Auch wenn die jüngste Eskalation um Handelsstreit die Kurse an Chinas Börse drückte und die Landeswährung abwertet, bleiben China-Aktien ein spannendes Investment. Traditionell mit einem Countdown und zwei Schlägen auf einen Gong begann vor einer Woche an der Börse Shanghai der Handel in einem neuem Marktsegment: dem "Star Market". 25 Start-ups sind dort zunächst gelistet, aus Branchen wie Biotechnologie, künstliche Intelligenz, Lasertechnologie und Computerchips. Die Nachfrage war enorm, die Kurse der Kleinst­unternehmen gingen durch die Decke. Insgesamt sammelten die Micro Caps am ersten Handelstag umgerechnet fünf Milliarden Euro ein. Ob aber tatsächlich echte Stars dabei sind, die die jetzt schon hohen, teils dreistelligen Bewertungen rechtfertigen, ist zweifelhaft. Es sieht eher nach einem für China nicht untypischen kurzlebigen Hype aus. Skandale, die es an den chinesischen Börsenplätzen in der Vergangenheit oft gab, will man dennoch tunlichst vermeiden. So hatte die politische Führung selbst die Idee für das neue Börsensegment: Staats- und Parteichef Xi Jinping hat das Ganze höchstpersönlich angeordnet. Aber so oder so: Für deutsche Anleger sind die Aktien von Firmen wie Suzhou Harmontronics oder Anji Microelectronics ohnehin nicht investierbar.

Insgesamt fällt aber auf, dass auch die bekannten und größeren Unternehmen an den Börsen in Shanghai und Shenzhen die ausgiebige Kurskorrektur vom Mai zunächst gut weggesteckt haben. Ebenso im benachbarten Hongkong und in Taiwan, also in der Großregion, die inklusive Volksrepublik in Investmentkreisen "Greater China" genannt wird.

Allerdings wurde die Börse dann wieder von der Vergangenheit eingeholt, von eher negativen China-Nachrichten, etwa die Unruhen in Hongkong oder dem anhaltenden Handelsstreit mit den USA. Außerdem ist es erst wenige Tage her, dass ein Negativrekord Schlagzeilen machte: Das Wachstum des Landes ist im zweiten Quartal nämlich so niedrig ausgefallen wie seit 1992 nicht - jenem Jahr, in dem Peking begann, Konjunkturdaten wie eben das Wachstum aufzuzeichnen. Und jetzt das: Nur noch 6,2 Prozent Plus hat das reale Bruttoinlandsprodukt angeblich erreicht. In den Vorquartalen war es noch ein Plus von 6,4 Prozent.

Allerdings gibt es mehrere Gründe, warum man diesen Daten nicht allzu viel Gewicht beimessen sollte - abgesehen davon, dass ein Wachstum von um die sechs Prozent für eine Volkswirtschaft dieser Größe und Reife sehr gut ist. Als offenes Geheimnis gilt schließlich, dass die Wachstumszahlen geglättet werden. Große Schwankungen sind politisch nicht gewollt: nach oben nicht und genauso wenig nach unten. Man will Kontinuität vermitteln.

Inoffiziell ignoriert


Dazu passt die schon etwas ältere Anekdote, dass nicht einmal Chinas politische Nummer 2, Premierminister Li Keqiang, den offiziellen Zahlen traut. Er schätzt andere Indikatoren: das Eisenbahnfracht­volumen, den Stromkonsum und die Bankkredite. Und diese Kennzahlen deuten auf eine Besserung hin. Den Negativrekord darf man also getrost ignorieren.

Andere Indikatoren wie die Industrieproduktion, das Wachstum der Anlage­investitionen und der Einzelhandelsumsatz nahmen zuletzt ebenfalls deutlich zu. Auch die Geld- und Fiskalpolitik hat zur Belebung beigetragen: Die Anfang des Jahres angekündigten Steuersenkungen greifen langsam. Zudem hat die Zentralbank das Bankensystem mit deutlich mehr ­Liquidität versorgt. Mit klarem Auftrag: Die Banken sollen ihre Kreditlinien an die Unternehmen erhöhen.

Im Großen und Ganzen ist das der Grund dafür, dass der chinesische Aktienmarkt in diesem trotz aller Schwankungen Jahr überzeugt. Auch weil man weiß, dass die politischen Entscheidungsträger Spielraum für weitere Lockerungen haben, sollte dies nötig sein. "Wie immer bleibt es aber ein schwieriger Balanceakt, dringend notwendige Reformen umzusetzen und gleichzeitig die chinesische Wirtschaft zu stabilisieren", kommentiert Charles Sunnucks, Co-Fondsmanager des Jupiter China Select. "Für Unternehmen ergeben sich daraus Herausforderungen, aber auch Chancen für diejenigen, die in Branchen tätig sind, die von der Politik gefördert werden sollen."

Eine jener Branchen und der vermutlich nächste große Trend ist das Thema künstliche Intelligenz. Ein Beispiel liefert JD.com, der nach eigenen Angaben größte Onlinehändler in China mit einem Geschäftsmodell für Privatkunden, das dem von Amazon ähnelt (die bekanntere Firma Alibaba betreibt hauptsächlich eine Plattform für den Handel zwischen Unternehmen). Bei JD können Kunden nun per Gesichtserkennung ein digitales 3-D-Abbild erstellen lassen und online testen, wie man wohl mit einem neuen Anzug oder Kleid aussieht. Dass man bei JD technologisch weit vorn liegt, zeigt auch in der Belieferung ländlicher Regionen mittels Drohnen.

In den vergangenen Monaten geriet die JD-Aktie allerdings wegen negativer Schlagzeilen um Gründer Richard Liu unter Druck. Liu wurde 2018 wegen Vergewaltigungsvorwürfen in den USA festgenommen, tags darauf aber ohne Kautionszahlung entlassen. Der Beklagte beteuert seine Unschuld, die US-Behörden wollen den Fall weiter untersuchen. Dies bremst die Expansionspläne des Konzerns. Spannend ist auch der Bereich Mobilfunk, in dessen Ausbau sich der chinesische Staat massiv einschaltet. Schon jetzt ist die Netzabdeckung sehr gut: Während in Deutschland auf 10 000 Einwohner nur etwa neun Mobilfunkmasten kommen, sind es in China 14. Und die Masten werden nun allesamt auf den neuen Standard 5G aufgerüstet.

Offiziell durchgestartet


Schon im Dezember hatte Peking Test­lizenzen an die drei staatlichen Netzbetreiber China Mobile, China Unicom und China Telecom vergeben. Durchgestartet ist man dann im Mai in der Küsten­metro­pole Shanghai, wo bereits Tausende 5G-Antennen den Betrieb aufgenommen haben. Ab dem Jahr 2020 sollen kommerzielle 5G-Netze landesweit ausgerollt werden. Marktführer bei dieser Umwälzung ist mit mehr als 930 Millionen Kunden China ­Mobile, deren Aktien sich zu über 70 Prozent in Staatsbesitz befinden. Hohe Investitionen in die neue Technik dürften die Geschäftszahlen zunächst zwar dämpfen, sollten aber von 2020 an die Gewinne treiben.

Immer interessanter werden auch Finanzdienstleistungen gerade für junge Chinesen. Die liefern etwa der Versicherer Ping An Insurance und der Finanzdienstleister China Merchants Bank.

Ping An gilt als wertvollster Versicherer weltweit und betreibt unter anderem die Telemedizin­plattform Ping An Good Doctor mit mehr als 265 Millionen registrierten Nutzern und 55 Millionen aktiven Nutzern pro Monat. Dieser Dienst ermöglicht es, Arzttermine online zu buchen, außerdem erhalten Versicherte mithilfe von künstlicher Intelligenz Diagnosen und Behandlungsvorschläge von Ärzten. Ein Geschäftsmodell, das auf ganz Asien ausgedehnt werden soll.