früher gute Dividenden - durchschnittlich sogar rund fünf Prozent", sagt Erdinç Benli, Leiter der Abteilung Emerging Markets Equities beim Vermögensverwalter Swiss & Global. Zudem sei der Großteil der russischen Unternehmen aufgrund hoher Exportzahlen vom inländischen Konsum unabhängig. Handelssanktionen wären für diese Firmen allerdings fatal.

Auch bleibt die Währung Russlands ein Risiko. Der Rubel hat zwischen Februar und April zehn Prozent an Wert gegenüber dem Euro verloren, mittlerweile notiert er wieder knapp unter dem Vorkrisenniveau. Sollte jedoch die Warnung des IWF wahr werden und tatsächlich bis zu 100 Milliarden US-Dollar an Geldern aus Russland abgezogen werden, dürfte der Druck auf den Rubel kräftig steigen. Damit wären Währungsverluste für Inhaber russischer Wertpapiere verbunden.

Ob es so weit kommt, ist derzeit schwer abzusehen. Seit Mitte der Woche stehen die Zeichen wieder auf Entspannung. Am Mittwoch haben sich die Ukraine und Russland auf erneute Verhandlungen für einen Waffenstillstand geeinigt. Harte Wirtschaftssanktionen, die allen Seiten nur schaden würden, sind damit erst einmal ein Stückchen weiter in die Ferne gerückt.

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