Der Drohnenangriff auf die Anlagen des staatlichen Ölkonzerns Saudi Aramco hat den Ölsektor in Aufruhr versetzt. Durch die entstandenen Schäden war die Ölproduktion von Saudi-Arabien vorübergehend um 5,7 Millionen Barrel auf etwa die Hälfte des üblichen Tagesvolumens eingebrochen.

Die Internationale Energieagentur (IEA) bestätigte die Bedeutung des Zwischenfalls: Das fehlende Produktionsvolumen übertrifft sogar den schlagartigen Produktionsausfall 1990 in Kuwait und dem Irak sowie 1979 im Iran. Saudi-Arabien ist mit einem Marktanteil von knapp 16 Prozent der größte Ölexporteur der Welt, vor Russland, dem Irak und Kanada. In dieser Riege der Erdöl exportierenden Nationen wird im kommenden Jahr ein neuer Name auftauchen: Guyana.

Das kleine Land an der Atlantikküste Südamerikas hat sich in den vergangenen Jahren zu einem der Hotspots der internationalen Ölindustrie entwickelt, nachdem ExxonMobil dort vor vier Jahren erstmals auf Öl gestoßen war. Bereits 2008 hatte der Ölkonzern seine Explorationsarbeiten im einzigen englischsprachigen Land des Kontinents begonnen.

Mit dem auf den Namen Liza getauften Ölfeld rund 190 Kilometer vor der Küste Guyanas machte ExxonMobil 2015 schließlich seine erste große Entdeckung. Seither ist der Konzern in nunmehr 14 von 16 Testbohrungen innerhalb des Stabroek Block auf Öl gestoßen, eine herausragende Quote. Erst Mitte September meldete man einen weiteren Treffer beim in rund 2000 Meter Tiefe gebohrten Tripletail-1-Loch, mit dem die geschätzte Gesamtressource an förderbarem Öl auf nunmehr sechs Milliarden Barrel erhöht werden konnte.

Schon jetzt ist das Offshore-Gebiet Guyanas eine der bedeutendsten Ölentdeckungen dieses Jahrtausends und weist den Experten von Wood Mackenzie zufolge vergleichbare geologische Strukturen auf wie die großen Tiefseeölfelder vor der Küste Brasiliens.

Das Beratungsunternehmen geht davon aus, dass Guyana im kommenden Jahrzehnt zum viertgrößten Ölproduzenten Lateinamerikas aufsteigen und möglicherweise noch mehr Öl produzieren wird als Venezuela und Mexiko. Pro Einwohner gerechnet könnte Guyana mit einer zu erwartenden Gesamtfördermenge von einer Million Barrel Öl pro Tag zum weltweit größten Ölproduzenten aufsteigen. Schließlich leben in dem kleinen Land mit der Hauptstadt Georgetown heute gerade einmal knapp 800 000 Menschen, meist in sehr ärmlichen Verhältnissen. Für sie könnte mit dem Aufbau einer Ölindustrie in den kommenden Jahren eine neue Zeitrechnung beginnen.

Der Internationale Währungsfonds kalkuliert per 2020 mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um knapp 30 Prozent - was gleichbedeutend wäre mit dem stärksten Wachstum weltweit. Der US-­Botschafter in Guyana, Perry Holloway, hält gar einen BIP-Anstieg um 300 bis 1000 Prozent im kommenden Jahr für möglich. Diese enormen Zuwachsraten sind zwar zur Miniwirtschaftsleistung 2018 von nur 3,6 Milliarden US-Dollar ins Verhältnis zu setzen, mittelfristig hat die ehemalige britische Kolonie dank des Ölbooms aber das Zeug dazu, sich zu einem der reichsten Länder des Kontinents zu entwickeln.

Budgets in Milliardenhöhe


Allein Exxon will in den kommenden beiden Jahren vom geplanten Explorationsbudget in Höhe von 2,5 Milliarden US-Dollar einen Großteil in Brasilien und Guyana investieren. Andere Ölkonzerne ziehen nach und haben sich ebenfalls Anteile an Guyanas Offshore-Gebieten gesichert, die man nun untersuchen möchte.

Bis zum Jahr 2025 will die amerikanische Hess Corporation drei Viertel ihrer Investitionen auf Guyana und die USA konzentrieren. Konkret steht rund eine Milliarde US-Dollar für die Projekte in Guyana bereit, wo man bei zwei Blöcken als Kooperationspartner von Exxon aktiv ist. Der französische Total-Konzern hält Anteile an drei Blöcken, darunter 35 Prozent am Canje-Block, bei dem Ende 2019/Anfang 2020 die Arbeiten starten sollen. Mit der spanischen Repsol und der chinesischen CNOOC mischen weitere internationale Ölmultis mit, die kanadische Frontera Energy hat sich mit einem Drittel bei den Blöcken Demerana und Corentyne eingekauft, mit deren Erkundung noch im Lauf dieses Jahres begonnen werden soll.

Das britische Ölunternehmen Tullow Oil, bislang auf Explorationsziele in Afrika konzentriert, erklärte die Region zum neuen Explorationsfokus der Gesellschaft für die kommenden drei Jahre und berichtete in diesem Sommer bereits von ersten Bohrerfolgen. Alle hoffen bei ihren Projekten auf die Entdeckung eines vergleichbaren Vorkommens wie beim Liza-Feld, wo Anfang des kommenden Jahres das erste Öl fließen soll. Das könnte den Startschuss für den Aufstieg einer neuen Ölnation sein.