Minusgrade in München und Massen von Menschen, die sich von der U-Bahn-Station nahe des BMW-Turms in Richtung Olympiagelände bewegen: Ende Januar ist es Zeit für die Hauptversammlung von Siemens, Deutschlands größtem Industriekonzern. Die Führungsmannschaft um Chef Joe Kaeser stellte sich - nach nur durchwachsenen Quartalszahlen - in der Olympiahalle den Fragen der Aktionäre.

Es gibt durchaus Grund zur Freude bei den Anteilseignern. Denn die Dividende für das abgelaufene Geschäftsjahr wurde zum fünften Mal in Folge, auf 3,80 Euro, erhöht. Der Konzern bestätigte überdies seine Prognose für das laufende Geschäftsjahr bis Ende September, wonach der Umsatz moderat steigen, die operative Marge im industriellen Geschäft zwischen elf und zwölf Prozent liegen soll.

Chef Kaeser hob in seiner Rede vor geschätzt gut 6000 Anteilseignern die Leistungen in der Bahntechniksparte Mobility heraus. Der Bereich hatte im vergangenen Geschäftsjahr eine operative Rendite von zehn Prozent geschafft und sich damit laut Kaeser an der Spitze der Branche gearbeitet. Lange Jahre hatte die Sparte immer wieder statt mit Erfolgen mit Fehlern, etwa mit verspäteten ICE-Auslieferungen an die Bahn, auf sich aufmerksam gemacht. "Wir sind sehr stolz darauf, wie sich das Geschäft in den vergangenen fünf Jahren unter der Betreuung von Roland Busch entwickelt hat", lobte Kaeser seinen Vorstandskollegen, der als einer seiner der möglichen Nachfolger gilt.

Die Bahntechnik will Siemens nur zu gerne mit der französischen Alstom fusionieren. Die Münchner ringen jedoch immer noch mit der EU-Wettbewerbsbehörden um die Genehmigung - und legten dafür zuletzt überraschende Zugeständnisse nach. Chef Kaeser bleibt dennoch skeptisch. "Es ist für alle Beteiligten gut, wenn sie gelingt. Wir werden sie aber nicht um jeden Preis suchen", sagte Kaeser vor der Hauptversammlung zur Fusion. Die hauseigene Bahntechnik glänzte immerhin auch im jüngsten Quartal mit hohen Auftragseingängen und war nach der Industrieautomatisierung Digital Factory und der Medizintechnik Healthineers der größte Gewinnbringer im Konzern.

Kaeser wies vor den Anteilseignern auf die Gesamtrendite von rund 66 Prozent hin, die die Aktie seit Ende Juli 2013, das war unmittelbar vor seinem Amtsantritt als Chef von Siemens, erzielt hat. "Der DAX erreichte in dieser Zeit einen Zuwachs von 48 Prozent", verglich Kaeser zufrieden. Und man liege damit auch vor dem Wettbewerber, "der uns zurecht über fast ein halbes Jahrhundert als Maß aller Dinge vorgehalten wurde", spielte der Chef auf den US-Konzern General Electric an, der derzeit im größten Umbau seiner Unternehmensgeschichte steckt. Mit der Kursentwicklung in den vergangenen zwölf Monaten war der Chef weniger einverstanden. Sie spiegele den realen Wert des Unternehmens nicht wieder.

Damit nahm Kaeser die Kritik von Aktionärsvertretern vorweg. "Die Siemens-Aktie hat den Anlegern zuletzt wenig Freude bereitet. Die Gesamtrendite, die sich aus Aktienkursentwicklung und Dividende zusammensetzt, beträgt seit der letzten Hauptversammlung minus 16 Prozent", mahnte etwa Christoph Niesel, Fondsmanager bei der Fondsgesellschaft Union Investment.

Der Kurs schwächelte unterdessen erst einmal weiter, denn die Ergebnisse der Münchner im Quarttal von Oktober bis Dezember fielen bloß durchwachsen aus. In der Problemsparte Power& Gas schrumpfte der Umsatz abermals, worunter neben der Profitabilität der Sparte auch die des Gesamtkonzerns leidet. Die Netzsparte Energy Management enttäuschte überraschend mit Projektschwierigkeiten.

Kaeser selbst sprach von einem "gemischten Bild". Das operative Ergebnis der Industriegeschäfte, die wichtigste Kennzahl, lag im Quartal mit knapp 2,1 Milliarden Euro sechs Prozent unter Vorjahr. Die Ergebnismarge steht aktuell unterhalb des angepeilten Korridors von elf bis zwölf Prozent bei 10,6 Prozent.

Der Nettogewinn sank gegenüber dem Vorjahr deutlich um knapp die Hälfte auf erwartete 1,1 Milliarden Euro. Allerdings hatten im Vorjahr Sondereffekte das Ergebnis angehoben. Der Umsatz stieg um ein Prozent auf 20,1 Milliarden Euro, was leicht enttäuschte. Die beste Nachricht für Aktionäre war der starke Auftragseingang. Dank Großaufträgen etwa in der Bahntechniksparte kletterten die Orders um zwölf Prozent auf 25,2 Milliarden Euro.

Die Baustelle Power & Gas bleibt, das Branchenumfeld bleibt laut Finanzchef Ralf Thomas schwierig. "Schrumpfende Märkte, massive Überkapazitäten, harter Wettbewerb und Preisdruck" prägen demnach das Geschäft. Die Marge liegt hier bei gut vier Prozent, auch im Gesamtjahr sei ein niedriger bis mittlerer Bereich realistisch.

Aktionärsvertreter drängten hier angesichts des dauerhaft schwierigen Umfelds auf drastischere Schritte. "Die beste Lösung wäre es, einen strategischen Partner in China zu finden, dem Land mit dem weltweit größten Marktpotenzial für Gasturbinen, was jedoch angesichts des sonst trüben Marktumfelds eine Herausforderung sein dürfte. Gelänge dies, würde Siemens am Kapitalmarkt stärker als zukunftsgerichteter Technologiekonzern eingestuft und nicht mehr als träger Gemischtwarenladen", sagte Union Investment-Vertreter Niesel.

Die Automatisierungsparte Digital Factory, noch vor der Medizintechnik der größte Gewinnbringer im Quartal, läuft weiter stark. Die Aussichten sind dabei wegen des konjunkturellen Umfelds nicht mehr ganz so glänzend. Einer der größten Kunden der Sparte ist die Automobilindustrie. "Das Sentiment hat sich eingetrübt", sagt Kaeser. Schwächere Nachfrage sei in manchen Bereichen zu erwarten, das Softwaregeschäft soll aber weiter dynamisch laufen.

Erfreulich war der Auftragseingang im Quartal. Vor allem die Bahntechnik verzeichnete von Oktober bis Dezember mehrere Großorders, etwa einen Auftrag über die Lieferung von 94 U-Bahnen für die Metro in London, der rund 1,6 Milliarden Euro schwer ist. Die Sparte "Mobility" soll überdies 32 Züge nach Kanada liefern, das Volumen wurde hier nicht bekannt. In der Netztechnik fuhr Siemens einen Auftrag zur Netzanbindung des elften Offshore-Windparks in Großbritannien ein, es sei das bislang größte Volumen im Bereich Offshore-Anbindungen bislang, hieß es. Wegen eines Projektfehlers fiel hier jedoch die Gewinnmarge stark.

Kaeser sorgt sich inzwischen vor dem Hintergrund etwa des Handelskonflikts zwischen den USA und China vor "geopolitischen Unsicherheiten", die Einfluss auf das Investitionsverhalten der Kunden nehmen könnten. Der Chef will den Konzern mit der neuen Strategie "Vision 2020+" ab April auch deshalb flexibler aufstellen und allen Bereichen, bevor allem aber den zunächst mehrheitlich gehaltenen strategischen Unternehmen Healthineers, Siemens Gamesa und, im Falle eines Okay aus Brüssel, Siemens-Alstom, weitgehende Selbstständigkeit einräumen. "Wir halten es für den richtigen Weg, den einzelnen Sparten mehr unternehmerische Freiheit und Entscheidungskompetenz zu geben und es den Anlegern durch Abspaltungen und Teilbörsengänge zu ermöglichen, gezielt in diese Sparten investieren zu können", lobte Fondsmanager Niesel.

Die Abspaltung und der erfolgreiche Börsengang der Medizintechniksparte im Jahr 2018 habe zwar Geld in die Kassen des Konzerns gespült, bislang aber für Siemens-Aktionäre noch keinen rechten Wert geschaffen, kritisierte hingegen Dagmar Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. "Wir durften hier nur abseits Beifall klatschen. Der Effekt auf den Siemens-Kurs blieb aus", haderte Winfried Mathes von der Deka, der Fondsgesellschaft der Sparkassen. Mathes fragte auch, ob eine Sonderdividende hier nicht sinnvoller gewesen wäre.

Dass Chef Kaeser die Prognose für das laufende Geschäftsjahr bestätigte, überraschte weder die anwesenden Anteilseigner, noch beflügelte es den Kurs. Die operative Marge soll demnach bis Ende September zwischen elf und zwölf Prozent liegen. Zum Vergleich: Im abgelaufenen Geschäftsjahr schaffte Siemens hier 11,3 Prozent.

Bis dahin ist nach dem ersten Geschäftsquartal also noch ein gutes Stück zu gehen. Die Aussichten für den Konzern sind dabei trotz des eingetrübt konjunkturellen Umfelds vergleichsweise gut. Denn der hohe Auftragseingang sollte dafür sorgen, dass sich der Tanker Siemens samt seiner selbstständigen Beiboote in den kommenden Quartalen beim Umsatz weiter vorwärts bewegt.

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Die Siemens-Aktie startete nach den Quartalszahlen etwas schwächer,das war nach dem durchwachsenen Ergebnis zu erwarten. Siemens muss weiter an der Baustelle Power & Gas arbeiten. Die Stärke der Industrieautomatisierung und der dynamische Auftragseingang sowie die bestätigte Jahresprognose sollten den Kurs mittelfristig positiv beeinflussen.

Siemens schlägt seinen Aktionären eine Erhöhung der Dividende um zehn Cent auf 3,80 Euro vor, das macht derzeit knapp vier Prozent Dividendenrendite - auch deshalb empfehlen wir die Aktie weiter zum Kauf.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 135,00 Euro
Stoppkurs: 93,00 Euro