Die Charttechnik ist ein etabliertes analytisches Instrument, um Kauf- und Verkaufssignale möglichst konkret zu identifizieren. Die sogenannte 200-Tage-Linie wird von vielen Experten benutzt, um den DAX oder andere Indizes zu schlagen. Bezogen auf den DAX besagt die Regel: Durchbricht der Index die 200-Tage-Linie, die aus dem Mittelwert der Schlusskurse der vergangenen 200 Tage gebildet wird, nach oben, ist dies ein Kaufsignal. Durchbricht der Index sie nach unten, dann heißt es verkaufen.
Wir haben dem ein Modellportfolio gegenübergestellt, das die 200-Tage-Regel für den DAX konsequent anwendet - und beide, DAX und Modellportfolio, über einen Zeitraum von 28 Jahren, also seit Auflegung des DAX, verglichen. Dabei gab es von 1988 bis heute mit mehr als 7000 Börsentagen nur 68 Kauf- und 68 Verkaufssignale. Das Ergebnis: Das charttechnische Depot, das alle Kauf- und Verkaufssignale über den Zeitraum der letzten 28 Jahre strikt ausgeführt hätte, käme ohne jegliche Kosten zwar auf eine jährliche Rendite von 8,61 Prozent pro Jahr - gegenüber einer DAX-Rendite von 8,18 Prozent pro Jahr. Doch ein Portfolio ohne Kosten ist eine Utopie.
Nimmt man eine Kostenquote von einem Prozent für ein Depot an, wie es bei Filialbanken üblich ist, hinkt das charttechnische Depot der DAX-Performance um fast 60 Prozent hinterher. Gegenüber 8,18 Prozent pro Jahr beim DAX erreicht das Modellportfolio lediglich 3,38 Prozent pro Jahr. Selbst bei einer Kostenquote von 0,5 Prozent liegt das Portfolio mit 5,97 Prozent pro Jahr deutlich hinter dem DAX, bei lediglich 0,1 Prozent Kosten ist es mit 8,08 Prozent pro Jahr ebenfalls noch knapp schlechter. Je aktiver man handelt, desto schneller dreht sich die Kostenspirale. Dabei sind Handels- und Depotkosten nicht die einzigen Faktoren, die die Rendite verringern. Denn jeder Gewinn wird zusätzlich geschmälert um die Abgaben für Abgeltungsteuer, Solidaritätszuschlag und gegebenenfalls Kirchensteuer.
Blickt man auf die Charttechnik, gab es in der Nachbetrachtung nur ein einziges Mal ein wirklich gutes Verkaufssignal. In der ungewöhnlich langen Baisse von März 2000 bis März 2003 wäre konsequentes Verkaufen richtig gewesen. Während dieser Periode gab es eine Vielzahl von isolierten Ereignissen wie das Platzen der Techblase, den 11. September 2001 oder die Pleite von Enron. Ansonsten gab es im Betrachtungszeitraum von 28 Jahren vor allem viele kurz aufeinander folgende Kauf- und Verkaufssignale, an die sich keine länger anhaltenden Baissephasen anschlossen.
Der Versuch, selbst mit ausgefeilten analytischen Methoden einen Index zu schlagen und den "richtigen" Kauf- und Verkaufszeitpunkten hinterherzujagen, bringt Anlegern nichts. Auf lange Sicht gleichen sich Einbrüche wie 2001 oder 2008 ohnehin wieder aus. Selbst wer kurz vor diesen beiden Phasen länger anhaltender Kursstürze beispielsweise in den DAX eingestiegen ist, steht heute wieder positiv da. Anleger sollten also besser der Börsenweisheit "Kaufen und schlafen legen" folgen, andernfalls droht schnell die Gefahr von "Hin und her macht Taschen leer". Mit einem ausgewogenen Portfolio, das über kostengünstige Indexfonds abgebildet wird, können Anleger langfristig nichts falsch machen.
Lutz Neumann
Neumann ist Leiter der Vermögensberatung bei der Sutor Bank in Hamburg. Nach Stationen als Wertpapierberater, Aktienanalyst und Portfoliomanager unter anderem bei der Deutschen Bank und Hesse Newman kam er 2008 zur Sutor Bank. Sie ist eine 1921 gegründete unabhängige Privatbank mit Sitz in Hamburg. Zum Kerngeschäft gehören die Vermögensverwaltung sowie das Stiftungsmanagement.